Sicherheit: Quereinsteiger bei der Bundeswehr: "Ich hatte den Impuls, etwas zu tun"

Eine Ärztin, ein ehemaliger Kriegsdienstverweigerer und ein Logistik-Manager erzählen, warum sie jetzt einen Crashkurs zum Reservisten bei der Bundeswehr machen.

Mär 20, 2025 - 16:01
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Sicherheit: Quereinsteiger bei der Bundeswehr: "Ich hatte den Impuls, etwas zu tun"

Eine Ärztin, ein ehemaliger Kriegsdienstverweigerer und ein Logistik-Manager erzählen, warum sie jetzt einen Crashkurs zum Reservisten bei der Bundeswehr machen.

Jennifer Schwoerer, 48, Ärztin: "Nur den nächsten Urlaub zu planen und sich die Fingernägel zu lackieren, finde ich aus der Zeit gefallen"

Ich hatte 2023 ein Schlüsselerlebnis. Mein Bruder hatte mich damals eingeladen zu einer sicherheitspolitischen Veranstaltung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Unter anderem sprach dort der damalige Generalsinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Folgen für Europa. In dem Moment habe ich verstanden, was ich längst geahnt hatte, aber nicht wahrhaben wollte: dass meine Welt nicht mehr so nett und kuschelig ist, wie ich es lange glaubte, dass Werte, die ich für selbstverständlich hielt, bedroht sind. 

Ich hatte den Impuls, etwas zu tun und dachte, was mache ich bloß? Ich bin ungedient. Das Einzige, was ich kann, ist Medizin. Also die retten und heilen, die uns verteidigen. 

Ich bin damals mit vielen Leuten ins Gespräch gekommen, mit Soldaten, über Oberste bis zum Admiral, und habe mir deren Geschichten angehört, deren Motivation. Auch mit internationalen Offizieren habe ich geredet, die teils aus Ländern kamen, denen schon mal alles um die Ohren geflogen ist. 

Schließlich habe ich mich beworben für den Seiteneinstieg in die Laufbahn Reserveoffiziere, es hat insgesamt über ein Jahr gedauert, bis ich vorläufig beordert wurde. Einige meinten, das ging aber schnell bei dir. Mein Kommandeur, dem ich zugeordnet bin, schlug die Hände über den Kopf zusammen und meinte, so kann man kein Personal gewinnen, das dauert viel zu lange. Aber das Schöne an der Bundeswehr ist, wenn man wirklich überzeugt ist von etwas und es machen möchte, dann findet man auch Unterstützer. 

"Egal, ob Rotes Kreuz, THW oder Bundeswehr, Hautpsache man engagiert sich"

Ich habe bereits mehrere Wochen als Oberfeldarzt der Reserve am Bundeswehrkrankenhaus gearbeitet. Dort übe ich aber im Prinzip die gleichen Tätigkeiten als Anästhesistin aus wie im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, meinem zivilen Arbeitgeber. Mein Ziel ist es, mich weiter in der Wehrmedizin zu qualifizieren und in der Lage zu sein, schwerstverwundete Soldatinnen und Soldaten zu behandeln. Demnächst stehen für mich mehrere Module an der Sanitätsakademie in München an, um endgültig beordert zu werden. 

Das alles kostet Zeit, und es fällt mir nicht leicht, sie zu investieren. Meine Kinder sind neun und zwölf Jahre alt, sie finden es spannend, was ich da mache. Ich möchte ihnen zeigen, dass es wichtig ist, sich zu engagieren. Die beiden führen regelmäßig Tierheimhunde aus, das finde ich toll. Man kann auch zum Technischen Hilfswerk gehen oder zum Roten Kreuz. Aber nur den nächsten Urlaub zu planen und sich die Fingernägel zu lackieren, finde ich aus der Zeit gefallen.

Über die Bundeswehr wird viel gemeckert, wir haben nur diese, ich stehe voll hinter ihr, und ich will da mit machen.

Achim, 52, Informatiker: "Ich war Kriegsdienstverweigerer"

Ich bin mit der allgegenwärtigen Bedrohung durch Atomwaffen groß geworden, Aufrüstung war ein ständiges Thema in den Nachrichten. Als die Mauer fiel und der Kalte Krieg endete, war ich begeistert. Sollten die Menschen tatsächlich das Wettrüsten und die ständige Bedrohung überwunden haben? Als die Bundeswehr ankündigte, mich nach dem Abitur einziehen zu wollen, habe ich den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigert und stattdessen meinen Zivildienst geleistet. Ich betreute über 15 Monate hinweg Dialysepatienten in einer Kölner Klinik. Damals wie heute finde ich, dass das ein wichtiger Beitrag für die Gesellschaft war.

"Es mag albern klingen, aber ich habe das Bedürfnis, meine Familie zu beschützen"

Auch durch den Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich meine Einstellung zum Dienst an der Waffe geändert. Mittlerweile bin ich Familienvater von zwei Kindern, die neun und fünf Jahre alt sind. Es mag albern klingen, aber ich spüre durchaus das Bedürfnis, meine Familie beschützen zu wollen. Und da stellt sich die Frage, wie ich dies sinnvoll und effektiv tun kann.

