Wohlbefinden: Krank und verstimmt: Wie das Immunsystem unsere Emotionen steuert

Schlechte Laune nach einer Erkältung? Viele denken dabei an Schlafmangel, Stress oder schlicht das schlechte Wetter. Doch die wahren Übeltäter sitzen im Körper: Immunbotenstoffe

Apr 29, 2025 - 16:33
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Wohlbefinden: Krank und verstimmt: Wie das Immunsystem unsere Emotionen steuert

Schlechte Laune nach einer Erkältung? Viele denken dabei an Schlafmangel, Stress oder schlicht das schlechte Wetter. Doch die wahren Übeltäter sitzen im Körper: Immunbotenstoffe

Wer krank ist, fühlt sich oft nicht nur körperlich geschwächt, sondern auch emotional neben der Spur: antriebslos, gereizt, melancholisch. Lange galten solche Symptome als bloße Begleiterscheinungen der Erkrankung, gewissermaßen als Kollateralschaden. Doch Forschende entdecken zunehmend, dass unser Immunsystem aktiv in unsere Emotionswelt eingreift.

Der stille Dirigent: Interleukin-17

Im Fokus der neuen Untersuchungen steht ein alter Bekannter aus der Immunologie: das Zytokin Interleukin-17 (IL-17). Zuständig dafür, Entzündungen im Körper anzufachen, zeigte sich in einer Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT), dass IL-17 auch im Gehirn eine erstaunliche Rolle spielt.

Bei Versuchen mit Mäusen fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus: IL-17 beeinflusst Nervenzellen in Hirnregionen, die für soziales Verhalten und emotionale Reaktionen eine zentrale Rolle spielen. Dieses fein abgestimmte System könnte in gesunden Zeiten soziale Bindungen fördern – und unter Stress Rückzug und Angst verstärken.

Entzündung macht Stimmung

Schon länger ist bekannt, dass Infekte weitreichende psychische Auswirkungen haben. Das Phänomen des "Sickness Behavior" beschreibt, wie Infektionen typische Verhaltensänderungen hervorrufen: Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Lustlosigkeit und eine gedrückte Stimmung. Diese Symptome sind kein zufälliges Nebengeräusch der Krankheit, sondern ein biologisch sinnvolles Schutzprogramm. 

Auslöser sind entzündungsfördernde Botenstoffe wie Interleukine oder Chemokine. Sie gelangen über das Blut ins Gehirn und beeinflussen dort Regionen, die für Antrieb, Motivation und positive Emotionen zuständig sind. Untersuchungen deuten darauf hin: Je höher die Konzentration dieser Botenstoffe, desto stärker die Symptome einer depressiven Verstimmung – zumindest vorübergehend.

Eine Studie der Harvard University zeigt etwa, dass bestimmte Immunmoleküle Hirnareale hemmen, die für das soziale Miteinander von zentraler Bedeutung sind. Ebenso reguliert das Protein CXCL10, das bei Virusinfektionen wie Grippe freigesetzt wird, Hirnregionen herunter, die normalerweise an positiven Gefühlen wie guter Laune oder dem Wunsch nach Aktivität beteiligt sind.

Körper und Seele: Ein ständiger Dialog

Was zunächst beunruhigend klingt, ist aus evolutionärer Sicht höchst sinnvoll: Der Körper zwingt sich selbst zur Ruhe, spart Energie und unterstützt so die Heilung. Wer sich bei Krankheit instinktiv zurückzieht, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere vor Ansteckung.

Problematisch wird es allerdings, wenn Entzündungsprozesse chronisch werden – etwa bei Autoimmunerkrankungen oder nach schweren Infektionen. Bleibt das Immunsystem dauerhaft in Alarmbereitschaft, können die psychischen Auswirkungen anhalten und das Risiko für Depressionen erhöhen.

Umgekehrt beeinflussen auch unsere Emotionen die Immunabwehr: Dauerstress, Angst und Traurigkeit fördern Entzündungen und schwächen die Abwehrkräfte, während positive Gefühle wie Freude oder soziale Verbundenheit die Immunfunktion stärken. Körper und Geist befinden sich also in einem ständigen, sensiblen Dialog.

Neue Wege für die Therapie?

Die aktuellen Erkenntnisse aus Harvard und dem MIT eröffnen neue Perspektiven: Wenn das Immunsystem tatsächlich unsere Stimmung beeinflusst, könnten immunmodulierende Therapien künftig auch bei psychischen Erkrankungen helfen.

Bislang richteten sich die meisten Ansätze bei Depressionen und Angststörungen auf neurochemische Prozesse im Gehirn. Zukünftig könnten Immunbotenstoffe als ergänzende oder sogar alternative Zielstrukturen in den Blick rücken.

Noch steht die Forschung am Anfang. Doch eines wird immer klarer: Wer Körper und Seele getrennt betrachtet, greift zu kurz. Unser Immunsystem ist nicht nur ein unsichtbarer Schild gegen Krankheitserreger – sondern auch ein mächtiger, wenn auch bisher kaum beachteter Taktgeber unserer Gefühle.