Psychologie: Wir wir Weisheit trainieren – und warum Altern allein nicht reicht

Manche Menschen geben oft wertvollen Rat in schwierigen Situationen und handeln meist lebensklug und gelassen. Eine natürliche Begabung? Oder kann man Weisheit trainieren? 

Mär 5, 2025 - 17:15
 0
Psychologie: Wir wir Weisheit trainieren – und warum Altern allein nicht reicht

Manche Menschen geben oft wertvollen Rat in schwierigen Situationen und handeln meist lebensklug und gelassen. Eine natürliche Begabung? Oder kann man Weisheit trainieren? 

Wer kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie nach einem weisen Menschen in Ihrem Leben suchen? Würden Sie sich selbst als weise bezeichnen? Und wo stecken heute nur all die dringend benötigten Weisen in der Gesellschaft, jene, die gelassen und mit Überblick lebensklugen Rat erteilen? Die Ruhe, Gelassenheit und Überblick in Debatten bringen? Vielleicht merken Sie aber auch bereits: Es ist gar nicht so leicht, diese Eigenschaft präzise zu erkennen.  

Dabei gibt es die psychologische Weisheitsforschung in Deutschland schon seit Jahrzehnten. Wer nach einer Definition des Weisheitsvermögens sucht, stößt auf den großen, 2006 verstorbenen Psychologen Paul Baltes. Baltes war Altersforscher am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und widmete seine Aufmerksamkeit dem was Menschen weise macht, an seiner Seite forschten seine später berühmten Zöglingen wie Gerd Gigerenzer und Ursula Staudinger. Er und seine Schüler holten die Weisheit tatsächlich ins Labor und legten zahlreiche Experimente auf. Bekannt sind ihre Studien als das "Berliner Weisheitsparadigma". Sie befragten Menschen verschiedenen Alters über Lebensdilemmata und knifflige Situationen und bewerteten deren Antworten auf einer Weisheitsskala. Beispielsweise luden sie Probanden ein zu reflektieren, was zu tun sei, wenn eine 15-Jährige unbedingt von zuhause ausziehen will.  

Baltes gelangte so zur Definition, dass Weisheit Fachwissen sei und Expertentum über gute Lebensführung und den Sinn des Lebens umfasse. Ein weiser Mensch ist also jemand, der Klarheit darüber erlangt hat, wie er im Leben gewichtet und der ein solches Leben sicher und strategisch planen kann. Weisheit wird als Urteilssicherheit bei schwierigen Fragen und Situationen des Lebens gefasst und zugleich als Fähigkeit, richtig zu selegieren. Denn ein weiser Mensch läuft nicht ewig falschen Fährten hinterher, sondern setzt Energie und Zeit für das ein, was im Einklang mit seinen Werten steht.  

Die Anlagen für Weisheit müssen entwickelt werden 

Für Baltes war Weisheit zentral, um auf gute Art und Weise zu altern. Zugleich ist Weisheit auch eines der wenigen positiven Altersstereotype. Allerdings garantieren die Lebensjahre keineswegs automatisch eine größere Portion an Lebensklugheit. Im schlimmsten Fall setzen mit den Jahren Starrsinn und Bitterkeit ein. Weisheit erfordert eine gewisse Haltung, Erlebtes einzuordnen, zu reflektieren und mit den Aufs und Abs des Lebens besonnen umzugehen. Das Team um Baltes unterschied verschiedene Stufen des Weisheitsvermögens und schätzte, dass Menschen ungefähr ab dem Alter von 20 bis 25 Jahren die erste Stufe von Weisheit und Lebenserfahrung erklimmen. Die Weisheitszutaten sind dann angelegt, köcheln allerdings noch auf Sparflamme. Sie müssen nun durch täglich gelebtes Leben entwickelt werden. Oder sie verkümmern.    

Weisheit setzt nämlich gelebtes Leben und daraus abgeleitetes Wissen voraus. Wie aber handeln Menschen, die ihre Weisheitsanlagen vortrefflich fördern? Lebenskluge Menschen zeigen nach Auffassung der Psychologen vor allem eine offene und tolerante Einstellung gegenüber Leben und Positionen der Mitmenschen. Sie bleiben neugierig, flexibel und lernbereit, entwickeln sich also anhand von Fehlern und Scheitern in ihrem Leben weiter. 

