Zwischen Hoffnung und Skepsis: Was die Digitalbranche von der neuen Regierung erwartet

Was muss die neue Bundesregierung leisten, um Deutschland als digitalen Zukunftsstandort zu stärken? Die Branche stellt klare Forderungen: Mehr Tempo bei der Digitalisierung, moderne Rahmenbedingungen für Innovation – und Unterstützung für jene, die den digitalen Wandel gestalten.

Apr 30, 2025 - 15:24
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Zwischen Hoffnung und Skepsis: Was die Digitalbranche von der neuen Regierung erwartet

Deutschland steht kurz vor der Regierungsbildung, US-Präsident Trump feiert 100 Tage im Amt – die globale politische Lage ist derzeit von Veränderungen und Überraschungen geprägt, welche sich nicht zuletzt auch auf die Digitalwelt auswirken. Während sich Meta-Chef Mark Zuckerberg mit einer umfassenden Neuausrichtung Trump anbiedert, ist der Konzern nichtsdestotrotz mit einem kürzlich angelaufenen Gerichtsverfahren konfrontiert: Die Federal Trade Commission (FTC) wirft Meta vor, Instagram und WhatsApp zur Unterbindung des Wettbewerbs gekauft zu haben. Im Laufe des Prozesses soll geklärt werden, ob sich der Konzern von den Plattformen trennen muss. Ähnlich heikel sieht es für Google in den USA aus: Die Alphabet-Tochter wird im Zuge einer potenziell illegitimen Marktmachtsicherung vor juristische Konsequenzen gestellt – nun wird sogar die Abspaltung von Chrome diskutiert.



Auch aufgrund des möglichen Chrome-Verkaufs?
Google beerdigt Cookie-Aus

© Growtika – Unsplash


In Deutschland bestimmt derweil vor allem KI die aktuellen Debatten in der Digitalpolitik. Erst kürzlich wurde der AI Pact als weltweit erstes KI-Gesetz verabschiedet und soll nicht nur die Grundrechte von Bürger:innen schützen, sondern auch technische Innovationen fördern. Nicht alle User begrüßen die umfassende Integration KI-basierter Systeme – allen voran Meta AI. Die KI ist seit Kurzem auch in Deutschland nutzbar und verfügt neuerdings sogar über eine eigene App.



Die Meta AI App ist da:
Konkurrenz für ChatGPT mit Discover Feed

© Meta via Canva


Digitalministerium sorgt für Hoffnung

Von Investitionen in die digitale Infrastruktur bis zum Einsatz gegen Hass im Netz: Neben einem angemessenen Umgang mit Künstlicher Intelligenz kommen zahlreiche weitere Herausforderungen auf die neue Bundesregierung zu. Die Schaffung eines eigenständigen Digitalministeriums unter der Leitung von Karsten Wildberg (zuletzt als Chef von MediaMarkt und Saturn tätig) ist ein erster Schritt in die richtige Richtung – das finden zumindest zehn Prozent der im Rahmen einer Umfrage von FRAUWENK befragten Branchenexper:innen. Ganze 72,5 Prozent sehen diese derweil als „längst überfällig“ an.

Die Zeichen auf positive Veränderungen in Deutschlands Digitalwelt stehen gut – doch was genau muss die Regierung und das neue Ministerium leisten, um Deutschland als digitalen Standort zu stärken? Wir haben Vertreter:innen der Digitalbranche in Deutschland nach ihren drei zentralen Forderungen gefragt – hier kommen die Antworten.

„Innovation entsteht nicht im Aktenordner“

Andrea Buzzi, CEO und Gründerin von FRAUWENK und The Medical Network, betont die Relevanz einer Regierung, die das Potenzial in digitalen Unternehmen sieht. Neue Technologien müssen ermöglicht werden, während Innovation nicht ausgebremst werden darf, so Buzzi:

Innovation entsteht nicht im Aktenordner. Deutschland braucht eine Regierung, die digitale Unternehmen als Wachstums- und Wohlstandsmotor versteht – nicht als Risiko. Dafür müssen bürokratische Hürden konsequent abgebaut, Genehmigungsprozesse massiv beschleunigt und der Zugang zu Kapital und Fachkräften strategisch erleichtert werden. Eine aktive Standortpolitik darf neue Technologien nicht verhindern, sondern muss sie gezielt ermöglichen. Wer heute Innovation ausbremst, riskiert nicht nur wirtschaftlichen Rückstand – sondern den Verlust unserer digitalen Souveränität.

