Nebenwirkungen: Vor allem Frauen betroffen: Sorgt die Abnehmspritze für vermehrten Haarausfall?

Die Abnehmspritze wird zunehmend als Lifestyle-Produkt genutzt. Eine neue Studie deutet jetzt auf vermehrten Haarverlust hin – ausgerechnet bei Frauen. Wie hoch ist das Risiko?

Apr 7, 2025 - 15:06
 0
Nebenwirkungen: Vor allem Frauen betroffen: Sorgt die Abnehmspritze für vermehrten Haarausfall?

Die Abnehmspritze wird zunehmend als Lifestyle-Produkt genutzt. Eine neue Studie deutet jetzt auf vermehrten Haarverlust hin – ausgerechnet bei Frauen. Wie hoch ist das Risiko?

Sollte sich die Abnehmspritze langfristig bewähren, könnte sie für Millionen Menschen mehr gesunde Lebensjahre bedeuten. Denn sie hilft, krankhaftes Übergewicht abzubauen – ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Leiden. Doch nicht nur Menschen mit ernsthaften Gesundheitsproblemen wie Adipositas oder Diabetes nutzen den Wirkstoff, sondern auch solche, die körperlich gesund sind, aber aus optischen Gründen schlanker werden wollen. Den erhofften Schönheitseffekt könnte eine neu entdeckte Nebenwirkungen nun allerdings schmälern, wie eine aktuelle Studie nahelegt: Haarverlust.

Bereits in der Zulassungsstudie der Abnehmspritze Wegovy mit dem Wirkstoff Semaglutid hatte sich ein solcher Effekt abgezeichnet. Bei zweieinhalb Prozent der 2100 Erwachsenen, die sich Semaglutid spritzten, trat ein Haarverlust ein. Im Vergleich dazu entwickelte nur ein Prozent der 1200 Erwachsenen, die ein Scheinmedikament bekamen, Haarausfall – das entspricht mehr als einer Verdoppelung des Risikos.

Selbst bei Teenagern dünnte sich das Haar aus

Bei Teenagern war der Unterschied noch größer. In der Placebogruppe wurde gar kein Haarausfall festgestellt, während vier Prozent der teilnehmenden Teenager, die das Medikament erhielten, Haarverlust beklagten.

Aufgrund dieser Ergebnisse ist Haarausfall als potenzielle Nebenwirkung im Beipackzettel vermerkt. Allerdings bedeutet das nicht, dass Semaglutid tatsächlich auch der Auslöser des Problems ist. Die Studie zeigt lediglich einen statistischen Zusammenhang. Auslöser des Haarausfalls könnten auch das Übergewicht selbst, der starke Gewichtsverlust oder damit einhergehende Faktoren sein.

Frauen sind weitaus stärker betroffen als Männer

Um den Zusammenhang weiter zu untersuchen, wertete ein Forschungsteam von der University of British Columbia nun elektronische Gesundheitsdaten von rund 3200 Erwachsenen aus den Jahren 2006 bis 2020 aus. Knapp 1900 hatten den Wirkstoff Semaglutid erhalten. Rund 1300 nahmen ein anderes Abnehmmedikament mit der Wirkstoffkombination Bupropion und Naltrexone ein und dienten als Kontrolle.

Unter den Studienteilnehmern waren keine Diabetiker. Daher ist davon auszugehen, dass sie das Medikament zur Gewichtsabnahme und nicht zur Behandlung von Diabetes Typ 2 einnahmen.

Das Ergebnis: Nachdem die Forschenden Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen herausgerechnet hatten, kamen sie auf eine Zunahme ärztlich diagnostizierten Haarverlustes von 52 Prozent gegenüber der Kontrollgruppe. Die Studie ist bislang nur als Preprint erschienen und noch nicht öffentlich publiziert.

Frauen waren weitaus stärker betroffen als Männer

Besonders frappierend: Betroffen waren nicht wie erwartet vorwiegend Männer – sondern fast ausschließlich Frauen. Betrachteten die Forschenden nur die Frauen und ließen die Männer in der Auswertung weg, stieg das Risiko für Haarausfall auf einmal um mehr als das Doppelte.