Hohe Weisheitswerte erteilten Baltes und sein Team all jenen, die sich in der Lage zeigten, bei Lebensproblemen die Perspektiven anderer Menschen zu berücksichtigen, die also empathisch handelten und bei einem Streit reflektierten, warum das Gegenüber auf eine bestimmte Weise reagierte. Psychologinnen wie Judith Glück, ebenfalls eine Weisheitsforscherin, halten auch einen guten Umgang mit Gefühlen und eine Gelassenheit im Umgang mit diesen für eine Facette von Weisheit. 

Weisheit gewinnt man in Beziehungen 

Weisheit ist durchaus ein zwischenmenschliches Vermögen, vergrößert sich vor allem in sozialen Beziehungen und kann nicht als Expertenwissen im Elfenbeinturm der Wissenschaft erworben werden. Zwar ist Wissen ein Teil von Weisheit. Sie korreliert aber keineswegs vollständig mit Wissen und Intelligenz. Ein intelligenter Mensch, der viel weiß, aber keine Spur von Weisheit zeigt, ist durchaus denkbar. Denn Weisheit ist praktisch, hat mit der Bewältigung von Lebensproblemen und mit Beziehungserfahrungen zu tun. Manche Forschende betonen die Zwischenmenschlichkeit, indem sie Weisheit sogar als Selbsttranszendenz formulieren, einen guten Rat also nicht aus Eigeninteresse und für das eigene Kompetenzansehen zu geben, sondern wirklich um des anderen willen.  

Einige Forschende halten sogar Lebenskrisen und schmerzhafte Erfahrungen für förderlich, um weiser zu werden. So zeigten Frauen in einer Studie von Pamela Sue Hartmann höhere Weisheitswerte in der Lebensmitte, nachdem sie schwierige Lebensphasen in Beruf und Liebe erlebt hatten, etwa eine Trennung oder einen unerwarteten Bruch gemeistert hatten. Sie hatten sich dadurch mit zentralen Lebensfragen beschäftigen müssen und waren weiser geworden,  indem sie Antworten und Lösungsstrategien gefunden hatten. Manche sprechen daher in einem Atemzug von Weisheit als posttraumatischem Wachstum, also jener gesteigerten Resilienz, die nach traumatischen Erfahrungen zuweilen eintritt. 

Wie lässt sich Weisheit trainieren? 

Neben dem prominenten Zweig der deutschen Weisheitsforschung widmen sich auch US-amerikanische Forschende der Vermessung der Weisheit. Vor Kurzem haben Forschende um Dilip Jeste von der University of California in San Diego einen Index veröffentlicht, der sieben Komponenten für Weisheit umfasst. Demnach zeichnen sich weise Menschen durch emotionale Stabilität, pro-soziales Verhalten, Selbstreflexion, Akzeptanz unterschiedlicher Perspektiven, Hilfsbereitschaft, Entscheidungsfreude und eine milde Neigung zum Spirituellen aus.

Wie aber werden wir nun alle weiser? Können wir die Tugend selbst trainieren? Vermutlich würde ein weiser Mensch auf diese Frage antworten, dass diese Aufgabe selbst zu lösen sei. Allerdings gibt es Wege, um sich zu inspirieren. 

So empfehlen einige Ratgeber, sich nach Mentoren umzusehen und sich mit den Biografien von Menschen zu beschäftigen, die einem als weise erscheinen. Psychologen empfehlen auch, sich die weiseste Person vorzustellen, die einem einfällt und sodann zu versuchen, jeden Tag von Neuem wie diese zu agieren. Da Weisheit vor allem einen offenen Geist, Neugier und die Fähigkeit zum Perspektivwechsel voraussetzt, kursiert auch der Tipp, bewusst zwei Medien zu abonnieren, die sich auf unterschiedlichen Seiten des politischen Spektrums befinden. 

Die besten Chancen, weise zu werden, haben Menschen, die jeden Tag aus dem, was ihnen begegnet, lernen. Solche Menschen, gelassen und lebensklug, können dann auch zu weisen Stimmen der Gesellschaft werden, die wir allem Anschein nach mehr und mehr brauchen. Das "More-Wisdom-Modell" um Entwicklungspsychologin Judith Glück fasst eine Handlungsempfehlung so: M steht für Mastery, also dafür zu wissen, dass man im Leben nie alles unter Kontrolle hat. O steht für Offenheit, R für das Reflektieren der Erfahrungen und E für die Empathie. Die Route fürs innere Navi ist damit klar vorgezeichnet.