Die Bundeswehr ermöglicht mir, durch eine hochwertige Ausbildung zum Reservisten im Heimatschutz einen kleinen Beitrag zu leisten, damit das Land im Bündnisfall weiter funktionieren kann. Es geht beispielsweise darum, kritische Infrastruktur zu schützen. Strom, Wasser, die Versorgung mit Lebensmitteln – all dies sollte gewährleistet sein. Die Reservisten im Heimatschutz können dabei helfen.

Im Rahmen meiner Ausbildung habe ich bereits einige Soldaten kennenlernen dürfen. Alle hoffen, nicht in Kampfhandlungen verwickelt zu werden, da sie wissen, was das bedeuten kann. Sie leisten ihren Beitrag, damit das nicht passiert.

Doppelpoträt eines Mannes in zivil und in Uniform
Tim Boch, 36, Manager in einem Logistikunternehmen, hatte schon länger den Wunsch, etwas für sein Land zu tun. Vor zwei Jahren begann er beim Marinekommando Rostock eine Ausbildung zum Reserveoffizier
© Boch

Tim Boch, 36, Key Account Manager in einem Logistikunternehmen: "Deutschland ist ein tolles, schützenswertes Land"

Vor vier Jahren kamen bei mir Gedanken auf, dass ich gern etwas zurückgeben würde an die Gesellschaft. Ich komme aus relativ einfachen Verhältnissen und konnte so viel erreichen, das Abitur, die Ausbildung, ein Studium, die Karriere in der Logistik, ein Leben in Freiheit. Ich bin viel in der Welt herumgekommen für meinen Beruf und habe gesehen, dass das nicht selbstverständlich ist und wie gut es uns in Deutschland geht. Ich war zum Beispiel in Liberia und Kambodscha und erlebte von Bürgerkriegen zerrüttete Länder, wo die Infrastruktur komplett brach lag. Viele Kinder lebten auf der Straße, die Armut war groß. Das ging mir einfach sehr nahe, da fängt man an, nachzudenken. 

Ich finde, Deutschland ist, trotz aller Probleme, ein tolles, schützenswertes Land.

Ich habe dann überlegt, ob ich mich beim Technischen Hilfswerk engagiere oder ein Ehrenamt im Sportverein übernehme, aber mich hat das Militärische mehr interessiert, besonders die Marine. Deshalb habe ich mich als Mensch ohne Militärerfahrung 2021 für die Ausbildung zum Reserveoffizier bei der Marine beworben. Das Assessment Center fand dann in Köln statt, zwei Tage lang wurden wir getestet – körperliche Leistungsfähigkeit, logisches Denken, Mathe, Rechtschreibung, psychologische Belastbarkeit, in einem Abschlussgespräch wurden viele persönliche Fragen gestellt. Es war anstrengend, hat aber auch Spaß gemacht. 

Nachdem ich das geschafft hatte, erhielt ich die Beorderung vom Marinekommando Rostock. Wegen der Corona-Pandemie ging die eigentliche Ausbildung erst 2023 richtig los, das waren zwei mal zwei Wochen Grundausbildung und drei mal drei Wochen Offizierslehrgänge – Bewegen im Gelände, Ausbildung an der Waffe und im Sanitätsdienst, politische Bildung. Alles natürlich sehr an der Oberfläche aufgrund der Kürze der Zeit. 

"Ich werde vier bis sechs Wochen freigestellt vom Job"

Ich bin nicht für die aktiv kämpfende Truppe ausgebildet. Als Reserveoffizier ersetze ich Soldaten vorwiegend in Stabstätigkeiten und der Verwaltung, wenn die im Einsatz sind oder anderswo gebraucht werden. Die Bundeswehr hat in der Vergangenheit viel zur Sicherung von Handelswegen beigetragen, zum Beispiel mit dem Marineeinsatz Atalanta zum Schutz von Hilfslieferungen nach Somalia und zur Bekämpfung von Piraterie oder im Mittelmeerraum wie dem UNIFIL-Einsatz vor dem Libanon und im Seegebiet der Levante. Ich bin überzeugt, dass ich da künftig auch meine Expertise in der maritimen Logistik einbringen kann. 

Mit meinem Arbeitgeber gibt es ein Agreement, dass ich dafür vier bis sechs Wochen verteilt über das Jahr freigestellt werden kann. Die Bundeswehr zahlt in der Zeit mein Nettogehalt. 

Der Angriff auf die Ukraine hat mich noch mehr bestärkt, diesen Weg weiterzugehen. Ich glaube, bis zu dem Zeitpunkt, als der Angriffskrieg losging, konnten sich das ganz viele Menschen nicht vorstellen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt schnell umdenken. Die friedlichen Zeiten, die wir jahrzehntelang hatten, sind vorbei. Wir werden von Aggressionen bedroht, und diese Bedrohungslage gilt es abzuwehren, auch für kommende Generationen. Meine Tochter ist jetzt vier Jahre alt. Ich möchte, dass auch sie so friedlich und frei aufwachsen kann, wie ich es durfte.