Neben der Digitalisierung der Verwaltung und des E-Governments (85 Prozent) sowie der Förderung digitaler Kompetenzen im Bildungsbereich (28 Prozent) sehen viele der Befragten der FRAUWENK-Erhebung großen Handlungsbedarf beim Ausbau der digitalen Infrastruktur (25 Prozent). Auch Dr. Philipp Spreer, Managing Partner und Geschäftsführer von elaboratum, findet, dass Digitalisierung wieder zur Priorität werden muss:

Das letzte Sondervermögen für digitale Infrastruktur wurde 2023 einfach aufgelöst – jetzt muss Digitalisierung wieder zur Top-Prio werden! Der Rechtsruck der US-Tech-Konzerne und deren symbolische Unterwerfungsgesten zeigen: Die europäische Wirtschaftszone ist jetzt absolut angewiesen auf einheitliche und pragmatisch umsetzbare Rahmenbedingungen. KI-Regulierung, Datenschutz, Aufbau europäischer Datencenter und absolut gründer:innenfreundliche Förderumgebungen müssen konsequent zusammengedacht werden. Dann wird das was!

Stefan Bien, Managing Director von shopfully, betont ebenfalls die Wichtigkeit des Ausbaus der digitalen Infrastruktur – insbesondere für Händler:innen. Von zentraler Bedeutung seien hierbei auch Innovationen im Bereich KI:

Um Deutschlands Position als digitale:r Vorreiter:in weiter auszubauen, ist es wichtig, die digitale Transformation im Handel voranzutreiben. Dabei sollte ein besonderer Fokus auf der Unterstützung von Händler:innen bei der Integration digitaler Lösungen liegen, die neben Print-Prospekten eine effektive, nachhaltige und messbare Ergänzung darstellen können. Die Förderung von Innovationen im Bereich der künstlichen Intelligenz sowie der Ausbau der digitalen Infrastruktur sind ebenfalls entscheidend, um eine datengetriebene Transformation der Handelsstrategien zu ermöglichen. Durch die Berücksichtigung dieser Aspekte im Rahmen der aktuellen Koalitionsverhandlungen könnten sowohl Marken als auch der Einzelhandel unterstützt werden, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und den Erwartungen der zunehmend digital orientierten Konsument:innen besser gerecht zu werden.

Norbert Rautenberg, Gründer und CEO von rexx systems, ist der Meinung: Um bürokratische Hürden in Deutschland abzubauen, ist zunächst eine Digitalisierung nach innen im Öffentlichen Dienst erforderlich.

Die Behörden müssen zunächst nach innen mehr digitalisieren – sei es in Recruiting, HR, Workforce oder Workflows. Nur so bekommen die Leute im Öffentlichen Dienst ein Gefühl dafür, was alles möglich ist, und können dann auch nach außen für die Bürger:innen digitalisieren. Nicht nur die bürokratischen Hürden in Deutschland, sondern auch die der EU müssen abgebaut werden, wenn die Geschäftsmodelle in der Software-Branche funktionieren sollen. Beispiele für zu verschlankende Regelungen: Digital Operational Resilience Act (DORA), Produkthaftungsrichtlinie (ProdHaftRL), Lieferkettengesetz (LkSG) oder der EU AI Act.

Förderung von Startups, Freelancern und nachhaltigen Technologien

Startups tragen einen wesentlichen Teil zur Gestaltung der Digitallandschaft in Deutschland bei. Das weiß auch Damir Tomicic, e-Resident of Estonia und Web-Unternehmer. Er fordert für diese einen vereinfachten Kapitalzugang – und zudem die vollständige Digialisierung von Verwaltungsprozessen:

Als Vertreter der digitalen Wirtschaft fordere ich die Bundesregierung auf, endlich klare Schritte umzusetzen: Deutschland braucht eine leistungsstarke digitale Infrastruktur, vereinfachten Kapitalzugang für Startups und vollständig digitalisierte Verwaltungsprozesse. Estlands Erfolg mit der e-Residency zeigt eindrucksvoll, wie man digitale Innovation gezielt fördert. Wir sollten daraus lernen und schnell eigene Lösungen entwickeln, die unsere digitale Wirtschaft international stärken.

