Lars Vollmer: Arbeitsmoral am Tiefpunkt: Ist die Motivation wirklich so schlecht?

Um die Arbeitsmoral in Deutschland ist es laut einer aktuellen Studie schlecht bestellt. Läuft deshalb so viel schief in Unternehmen? Lars Vollmer hat die Erfahrung gemacht, dass die Ursachen woanders zu suchen sind 

Mär 25, 2025 - 12:11
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Lars Vollmer: Arbeitsmoral am Tiefpunkt: Ist die Motivation wirklich so schlecht?

Um die Arbeitsmoral in Deutschland ist es laut einer aktuellen Studie schlecht bestellt. Läuft deshalb so viel schief in Unternehmen? Lars Vollmer hat die Erfahrung gemacht, dass die Ursachen woanders zu suchen sind 

Die Wissenschaftler des Instituts Gallup haben kürzlich ihren jährlichen Engagement Index vorgelegt. Im Prinzip konstatieren die Experten dasselbe wie jedes Jahr: Unter Deutschlands Arbeitnehmern stehe es schlimm, sowohl bei der Motivation als auch bei der emotionalen Bindung zu ihren Unternehmen. 

Nur dieses Mal sei es eben noch schlimmer.

Verstockt und illoyal

Laut dieser Studie leisten inzwischen 78 Prozent der Mitarbeiter Dienst nach Vorschrift. Und gerade mal 9 Prozent bekennen sich zu Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber. 

Klingt dramatisch und passt zur allgemein kolportierten trübsinnigen Stimmung in diesem Land. Doch etwas an diesen Ergebnissen verwundert mich. 

Schön und anstrengend

Sie müssen wissen, dass ich vorübergehend wieder operativ tätig bin. Ich bin quasi aushilfsmäßig in einigen Beratungsprojekten aktiv, weil eine deutlich gestiegene Nachfrage unsere aktuelle Kapazität übersteigt. Ein schönes Problem also, aber auch ein wenig anstrengend. 

Anstrengend ist es deshalb, weil bei uns am Anfang eines Beratungsauftrags meist eine – wie wir sie nennen – Kulturmusteranalyse steht. Das heißt, wir machen uns auf die Suche nach den Kommunikationsstrukturen unseres Klienten. Der Grund: Wie die Spielregeln eines Brettspiels das Verhalten der Mitspieler mehr prägen als deren Persönlichkeit, so hat die Kultur eines Unternehmens mehr Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiter als deren individuelle Eigenschaften.

Unverschämt und nett

Bei einem Brettspiel halten Sie und ich das für selbstverständlich: Wenn beim Monopoly der Vater seiner minderjährigen Tochter eine obszön hohe Miete für die Schlossallee abpresst, wird ihm kein Mitspieler unterstellen, er sei von seinem Naturell eben ein kapitalistischer Ausbeuter. Das steht vielmehr so in der mitgelieferten Spielanleitung oder ist in den – meist ungeschriebenen – Familienregeln festgelegt. 

Im Unternehmen dagegen wird fleißig personalisiert, im Konfliktfall gilt der Kollege als uneinsichtiger Idiot. Woran liegt das?

Unbenannt ist unerkannt 

Sie denken vielleicht, dass es zuhauf schriftlich niedergelegte „Spielregeln“ in Ihrem Unternehmen gibt. Das mag auch sein. Dennoch: Der überwiegende Teil der Interaktionen läuft nach ungeschriebenen Gesetzen. Alle verhalten sich danach, doch benennen können diese Gesetze nur die wenigsten Mitarbeiter.

Deshalb ist diese Kulturmusteranalyse wie ein Detektivspiel: Wir tasten uns gemeinsam mit den Mitarbeitern, also den „Tatbeteiligten“, an das Unbenannte heran, um es benennbar zu machen.

Jetzt habe ich weit ausgeholt. Was ich sagen will: Ich führe gerade viele intensive Gespräche. Und bei aller Anstrengung geben sie mir Anlass zu heller Freude.

Loyal und stolz

Im Wesentlichen erlebe ich nämlich in diesen Gesprächen unglaublich engagierte und zugewandte Menschen, die ihrem Unternehmen gegenüber in hohem Maß loyal sind. Sogar mehr als das, viele sind regelrecht stolz: stolz darauf, für diese Firma zu arbeiten, stolz auf die gemeinsame Leistung und den eigenen Beitrag dazu.

Läuft deshalb in diesen Firmen alles glatt? Natürlich nicht. 

Engagiert und ahnungslos

Nur manchmal werden wir gerufen, um bestehende Höchstleistung zu beschützen. In allen anderen Fällen gibt es signifikante Probleme im Unternehmen oder es zeichnen sich welche am Horizont ab. 

Dabei machen wir immer wieder aufs Neue eine Beobachtung, die auf den ersten Blick verblüfft: Selbst Menschen, die mit vollem Engagement und hoher Loyalität handeln, sind in der Lage, sich zusammen hervorragend Probleme einzuhandeln – und haben keine Ahnung, warum sie so einen Quatsch machen.

Denn dass es sich um Quatsch handelt, ist diesen Mitarbeitern durchaus bewusst. Trotz allen Stolzes auf die eigene Arbeit habe ich keinen getroffen, der mir in romantischer Verklärung erzählt hätte, dass alles perfekt sei. Doch oftmals stehen alle ratlos vor der Situation und verstehen nicht, wie sie sich die Probleme eingehandelt haben. Allerdings haben alle die Hoffnung, dass es eine Lösung dafür gibt.

Diesen Leuten geht es nicht um das Wegreden von Problemen oder Schuldzuweisungen. Die sind ehrlich interessiert, gemeinsam mit mir auf Mustersuche zu gehen – ein bisschen wie Sherlock Holmes und Dr. Watson. Wer in diesem Spiel wer ist, überlasse ich Ihrem Gusto. 

Aha und uff

Wenn wir dann schließlich solche Muster aufgedeckt haben, sorgt das erstens für einen Aha-Effekt und zweitens für eine große Entlastung: Dass es knirscht, liegt nicht daran, dass der Kollege Müller ein Sturkopf ist, sondern an den ungeschriebenen Regeln, die hier gelten. 

So haben wir beide Freude an der Sache: der Mitarbeiter, weil allein diese Entdeckung schon vieles einer Lösung zugänglicher macht, und ich, weil ich mit so vielen motivierten, zugewandten Menschen arbeiten darf.

Freude und Hoffnung

Es liegt mir fern, die Ergebnisse der Gallup-Studie anzuzweifeln, das steht mir auch gar nicht zu. Doch dafür, dass es angeblich nur neun Prozent sind, die sich mit großem Engagement und voller Stolz für ihre Firma einsetzen, treffe ich zurzeit ganz schön viele von dieser Sorte. 

Das macht mir nicht nur Freude, sondern auch Hoffnung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.