Kosmos: Auffällige Messung des James-Webb-Teleskops: Leben wir in einem Schwarzen Loch?
Eine Messung des James-Webb-Teleskop sorgt für Furore. Womöglich befindet sich das ganze Universum im Inneren eines Schwarzen Lochs. Aber andere Erklärungen sind naheliegender

Eine Messung des James-Webb-Teleskop sorgt für Furore. Womöglich befindet sich das ganze Universum im Inneren eines Schwarzen Lochs. Aber andere Erklärungen sind naheliegender
An spektakulären Meldungen mangelt es nicht aus der Kosmologie, jener Wissenschaft, die das Universum als Ganzes erklären will. Immer wieder erscheinen faszinierende Ideen und vieldeutige Messungen, die aber meist sang- und klanglos wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Allerdings: Ganz selten erweist sich eine dieser Vorstellungen als korrekt und verändert unser Weltbild für immer.
Nun wurde solch eine schlagzeilenträchtige Messung des JWST Advanced Deep Extragalactic Surveys (JADES) vorgestellt. Laut ihr könnte eine überwiegende Mehrheit der Galaxien in unserem Universum in dieselbe Richtung rotieren. Eine mögliche Erklärung dafür: Wir sitzen in einem Schwarzen Loch.
Aber von vorn: Die Sterne in einer Spiralgalaxie drehen sich grob um eine gemeinsame Achse. Ob sich die Galaxie mit oder gegen den Uhrzeigersinn dreht, hängt davon ab, von welcher Seite man sie betrachtet. Entsprechend brauchen Forschende einen Bezugspunkt, um die Drehrichtungen zu kategorisieren. Dieser Bezugspunkt ist unsere Position im Weltall, die Milchstraße.
Mithilfe des James-Webb-Weltraumteleskops hat Lior Shamir von der Kansas State University 263 Spiralgalaxien des frühen Universums vermessen und festgestellt, dass 40 Prozent gegen den Uhrzeigersinn rotieren, während 60 Prozent im Uhrzeigersinn rotieren. Dieser Unterschied ist überraschend deutlich, denn eigentlich erwarten Kosmologinnen, dass die Drehrichtungen zufällig sind, weswegen im Großen und Ganzen gleich viele Galaxien in die eine und in die andere Richtung rotieren. Sollte es tatsächlich einen signifikanten Unterschied in der Häufigkeit der Drehrichtungen geben, braucht es dafür eine Erklärung.
"Der Unterschied ist so offensichtlich, dass jeder, der das Bild betrachtet, ihn sehen kann", sagte Shamir. "Es sind keine besonderen Fähigkeiten oder Kenntnisse erforderlich, um zu erkennen, dass die Zahlen unterschiedlich sind. Mit der Leistung des James-Webb-Weltraumteleskops kann es jeder sehen."
© Lior Shamir 2024
Nun ist die Stichprobe von 263 Galaxien nicht groß angesichts der Abermillionen Galaxien in unserem Universum. Allerdings berichtet auch mindestens eine weitere Studie von einer ähnlichen Beobachtung.
Eine mögliche Erklärung für den Unterschied in der Häufigkeit der Drehrichtungen: Unser Universum dreht sich als Ganzes. Das wäre eine revolutionäre Erkenntnis mit weitreichenden Folgen.
Auch wenn nur wenige Kosmologen diese Vermutung verfolgen, existieren bereits einige Modelle dazu. In einem Fall etwa könnte unser Universum die Form eines Ellipsoiden haben. In der spektakulärsten Variante aber existiert unser Universum im Inneren eines Schwarzen Lochs eines größeren Universums. In der 16-seitigen Veröffentlichung von Shamir macht diese These zwar nur zwei Absätze aus und steht zwischen vielen anderen Möglichkeiten. Dennoch konzentriert sich der mediale Fokus darauf.
Demnach existiere ein Elternuniversum, in dem sich ein Schwarzes Loch befindet, in dem wiederum wir stecken. Dass Schwarze Löcher Universen bergen können, wird immer wieder durchdacht, denn sie besitzen laut der Allgemeinen Relativitätstheorie in ihrem Inneren eine Singularität. Diese Singularitäten ähneln jener im Urknall, aus dem unser Universum entschlüpft sein soll, auch wenn es zwischen ihren Typen Unterschiede gibt. Doch die Ähnlichkeiten haben immer wieder die Vorstellung inspiriert, dass ein Schwarzes Loch die Außenseite dessen ist, was von der Innenseite als Urknall eines neuen Universums wahrgenommen würde.
Da sich Schwarze Löcher drehen, wäre zu erwarten, dass sich ein Universum, das sich im Inneren eines Schwarzen Lochs befindet, ebenfalls dreht. Hieran schließen die Spekulationen von Lior Shamir an. Stimmen sie, existierte nicht nur unser Universum, sondern es wäre Teil eines Multiversums.
Allerdings könnte es auch eine wesentlich profanere Erklärung für die JADES-Daten geben: dass wir unsere eigene Bewegung im Universum noch nicht ausreichend verstehen und daher die Drehrichtungen im fernen Universum missinterpretieren.
Denn auch die Erde dreht sich und zwar um das Zentrum der Milchstraße. Dadurch sollte sich das Licht ferner Galaxien, die sich entgegengesetzt zur Erdrotation drehen, so in seiner Farbe ändern, dass es leichter zu erkennen ist. Verantwortlich ist dafür der Dopplereffekt. Und tatsächlich hat das Team mehr dieser leichter zu erkennenden Galaxien entdeckt, die sich entgegengesetzt zur Erdrotation drehen.
© Lior Shamir 2024
Da die Rotationsgeschwindigkeit der Milchstraße eher klein ist, vernachlässigen Astronomen sie häufig. Womöglich zeigt sich aber, dass sie dies in diesem spezifischen Fall nicht tun dürfen. Dafür spricht auch, dass die Richtung der Achse, um die sich das gesamte Universum angeblich drehen soll, auffällig der Drehachse unserer Milchstraße entspricht. Das könnte nur Zufall sein, es könnte aber auch darauf hindeuten, dass die Forschenden schlicht die Drehung der Milchstraße nicht korrekt eingepreist haben.
"Wenn das der Fall ist, müssen wir unsere Entfernungsmessungen für das tiefe Universum neu kalibrieren", so Shamir. "Die Neukalibrierung kann auch einige andere ungelöste Fragen in der Kosmologie erklären, etwa die Unterschiede in den Expansionsraten des Universums und der großen Galaxien, die nach den bisherigen Entfernungsmessungen älter sein dürften als das Universum selbst." Womöglich hilft die aktuelle Messung der Kosmologie, die Beobachtungen des frühen Universums besser zu deuten – aber das ganz ohne die Annahme eines alles überstülpenden Schwarzen Lochs.