Es gibt Angebote, die sollte man besser nicht annehmen, auch wenn sie von einer Versicherung kommen. Oder gerade dann.
Dieser Eindruck drängt sich beim Fall der Inhaberin eines Fachgeschäfts für Babykleidung im rheinischen Goch auf. Im Jahr 2024 brannte es in dem Gebäude, in dem sich das Ladenlokal befand.
Zwar griffen die Flammen nicht auf Strampler, Mützen oder Hosen in Kleinstgrößen über. Doch Qualm und Ruß drangen auch in die Fasern der Kleidung ein. Alles stank erbärmlich.
Also machte die Unternehmerin, die anonym bleiben will, bei ihrer Sachversicherung einen Brandschaden geltend. Ihre Erwartung: Ersatz des kompletten Einkaufswerts der betroffenen Ware. Schließlich seien die Kindersachen in diesem Zustand nicht mehr zu verkaufen.
Das sah die Versicherung anders. Die Assekuranz empfahl, die verrußte Kleidung mit Ozon zu reinigen. Das beseitige die Gerüche. Dann könne die Einzelhändlerin alles mit einem Nachlass von 20 Prozent verkaufen. Diesen Preisabschlag, so das Angebot, sei die Versicherung bereit, als Schadensersatz zu zahlen.
Der Unternehmerin entging nach dem Brand Tag für Tag Umsatz; der finanzielle Druck stieg. Also willigte sie ein. Besser ein wenig Geld als gar keines.
Wenn die Versicherung nicht zahlt
Das dürfte ein Fehler gewesen sein. Ozon beseitigt zwar lästige Gerüche, mitunter aber nicht die Schadstoffe.
„Die Folge könnte eine Gesundheitsgefährdung der Kleinkinder beim Tragen der Brandwäsche sein“, fürchtet der Versicherungsberater Andreas Kutschera aus Mönchengladbach, der die Unternehmerin damals beraten hat.
Die Geschäftsinhaberin entschied sich letztlich, die Ware doch nicht zu verkaufen. Und reichte Klage gegen die Versicherung ein. Sie fordert nun die Erstattung von 100 Prozent des Warenwerts. Der Ausgang des Verfahrens ist noch offen.
Ob bei Feuer, Sturm, Überschwemmungen, Diebstahl oder Cyberangriffen – dass Versicherungen kaum etwas unversucht lassen, für Schäden nicht vollständig oder sogar überhaupt nicht aufkommen zu müssen, ist nicht neu.
Doch der Ärger darüber nimmt weiter zu. Scheinbar willkürlich verweigerten die Versicherer immer häufiger die Zahlung, beklagen Makler. „Oftmals sind die Begründungen schlicht nicht nachvollziehbar“, sagt etwa Thomas Haukje von den Nordwest Assekuranzmaklern aus Bremen.
Mangelhafte Schadenbearbeitung: die Ursachen
Wenig verwunderlich ist daher das Ergebnis einer Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler (BDVM) aus dem Herbst 2024. Fast die Hälfte der 149 befragten Maklerhäuser bewertete die Schadenbearbeitung mit der Schulnote 5, also „mangelhaft“, oder sogar 6, „ungenügend“.
Die Unzufriedenheit der Profis hat drei zentrale Ursachen, die für Unternehmerinnen und Unternehmer Gefahren sind:
Die Versicherer lassen sich mitunter sehr viel Zeit, bis sie einen Schaden abschließend bearbeiten und tatsächlich Geld überweisen.
Mit teils fragwürdigen Argumenten rechnen die Assekuranzen ihre Zahlungsverpflichtungen klein.
Mithin verweigern die Versicherer jeglichen Schadensersatz mit dem Hinweis auf Kleingedrucktes in den Verträgen.
Wie können Unternehmerinnen und Unternehmer diese drei Gefahren rechtzeitig erkennen und sich schützen? impulse hat typische Fälle recherchiert und mit Experten gesprochen, was Versicherte beachten müssen, um im Schadenfall nicht leer auszugehen.
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Gefahr 1: Lange Bearbeitungsdauer
Es ist bereits seit Jahren das größte Ärgernis für Versicherungsmakler und -berater, die die Interessen der Versicherten gegenüber den Assekuranzen vertreten: Die Bearbeitungszeit im Schadenfall. „Arbeitsrückstände von mehreren Monaten sind leider keine Seltenheit“, beklagt etwa Makler Haukje.
Es gebe keine persönlichen Ansprechpartner mehr, sondern nur noch Schaden-E-Mail-Adressen. Das läge auch am Personalmangel bei den Versicherungen.
