Knochensammlerin: Makabere Mode: Diese Raupe schmückt sich mit Körperteilen ihrer Opfer

Auf O'ahu lebt ein wahrhaft bizarres Insekt. Die seltene Mottenlarve geht im Spinnennetz auf Beutejagd. Ihre Hülle spickt sie mit Beinen, Köpfen und Flügeln verzehrter Insekten

Apr 24, 2025 - 20:41
 0
Knochensammlerin: Makabere Mode: Diese Raupe schmückt sich mit Körperteilen ihrer Opfer

Auf O'ahu lebt ein wahrhaft bizarres Insekt. Die seltene Mottenlarve geht im Spinnennetz auf Beutejagd. Ihre Hülle spickt sie mit Beinen, Köpfen und Flügeln verzehrter Insekten

In Spinnennetzen lauert nichts Gutes – darin sind sich Arachnophobiker einig. Doch nicht immer ist die achtbeinige Architektin des Netzes auch seine furchteinflößendste Bewohnerin. Auf Hawaii stießen Forschende auf eine Raupe, die es sich ausschließlich in Spinnweben gemütlich macht. Dort, so schreiben ihre Entdecker in der Fachzeitschrift "Science", hegt die fleischfressende Mottenlarve "eine bizarre Haushaltsführung, die für kein anderes Insekt bekannt ist". 

Die wenige Millimeter große Larve ernährt sich von unglücklichen Insekten, die sich im Netz der Spinne verfangen. Sie räubert sogar Exemplare, die die Hausherrin bereits verpackt und zum späteren Verzehr eingelagert hat. Mit den ungenießbaren Körperteilen ihrer Beute dekoriert sie anschließend eine selbst gesponnene Schutzhülle, die sie stets mit sich herum trägt. So wird das portable Zuhause zu einer makaberen Galerie vergangener Mahlzeiten. Die Forscher um Daniel Rubinoff von der University of Hawaii zählten sterbliche Überreste aus sechs Insektenfamilien in den Hüllen der untersuchten Raupen. Auch vor Kannibalismus schrecken die Mottenlarven nicht zurück. "In freier Wildbahn lebt pro Netz in der Regel nur eine Raupe, da ein größeres Exemplar einen kleineren Nachbarn schnell auffressen würde", heißt es in der Studie.

So aufgeschlossen die Raupe in Ernährungsfragen ist, so penibel wählt sie ihr Zuhause. Sie lässt sich nur in dichten Netzen nieder, die in Baumhöhlen, hohle Stümpfe oder Felsöffnungen gewoben wurden. Dort kriecht sie durch das dreidimensionale Dickicht und beißt sich wenn nötig durch die klebrigen Fäden. Auch die Dekoration für ihre Hülle wählt sie nicht willkürlich, wie das Forscherteam beobachtete: "Die Körperteile werden sorgfältig auf ihre Größe hin vermessen, bevor die Raupe sie in ihre Sammlung aufnimmt. Jeder potenzielle Neuzugang wird mehrmals gedreht und mit den Kiefern abgetastet, und zu große Teile werden so weit zerkaut, dass sie in die Hülle passen." Womöglich schützt der makabere Kokon vor Angriffen der Spinne – schließlich ist die Raupe eher diebische Hausbesetzerin als zahlende Untermieterin.

Spinne und Mottenlarve im Netz
Nichts für schwache Nerven: Links im Netz sitzt eine Mottenlarve in ihrer Kadaverhülle, rechts bewacht die achtbeinige Hausherrin ihr Gelege
© Rubinoff Lab, Entomology Section, University of Hawaii, Manoa

Die neu entdeckte Art gehört zu einer auf Hawaii heimischen Mottengattung namens Hyposmocoma. Genetische Daten deuten darauf hin, dass sich ihre Entwicklungslinie vor mindestens sechs Millionen Jahren von der Verwandtschaft abspaltete. Damit ist sie eine Million Jahre älter als ihre heutige Heimatinsel O'ahu. In 22 Jahren der Feldforschung entdeckten Rubinoff und seine Kollegen nur 62 Exemplare, allesamt innerhalb eines fünfzehn Quadratkilometer großen Waldareals auf einem Höhenzug der Vulkaninsel. Die Forschenden fürchten deshalb um den Fortbestand der Art. Lebensraumverlust und invasive Spezies machen Hawaiis einzigartiger Tier- und Pflanzenwelt das Überleben zunehmend schwer.  

Immerhin: Mit ihrem makaberen Lebensstil ist die Knochensammler-Raupe auf der Inselgruppe in guter Gesellschaft. Manche Raupen Hawaiis lauern ihren Opfern auf Blättern und Ästen regungslos auf, um sie bei Berührung ihrer Tasthaare blitzschnell mit spitzen Klauen zu packen. Andere fesseln winzige Schnecken mit Seidenfäden an Blätter, bevor sie ihr grausiges Werk beginnen. "Die Larve streckt sich aus ihrer eigenen Hülle ins Haus der Schnecke und verfolgt diese, bis sie in der Falle sitzt. Dann frisst sie die Schnecke bei lebendigem Leib in ihrem eigenen Haus." So schilderte es Daniel Rubinoff, der vor 20 Jahren auch diese mörderische Raupe als Erster beschrieb.

Das hawaiianische Killerkomando ist besonders bemerkenswert, weil Schmetterlingslarven eigentlich hartgesottene Vegetarier sind. "Lepidoptera ist die pflanzenfressendste aller Insektenordnungen, wobei räuberische Raupen weltweit weniger als 0,13 Prozent der fast 200.000 Motten- und Schmetterlingsarten ausmachen", schreiben die Autoren in der aktuellen Studie. 

Die Strategie, sich mit den Körperteilen ihrer Opfer zu schmücken, teilt die Knochensammler-Raupe übrigens mit der Raubwanze. Arten aus der Familie der Reduviidae türmen die Kadaver erbeuteter Ameisen auf ihrem Rücken auf. Offenbar bringen sie damit ihre eigenen Fressfeinde, die Springspinnen, aus dem Konzept. Diese erkennen ein Knäuel verklebter Ameisen nicht als lohnende Beute – eine Raubwanze ohne Rucksack aber sehr wohl.