Studienleiter Mohit Sodhi gab in Medienberichten allerdings zu bedenken, dass die Zahl der untersuchten Personen nicht ausreiche, um ein statistisch verlässliches Ergebnis zu erzielen. Möglicherweise würden Männer weniger häufig wegen Haarausfall einen Arzt konsultieren als Frauen – da es bei ihnen als normale Alterserscheinung gilt. Entsprechend wären Männer in der Untersuchung unterrepräsentiert. Dass auch sie von verstärktem Haarausfall betroffen sind, lässt sich also nicht ausschließen.

Der statistische Zusammenhang ist nicht eindeutig

Dass tatsächlich das Semaglutid selbst für den Haarausfall verantwortlich ist, belegt aber auch die neue Studie nicht unzweifelhaft. Zumal viele Auslöser für Haarausfall darin nicht näher untersucht wurden. Dazu zählen zum Beispiel Stress und Schlafstörungen, die häufig mit Übergewicht einhergehen. 

Und da Semaglutid das effektivere Abnehmmedikament ist, wurde es womöglich bevorzugt bei krassem Übergewicht verschrieben. Also bei Menschen, die ohnehin ein erhöhtes Risiko für Haarausfall haben. Das würde die gesamte Statistik verzerren.

Sorgt zu schnelle Gewichtsabnahme für den Haarverlust?

Aber einmal angenommen, Semaglutid riefe tatsächlich Haarausfall hervor. Wie kommt der Effekt zustande? Eine mögliche Erklärung ist, dass Semaglutid ein "telogenes Effluvium" auslöst, schreiben die Studienautoren. Bei dieser Form des Haarverlustes stellen aktive Haarfollikel plötzlich das Wachstum ein und stoßen die Haare ab.

Die Störung tritt bei extremem körperlichem Stress auf, etwa durch eine Infektion, Operation, Hormonstörung – oder radikalen Gewichtsverlust, wie ihn Semaglutid hervorruft. Das würde erklären, warum es bei der weniger effektiven Wirkstoffkombination aus Bupropion und Naltrexone auch zu weniger Haarverlust kam. Dafür spricht zudem, dass der Haarausfall umso größer war, je mehr Gewicht die Probandinnen verloren hatten.

Eine ausgewogene Ernährung kann Haarverlust womöglich entgegenwirken

Die Wirkung von Semaglutid beruht hauptsächlich auf einem stark appetitzügelnden Effekt. Die Betroffenen essen also deutlich weniger. Gut möglich, dass die Patientinnen sich dabei genauso unausgewogen ernähren wie zuvor. Dem Körper stünden dann womöglich nicht alle Nährstoffe, insbesondere bestimmte Proteine, zur Verfügung, die er für gesundes Haarwachstum braucht, spekulieren die Forschenden.

Das würde umgekehrt bedeuten, dass Abnehmwillige besonders auf eine ausgewogene Ernährung achten sollten, um unerwünschte Nebenwirkungen wie Haarausfall zu verhindern.

Hormonell bedingter Haarausfall bleibt häufig dauerhaft

Als dritte Möglichkeit kommt in Betracht, dass Semaglutid das Hormongleichgewicht im Körper verschiebt. Schließlich greift der Wirkstoff unmittelbar in den Hormonhaushalt ein, indem er den GLP-1-Rezeptor blockiert und so die Ausschüttung des Hormons Insulin fördert. Im Gegensatz zum telogenen Effluvium kann hormonell bedingter Haarausfall ("androgenetische Alopecie") allerdings unumkehrbar sein. Um welche Form des Haarausfalls es sich letztlich handelt, ist derzeit unklar und sollte weiter untersucht werden, schreiben die Forschenden.

Die Studienautoren raten Abnehmwilligen, vor einer Anwendung aus rein ästhetischen Gründen abzuwägen, ob der Nutzen das vorhandene, wenn auch geringe, Risiko für Haarverlust rechtfertigt. Bei ernsthaft Erkrankten hingegen, denen das Medikament messbar mehr gesunde Lebensjahre ermöglicht, dürfte die Abwägung bedeutend leichter fallen.