Ein Problem, das besonders deutlich wird, wenn zahlreiche Schäden gleichzeitig auftreten, wie etwa bei der Katastrophe im Ahrtal im Jahr 2021, als eine Sturzflut Milliardenschäden verursachte.
Klaus Blumensaat von der Kanzlei Adversi für Versicherungsberatung aus Mühlheim an der Ruhr fasst seine Erfahrungen so zusammen: „Die Sachbearbeiter lassen die Versicherten mehr oder weniger am langen Arm verhungern. Sie fordern immer weitere Unterlagen an und suchen nach Gründen, den Schadensersatz ablehnen zu können.“
Ganz gleich, ob es sich bei den Verzögerungen um eine Zermürbungstaktik der Versicherer handelt oder nicht: Die Dauer der Schadenregulierung und damit das Warten auf Zahlungen kann Unternehmen in ihrer Existenz bedrohen. „Das ist in der Praxis ein häufiges und ernstes Thema“, sagt Alexander Beurmann vom Internetportal Versicherungsberater.jetzt.
„Daher“, so Beurmanns Rat, „sollten die Versicherten von der Assekuranz stets Vorschüsse fordern.“ Dafür bedarf es jedoch meist der Hilfe eines Beraters oder Maklers.
Gefahr 2: Reduzierte Zahlungen
Ein Sturm? Den gab es gar nicht. Der Kostenvoranschlag für die Reparatur des Dachschadens? Viel zu hoch. Das seien Beispiele für typische Einwände, die der Versicherungsberater Leander Nico Palitzsch-Grawert aus Pockau-Lengefeld im Erzgebirge regelmäßig von Versicherern zu hören bekommt. Solche Fälle, so der Experte, würden zudem oft von sehr „unplausiblen“ oder „mutwillig fehlerhaften“ Gutachten“ begleitet.
Plumpes Verdrehen von Fakten ist jedoch oft gar nicht nötig. Vielfach verweisen die Versicherer einfach auf die genauen Bedingungen im Vertrag, um sich aus der Zahlungspflicht herauszuwinden.
Das musste auch der Inhaber einer IT-Dienstleistungsfirma aus Hessen erleben. Vier bis fünf Mal im Jahr installiert das Unternehmen in großen Handelsbetrieben neue Hardware.
Die Ware wird im Vorfeld gekauft und erst einmal in der Firma gelagert. 2023 stiegen Einbrecher in das Lager ein. Die Diebe klauten Computer und Zubehör im Wert von 240.000 Euro.
Ärgerlich, aber kein großes Problem, dachte der Firmeneigner. Schließlich hatte er eine sogenannte Inhalts-Versicherung. Die Police deckte auch Diebstahl von gelagerter Ware im Wert von bis zu 430.000 Euro ab – das entsprach dem Wert der Laptops, Monitore und anderer IT-Gerätschaft, die üblicherweise in den Firmenräumen stand.
Die Versicherung aber wollte den Schaden trotzdem nicht vollständig bezahlen. Der Grund: In der Nacht des Einbruchs war deutlich mehr Ware am Lager als normalerweise – Gesamtwert: 900.000 Euro.
Komplizierte Versicherungslogik
Was dann geschah ist ein Lehrstück in Sachen Versicherungslogik: Das Diebesgut machte 27 Prozent des Werts des gesamten Lagerbestands aus. Also, argumentierte die Assekuranz, stünden dem Unternehmer als Entschädigung auch nur 27 Prozent der Versicherungssumme zu: genau 114.167 Euro.
Durch die Unterversicherung verlor das Unternehmen somit eine Entschädigung von gut 125.000 Euro. Aber: „Eine solche Kürzung ist legitim und in der Branche üblich“, sagt Versicherungsberater Jörg Huhsmann aus dem niedersächsischen Molbergen, der den IT-Dienstleister vertritt. Mit Entgegenkommen, so die Lektion, müssen Versicherte nicht rechnen.
Um der Unterversicherungsfalle zu entgehen, ist es daher ratsam, regelmäßig über den gesamten Betriebsablauf zu checken, ob die Versicherungssummen ausreichen. Der Versicherungsmakler Johannes Brück aus Düsseldorf vereinbart für seine Kunden zudem – wenn möglich – einen sogenannten Unterversicherungsverzicht mit den Assekuranzen.
Gefahr 3: Verweigerte Zahlung
Obliegenheitsverletzung – ein Wort, das kaum jemand kennt. Für Versicherte aber hat es große Bedeutung. Es ist so etwas wie die Carte Blanche der Versicherer, um Ansprüche ihrer Kundinnen und Kunden abzulehnen.