Ebenfalls essenziell für den Fortschritt der Wirtschaft seien Freelancer, die politisch jedoch oft übersehen werden. Das muss sich ändern, meint Thomas Maas, CEO von freelancermap:

Freelancer sind ein Fortschrittsmotor der Wirtschaft – dennoch werden sie politisch übersehen. Gerade für die Digitalbranche sind sie essenziell, um Innovationen voranzutreiben. Die nächste Bundesregierung muss endlich handeln: Erstens braucht es eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens und des Arbeitgeberüberlassungsgesetzes (ANÜ), um die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Freelancern rechtssicher zu gestalten. Zweitens müssen bürokratische Hürden drastisch gesenkt werden. Dort wo Geschwindigkeit und Agilität über den Erfolg entscheiden, darf der administrative Aufwand keine Innovationsbremse sein. Drittens braucht es eine flexible und faire Sozialabsicherung, die die Eigenverantwortung von Freelancern respektiert, ihnen aber gleichzeitig Schutz in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bietet. Ohne diese Reformen riskiert Deutschland, in der digitalen Transformation abgehängt zu werden.

Nicht aus dem Blick geraten sollte derweil auch der Umwelt- und Klimaschutz. Entscheidend sei insbesondere die Förderung nachhaltiger Technologien, betont Phillip Laudien von Teads, für deren Einsatz Anreize geschaffen werden sollten:

Um Deutschland als Digitalstandort voranzubringen, muss sich die künftige Bundesregierung auf Schlüsselbereiche konzentrieren. Ein wichtiger Punkt ist der Ausbau unserer digitalen Infrastruktur, vor allem flächendeckend schnelles Internet und 5G. Das ist die Basis für Innovation und einen digital vernetzten Alltag. Gleichzeitig darf der Umwelt- und Klimaschutz nicht aus dem Blick verloren gehen. Die Regierung sollte Anreize für nachhaltige Technologien schaffen, damit unser Fortschritt zukunftsfähig bleibt. Darüber hinaus ist die Förderung von Startups entscheidend, um unsere Wirtschaft und Innovationskraft zu stärken. Diese Unternehmen treiben oft den digitalen Wandel voran. Ihre Unterstützung, kombiniert mit der Förderung digitaler Kompetenzen in allen Bildungsbereichen, ist essenziell, damit Deutschland vorne mitspielt.



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© Jonny Gios – Unsplash


Gegen Hass und für einen demokratischen Diskurs im Netz – insbesondere inmitten umfassender Kurswechsel großer Tech-Konzerne – spricht sich Pia Frey, CMO von Affinity, aus:

Deutschland muss eine starke Stimme in der EU sein, um den demokratischen Diskurs im Netz zu schützen. Während Plattformen wie Twitter und Meta Moderationsregeln opportunistisch über Bord werfen, dürfen wir Meinungsfreiheit nicht mit schrankenloser Desinformation verwechseln. Die nächste Bundesregierung muss klare Rahmen setzen: Plattformen in die Verantwortung nehmen, Hass und Lügen nicht algorithmisch verstärken – und gleichzeitig Räume schaffen, in denen echte Debatten möglich sind. Nur so bleibt das Internet ein Ort für konstruktiven Austausch statt ein Spielball politischer Extreme.

Aufbruchsstimmung – aber Zweifel an der Umsetzung

Die Digitalbranche zeigt sich erwartungsvoll – doch wie realistisch ist die Verwirklichung der genannten Forderungen? Während 69 Prozent der Teilnehmenden der von FRAUWENK durchgeführten Umfrage es für (sehr) wahrscheinlich halten, dass das neue Ministerium spürbare Fortschritte bewirken kann, bleiben 31 Prozent skeptisch.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine von der adesso SE in Auftrag gegebene Umfrage. Zwar stoßen die im Koalitionsvertrag festgelegten Digitalisierungsvorhaben auf breite Zustimmung – doch ob es mit der Umsetzung klappt, ist eine andere Frage. So glauben nur 45 Prozent der Befragten an einen spürbaren Fortschritt der Digitalisierung in dieser Legislaturperiode. Unter den Geschäftsführer:innen und Vorständen glauben sogar nur 36 Prozent an echte Fortschritte bei der Digitalisierung. Es liegt demnach an der neuen Bundesregierung und dem Digitalministerium, das Vertrauen der Wirtschaft zurückzugewinnen, digitale Vorhaben konsequent umzusetzen und die Grundlage für eine zukunftsfähige, digitale Infrastruktur in Deutschland zu schaffen.



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