Vernetzt und doch allein: Warum viele Mütter heute einsamer denn je sind
Obwohl digital so vernetzt wie nie, fühlen sich viele Mütter heute isolierter denn je. Woran das liegt und was hilft.

Obwohl digital so vernetzt wie nie, fühlen sich viele Mütter heute isolierter denn je. Woran das liegt und was hilft.
Im März sorgte Sängerin Chappell Roan (27) für Aufsehen, als sie im Podcast "Call Her Daddy" erklärte: "Alle meine Freundinnen mit Kindern wirken, als seien sie in der Hölle." Sie kenne "niemanden in meinem Alter, der Kinder hat und glücklich ist, niemanden, der Licht in den Augen hat und geschlafen hat". Diese Aussagen stießen auf heftige Kritik - viele empfanden sie als pauschal und verletzend gegenüber Müttern. Doch hinter der provokanten Formulierung verbirgt sich ein Thema, das oft tabuisiert wird: Immer mehr junge Mütter fühlen sich einsam, obwohl sie digital vernetzt sind wie nie zuvor.
So überspitzt Roans Worte auch klingen - das Gefühl tiefer Erschöpfung, Überforderung und innerer Leere ist vielen Müttern nicht fremd. Dabei ist die Einsamkeit von Müttern kein rein modernes Phänomen. "Es hat sich aber in den letzten Jahren verstärkt", erklärt Psychotherapeutin Annika Haffke im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. "Früher lebten Mütter oft in Mehrgenerationenhaushalten oder engen Dorfgemeinschaften. Kinderbetreuung und Familienaufgaben wurden auf viele Schultern verteilt. Es gab täglichen Austausch und soziale Unterstützung - all das konnte dem Gefühl der Einsamkeit entgegenwirken."
Mythos "die perfekte Mutter"
Heute ist das soziale Netz oft dünner. Besonders in Städten leben viele weit entfernt von Verwandten, gleichzeitig sind die Erwartungen an "gute Mütter" enorm gestiegen. Haffke betont: "Der Druck, alles richtig machen zu wollen, bei gleichzeitig fehlender sozialer Unterstützung kann das Gefühl der Isolation und Einsamkeit verstärken."
Auch die Rolle von Müttern hat sich gewandelt - und mit ihr die mentale Belastung. "Es ist längst nicht mehr nur eine einzelne Rolle, sondern eine Vielzahl an Rollen, die Mütter gleichzeitig erfüllen sollen: die liebevolle Mutter, unterstützende Partnerin, engagierte Karrierefrau und verlässliche Freundin. Und all das am besten ohne Kompromisse", so Haffke. Viele dieser Rollen widersprechen sich sogar. Wer schnell in den Job zurückkehrt, bekommt vermittelt, sie kümmere sich zu wenig. Wer sich zu lange rausnimmt, verpasst den Karriereanschluss. "Das Gefühl, es gar nicht richtig machen zu können, kann zusätzlichen Stress verursachen. Dauern Druck und Belastung an, kann unter anderem das Risiko für psychische Erkrankungen oder Burnout steigen."
Es braucht ein neues Dorf - auch in der Stadt
Ein Weg aus der Überforderung kann soziale Unterstützung sein - doch wie realistisch ist das heute noch? "An der Weisheit, dass es 'ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen', ist definitiv etwas dran", sagt Haffke. Nur sieht dieses Dorf heute oft anders aus als früher. Wenn Familie nicht greifbar ist, müssen alternative Netzwerke geschaffen werden: befreundete Eltern, Nachbarn, Bekannte aus Kita oder Schule. Haffke rät zu kreativen Allianzen - etwa durch Fahrgemeinschaften, geteilte Einkaufslisten oder Playdates nach dem Kindergarten. "So können Synergien entstehen, um sich gegenseitig zu entlasten und Freiräume zu schaffen."
Doch wieso fällt es in der heutigen Zeit so schwer, über diese Belastungen zu sprechen? Für Dr. Hanne Horvath, Psychologin und Gründerin der Online-Therapieplattform HelloBetter, liegt ein Problem in den gesellschaftlichen Vorstellungen von Mutterschaft: "Wir sind geprägt von einem Bild der glücklichen Mutter, die in der Fürsorge für ihr Kind Erfüllung findet. Dieses Bild steht vielen Müttern im Weg, wenn sie über ihre Überforderung oder Einsamkeit sprechen möchten." Statt Verständnis begegnet ihnen oft Unverständnis oder gar Schuldgefühle.
Gleichzeitig haben sich die Lebensrealitäten verändert: "In der Vergangenheit war das Leben junger Frauen relativ klar vorgezeichnet - Kinder zu bekommen war fast automatisch Teil davon. Heute ist die Lebensplanung vielfältiger und individueller geworden. Wer sich heute für Kinder entscheidet, erlebt das häufig als Bruch mit dem bisherigen Leben. Diese Diskrepanz kann die emotionale Belastung zusätzlich erhöhen", so Horvath.
Einsamkeit benennen und Social-Media-Konsum hinterfragen
Die Lösung? "Auch wenn es Überwindung kostet: Der erste Schritt ist, offen über die eigenen Gefühle zu sprechen", sagt Dr. Hanne Horvath. "Nur so kann eine wirkliche Entlastung stattfinden und das nähere Umfeld entsprechend reagieren oder unterstützen." Hilfreich sei auch, wieder regelmäßig erwachsene Kontakte in den eigenen Alltag zu integrieren. "Das müssen nicht immer andere Mütter und gemeinsame Unternehmungen mit dem Kind sein, auch wenn das nahe liegt und praktisch erscheint. So kommen Frauen insgesamt ein Stück weit aus ihrer 'Baby- oder Kleinkindblase' heraus."
Wichtig ist laut der Psychologin zudem, den eigenen Social-Media-Konsum zu hinterfragen. "Dabei geht es nicht unbedingt darum, ihn drastisch zu reduzieren, sondern vielmehr darum, Kanäle zu meiden, die Unsicherheit oder Traurigkeit auslösen", erklärt sie und rät: "Stattdessen kann es hilfreich sein, Accounts zu folgen, auf denen Mütter offen über ihre Herausforderungen und Belastungen sprechen. Das nimmt oft den Druck des ständigen Vergleichens."