Was also sind Obliegenheitsverletzungen? Obliegenheiten sind Verpflichtungen. In Versicherungsverträgen beschreiben sie Bedingungen, die Versicherte erfüllen müssen, um im Schadenfall Geld oder anderen Schutz zu erhalten.
Das reicht von der Installation einer Alarmanlage über die Information des Versicherers, wenn ein Unternehmen Gefahrstoffe wie Sprengstoff oder Säure lagert, bis zur Einhaltung diverser Arbeitsschutzregeln.
Versicherungsmakler berichten, dass die Assekuranzen seit einigen Jahren diese oft nur vage formulierten Klauseln in den Policen zunehmend streng auslegen. Im Ergebnis käme es „immer wieder zu Kürzungsversuchen“ bis zur vollständigen Zahlungsverweigerung, bestätigt Thomas Billerbeck, Präsident des Makler-Verbands BDVM.
Einzelfall mit Breitenwirkung
Und künftig dürften die Versicherungen den Joker noch häufiger ziehen. Das liegt daran, dass der Bundesgerichtshof Ende 2024 eine umstrittene Generalklausel in einer Police für rechtmäßig erklärt hat. In dem verhandelten Fall aus dem Jahr 2018 weigerte sich die Versicherung eines Hauseigentümers für einen Brandschaden aufzukommen.
Was war geschehen? Im Erdgeschoss des Gebäudes betrieb der Immobilienbesitzer eine Pizzeria. Ein neu installierter Pizzaofen ging in Flammen auf. Das Feuer verursachte massive Schäden an Dachstuhl und Fassade, die sich auf rund 474.000 Euro summierten. Zunächst zahlte die Versicherung einen Vorschuss von 100.000 Euro.
Doch dann kam die Kehrtwende. Der Versicherer forderte nach genauer Analyse das bereits gezahlte Geld zurück. Der Grund: Der Bezirksschornsteinfegermeister hatte nur den in Bau befindlichen Ofen besichtigt und Vorgaben für den Weiterbau gemacht.
Eine endgültige Abnahme des fertigen Ofens war nie erfolgt. Daher warf die Assekuranz dem versicherten Unternehmer einen Verstoß gegen die Obliegenheiten vor – genauer: gegen Sicherheitsvorschriften aus der Landesbauordnung.
Das stand so konkret jedoch gar nicht in der Police. In dem Vertrag war, wie in fast allen Policen für Sachversicherungen, lediglich eine Klausel aufgeführt, wonach „alle gesetzlichen, behördlichen sowie vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften“ einzuhalten seien. Der Gastronom und Hauseigentümer bestand auf Schadensersatz und klagte.
Hilfe vom BGH – für die Versicherer
Nachdem er vor dem Landgericht Stade zunächst verloren hatte, gab ihm das Oberlandesgericht in Celle in der zweiten Instanz recht. Die Richter hielten den Passus, weil zu unbestimmt, für „intransparent“ und somit für unwirksam.
Doch der Versicherer gab nicht auf –und hatte schließlich vor dem BGH Erfolg. Der entschied, die strittige Klausel sei in Ordnung (Az.: IV ZR 350/22).
Zwar ging es in dem Fall um eine Wohngebäudeversicherung. Juristen halten die Entscheidung aber für übertragbar auf die Sach-, Ertragsausfall- und Industrieversicherung.
Vor allem Sicherheitsvorschriften, die sich aus dem Arbeitsschutzrecht ergeben, müssen demnach künftig penibel eingehalten werden. So müssen Unternehmerinnen und Unternehmer zum Beispiel für eine ausreichende Anzahl von Feuerlöschern sorgen, die Fluchtwege markieren oder Elektrogeräte regelmäßig von Experten prüfen lassen.
Bei vorsätzlichem Verstoß – wenn etwa die Berufsgenossenschaft schon zur Prüfung aufgefordert hatte, aber nichts passiert ist – könnte ein Versicherer die Leistung sogar komplett verweigern. Schadenverhütung ist also oberstes Gebot.
5 Tipps: Was Profis raten
Die Versicherer stehen unter Druck. Die immer häufiger auftretenden Starkregen und Überschwemmungen haben tiefe Löcher in die Kassen gerissen.
Desto stärker achten die Assekuranzen bei Risiken, die von Firmen beeinflussbar sind, auf die Vermeidung von Schäden. Speziell beim Brandschutz und der Prävention von Wasserschäden durch Leckagen in den Leitungen verlangen die Versicherer deshalb umfangreiche Vorkehrungen.
