Neuer Fund: Verzweifelter Rettungsversuch: Die letzten Minuten einer Familie in Pompeji
Der Ausbruch des Vesuvs überraschte viele Menschen in Pompeji. Neue Grabungen zeigen, wie eine Familie vergeblich versuchte, sich in ihrem Haus vor Lava und Asche zu schützen

Der Ausbruch des Vesuvs überraschte viele Menschen in Pompeji. Neue Grabungen zeigen, wie eine Familie vergeblich versuchte, sich in ihrem Haus vor Lava und Asche zu schützen
Es müssen verzweifelte letzte Stunden und Minuten gewesen sein im Haus "Helle und Phrixus" in der Via del Vesuvio. Als im Herbst des Jahres 79 n. Chr. in Pompeji erst die Erde bebt und dann der nahe gelegene Vesuv Asche spuckt, versammeln sich die Menschen im Inneren des reich mit Wandmalereien verzierten Hauses, vielleicht umarmen sie sich, vielleicht versuchen sie einander Trost und Hoffnung zu spenden. Doch diese Hoffnung schlägt spätestens dann in Verzweiflung um, als der erste Regen aus Lapilli, vulkanischen Steinchen, auf das Haus niederprasselt – und vermutlich durch eine Öffnung für das Regenwasser im Artium ins Innere eindringt.
Was dann geschieht, zeigen neue Ausgrabungen in Pompeji, über die eine Veröffentlichung im E-Journal "Scavi di Pompei" berichtet: Die Bewohnerinnen und Bewohner flüchten vor den Geschossen in das Schlafzimmer des Hauses und verbarrikadieren dessen Tür mit einem Bett. Doch alle Versuche, sich vor der Naturgewalt zu schützen, sind vergeblich: Spätestens als die pyroklastischen Ströme aus heißer Asche die Stadt unter sich begraben, gibt es auch aus dem Haus in der Via del Vesuvio kein Entkommen mehr.
© SV_POMPEII
Im Schlafzimmer haben Forschende die sterblichen Überreste von mindestens vier Menschen ausgegraben, darunter ein Kind. Ihm gehörte vermutlich eine ebenfalls dort entdeckte bronzene Bulla: ein Amulett, das römische Jungen bei sich trugen, bis sie das Erwachsenenalter erreichten – und das vor Unglück schützen sollte. Auch das Bett, mit dem die Menschen die Tür des Zimmers verbarrikadierten, hat seine Spuren hinterlassen: Das im Lauf der Zeit verrottete Holz seines Rahmens hinterließ in der erstarrten Asche Hohlräume, die die Forschenden mit Gips füllten und so den Abdruck des Bettes rekonstruierten.
Nur wer aus Pompeji floh, überlebte
"Pompeji auszugraben und zu besuchen bedeutet, mit der Schönheit der Kunst, aber auch mit der Unsicherheit unseres Lebens konfrontiert zu werden", sagt der Parkdirektor Gabriel Zuchtriegel, in einer Pressemitteilung. Gegen die pyroklastischen Ströme, die hier wie in den anderen Häusern jeden Raum füllten, hätten die Bewohnerinnen und Bewohner keine Chance gehabt. Zudem hätten die seismischen Erschütterungen zu diesem Zeitpunkt bereits viele Gebäude zum Einsturz gebracht.
Das Haus "Helle und Phrixus" verfügte einst neben dem Schlafzimmer und einem Atrium mit Wasserauffangbecken auch über einen Festsaal (Triclinium) mit reich verzierten Wänden. Dort ist auf einem Wandgemälde der Mythos von Helle und ihrem Bruder Phrixos verewigt, der dem Haus seinen Namen gab. Solche Darstellungen der griechischen Mythologie hatten im 1. Jahrhundert n. Chr. meist keinen religiösen Wert mehr, sondern dienten in den Häusern der Mittel- und Oberschicht der Unterhaltung und Zierde.
Die Forschenden gehen davon aus, dass sich das Haus zum Zeitpunkt des Vulkanausbruchs im Umbau befand: Entfernte Schwellen, fehlende Verzierungen an einigen Stellen und abgeschnittene Mauerstücke im Eingangsbereich deuten darauf hin, dass es renoviert wurde. Offensichtlich wurde das Haus dennoch weiter bewohnt und die Menschen entschieden sich beim Ausbruch des Vesuvs, darin Schutz zu suchen – eine fatale Entscheidung. Viele der geschätzt 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner Pompejis ergriffen die Flucht und überlebten. Bislang wurden in der Stadt die sterblichen Überreste von etwa 2000 Menschen gefunden.