Mathematik: Von wegen stupide: Auswendiglernen erleichtert die Problemlösung
Kleines Einmaleins, großes Einmaleins: Auswendiglernen ist verhasst und gilt als antiquiert. Doch auch im modernen Unterricht hat es seine Bedeutung, zeigt eine neue Studie

Kleines Einmaleins, großes Einmaleins: Auswendiglernen ist verhasst und gilt als antiquiert. Doch auch im modernen Unterricht hat es seine Bedeutung, zeigt eine neue Studie
7 mal 6 gleich 42. 7 mal 7 gleich 49. 7 mal 8 gleich 56 … Na, können Sie es noch? Spätestens beim Großen Einmaleins ist für viele Menschen Schluss. Aber schon beim Kleinen stolpern manche Erwachsene. Die Zahlenreihen sind, anders als früher, kein selbstverständliches Grundwissen mehr, und das, obwohl sie noch immer in der Grundschule gepaukt werden.
Das Auswendiglernen ist nicht nur unbeliebt, es gilt im Wortsinne auch als "old school". Sollte das Auswendiglernen nicht eher einer tiefergehenden, konzeptionellen Beschäftigung mit Mathematik weichen? Und sind Multiplikationstabellen nicht eh überflüssig in Zeiten von Taschenrechner-Apps?
Eine Forschungsgruppe aus verschiedenen US-amerikanischen Universitäten hat diese Fragen neu untersucht. Ihre Erkenntnisse aus der kognitiven Entwicklungsforschung hat sie in der Zeitschrift "Psychological Science in the Public Interest" veröffentlicht. Die Studie mit dem Titel "What the Science of Learning Teaches Us About Arithmetic Fluency" ("Was uns die Wissenschaft vom Lernen über die Rechenfertigkeit lehrt") will aufzeigen, wie sich die Rechenfertigkeit von Kindern am besten fördern lässt. Diese ist im Allgemeinen als die Fähigkeit definiert, mathematische Probleme schnell und genau zu lösen. Die Forschenden schlagen eine erweiterte Definition von Rechenfertigkeit vor, die nicht nur das automatische Erinnern von Fakten wie 6 × 8 = 48, sondern auch das Erkennen und Verwenden von Zahlenbeziehungen zur Lösung von Problemen umfasst.
Dennoch sprechen sie sich nicht gegen das Auswendiglernen aus, im Gegenteil: Dies sei als Teil des Lernprozesses wichtig. Wer bestimmte Rechenabläufe und Fakten automatisiert habe, könne sich besser auf die zugrunde liegenden Zusammenhänge konzentrieren und damit ein tieferes Verständnis der Mathematik entwickeln.
Die Forschenden plädieren für einen evidenzbasierten Zyklus, mit dem Kinder im Unterricht am effektivsten lernen: Zunächst sollten Fakten (etwa das Einmaleins) präsentiert werden, mitsamt einem konzeptuellen Grundverständnis. Dann sei eine kurze Phase der Übung mitsamt Auswendiglernen sinnvoll, um diese Fakten zu internalisieren. Schließlich sollten die Lernenden zur Diskussion zurückkehren und das Gelernte reflektieren, um das Verständnis des neuen Wissens zu vertiefen.
"Wir möchten klarstellen: Pädagog*innen müssen sich nicht zwischen zeitlich begrenztem Üben und ausführlichen Diskussionen im Klassenzimmer entscheiden", so die Hauptautorin Nicole McNeil. Kurze Übungen festigten die Fakten im Gedächtnis. Diskussionen wiederum helfen, die Fakten in ein integriertes Wissensnetzwerk einzubinden. Diese Kombination verschaffe den Kindern die Geläufigkeit, die sie für Erfolg brauchten.
Die Studie bündelt Erkenntnisse aus Verhaltensexperimenten, Längsschnittstudien, Neuroimaging und designbasierter Forschung. Demnach beginnen Kinder schon im Vorschulalter, einen Sinn und ein Verständnis für Zahlen zu entwickeln. Eltern sollten sie dazu ermuntern, etwa durch das Zählen und Beschriften der Gesamtzahl von Objekten im Alltag wie Blöcken.
Dieses mathematische Wissen ist zunächst intuitiv: Die Kinder kombinieren Zahlen, ohne ihre Überlegungen mitteilen zu können. Das wird als implizites Wissen bezeichnet. Nach und nach machen sie ihr Wissen um Zahlen, Beziehungen und Operationen explizit, indem sie Muster und Strategien formulieren (zum Beispiel: "Fange mit der größeren Zahl an", "Bei der Addition spielt die Reihenfolge keine Rolle") und begründen können, warum sie funktionieren.
Gezieltes, gut strukturiertes Üben – und das schließt Auswendiglernen mit ein – prozeduralisiert das Wissen, sodass die Schüler*innen Fakten und Strategien automatisch und mit geringem geistigen Aufwand abrufen können. Dies wiederum hilft ihnen, Muster zu erkennen und zu artikulieren und damit selbstständig die Prinzipien der Arithmetik zu verstehen. Der Unterricht sollte daher den Wechsel zwischen implizitem und explizitem Wissen in beide Richtungen fördern, so die Forschenden.
Sie betonen zudem, wie wichtig das flüssige Rechnen für die Zukunft der Kinder ist. Studien belegen, dass Schülerinnen und Schüler, die gut mit Zahlen umgehen können, besser in der Lage sind, die komplexere Mathematik in den nachfolgenden Klassen zu lernen. Nachweisbar sei auch ein Zusammenhang zwischen flüssigem Rechnen und dem späteren Lebenserfolg wie Bildungsniveau und Einkommen.