Risikoprävention nur auf Basis der gesetzlich vorgegebenen Mindeststandards sei nicht mehr ausreichend, um weiterhin Versicherungsschutz zu erhalten, sagt Thomas Bischoff, Vorstand des Versicherungskonzerns Barmenia-Gothaer. Versicherungsberater Jörg Huhsmann gibt Unternehmerinnen und Unternehmern daher fünf Tipps für eine reibungslose Abwicklung von Schäden in der Zukunft:
Bestehe auf einem Jahresgespräch und einer Betriebsbesichtigung mit der Assekuranz.
Fordere eine Dokumentation des Jahresgesprächs und der Betriebsbesichtigung. Im Streitfall hast du dann Belege darüber, dass die Versicherung über die versicherten Risiken vollständig im Bilde war.
Lasse dich über die Einhaltung von Obliegenheiten aufklären – also die Wartung von Maschinen, die Nutzungsart von Gebäuden, die Sicherheitsvorschriften im Vertrag, die Wartung von elektrotechnischen Einrichtungen und des Brandschutzes.
Lasse die zu versichernden Werte in den Sachversicherungen und der Betriebsausfallversicherung ermitteln und die Herleitung dokumentieren. Nur so lässt sich vermeiden, dass die Assekuranz im Schadenfall eine Unterversicherung moniert.
Lasse bei hoher Schadenhäufigkeit die Ursachen analysieren und teile präventive Änderungen im Betriebsablauf aktiv der Assekuranz mit. Auch das kann dir helfen, im Schadenfall Leistungskürzungen abzuwehren.Auf der folgenden Doppelseite findest du eine Checkliste, die dir hilft, im Schadenfall finanziellen Ausgleich von der Versicherung zu bekommen.
Rechtsfragen: Dürfen die das wirklich?
Versicherungsschutz hat Grenzen. Doch wenn die Versicherung behauptet, sie dürfe den Schadensersatz reduzieren, ist Vorsicht geboten. Drei rechtliche Kniffe, die du kennen solltest:AbfindungserklärungenVersicherungen machen mitunter Angebote, die zunächst verlockend erscheinen – bei näherer Betrachtung aber den Schadensersatz reduzieren. Dazu zählen sogenannte Abfindungserklärungen. Oftmals verbinden Assekuranzen die Offerte mit dem Hinweis, der Schaden wäre nicht voll versichert oder es gäbe Pflichtverletzungen des Versicherten.„Damit stellen sie die Kunden vor die Alternative: schnelles Geld oder langwierige Auseinandersetzung“, warnt Philipp Schulz, Fachanwalt für Versicherungsrecht aus Lüneburg. Eine Unterschrift unter die angebotene Abfindungserklärung ohne genaue Überprüfung könne den Versicherungsnehmer teuer zu stehen kommen. „Daraus kann sogar ein persönlicher Haftungsfall für den verantwortlichen Geschäftsführer entstehen“, warnt Schulz. Stellt sich etwa später heraus, dass der Versicherer in vollem Umfang hätte leisten müssen, muss der Geschäftsführer für den Restschaden aufkommen.VorsatzWer bewusst, also vorsätzlich, einen Schaden verursacht, hat keinen Anspruch auf Ersatz vom Versicherer. Vor allem bei Bränden prüfen die Assekuranzen akribisch, ob der oder die Versicherte selbst den Brand gelegt hat – also Versicherungsbetrug vorliegt.„Den Versuch, mit solchen Vorwürfen die Leistung zu verweigern, sollte man umgehend mit einem scharf formulierten Anwaltsschreiben und Androhung einer Klage entgegentreten“, rät Klaus Schneider, Fachanwalt für Versicherungsrecht von der Kanzlei Dr. Schneider & Partner aus Langenhagen.Grobe FahrlässigkeitVersicherte dürfen nicht jedes Risiko eingehen, nach dem Motto: Wenn‘s schiefgeht, zahlt die Versicherung. Auf Juristendeutsch heißt das: Wer die erforderliche Sorgfalt beim Vermeiden von Schäden in besonders schwerem Maße verletzt, handelt grob fahrlässig. Die Folge für Versicherte: Sie müssen mit einer Kürzung nach Schwere ihres Verschuldens rechnen. Das gilt nicht bei „einfacher“ Fahrlässigkeit. Es geht also immer um die Frage, wie schwer die Sorgfaltspflicht verletzt wurde. Um den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu entkräften, ist das Einholen von juristischem Rat meist sinnvoll.
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