E-Fuels: Innovationshoffnung oder Sackgasse?
Zwischen Patagonien, Porsche und Politik: Ein Panel in Berlin zeigt, warum E-Fuels im Straßenverkehr mehr Streitpunkt als Zukunftslösung sind. Der Beitrag E-Fuels: Innovationshoffnung oder Sackgasse? erschien zuerst auf Elektroauto-News.net.

Bei den Automotive Masterminds am 6. Mai 2025 in Berlin trafen zwei prominente Stimmen zur Zukunft synthetischer Kraftstoffe, sogenannter E-Fuels, aufeinander: Thorsten Herdan, CEO von HIF Global, und Dr. Falko Ueckerdt, Leiter für Wasserstoff und E-Fuels am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Unter der Moderation von Prof. Dr. Matthias Tomenendal wurde sachlich, aber kontrovers, über Effizienz, Skalierung, politische Weichenstellungen und technologische Offenheit diskutiert. Zwei Impulsvorträge und eine intensive Panel-Debatte gaben Einblicke in gegensätzliche Visionen der klimaneutralen Mobilität.
Thorsten Herdan: „Nicht gegen E-Mobilität – aber für Wahlfreiheit und Technologieoffenheit“
Thorsten Herdan, CEO von HIF Global, betonte bei seinem Impulsvortrag, dass die Transformation zur klimaneutralen Mobilität nicht in ein Entweder-oder münden dürfe. Seine zentrale Botschaft: Es gehe nicht darum, batterieelektrische Antriebe infrage zu stellen, sondern vielmehr darum, den Marktakteuren Wahlfreiheit zu lassen. „Wir sind nicht gegen batteriebetriebene Autos – aber wir wollen dem Markt die Wahl lassen“, erklärte er und forderte technologieoffene Rahmenbedingungen, die verschiedene Lösungsansätze nebeneinander bestehen lassen. Der Kunde sollte entscheiden, welcher Antrieb am besten zu seinem Mobilitätsprofil passt – und nicht die Politik vorab eine bestimmte Technologie privilegieren.
Ein Kernelement seiner Argumentation war der dezentrale Produktionsansatz von HIF Global. Synthetische Kraftstoffe sollen dort hergestellt werden, wo erneuerbare Energie in großer Menge und zu niedrigen Kosten verfügbar ist. Als Beispiel nannte Herdan das Projekt Haru Oni im Süden Chiles. „In Patagonien bläst der Wind mit doppelter Stärke im Vergleich zur deutschen Nordsee. Es gibt keine Stromnetze, keine lokale Nachfrage – aber enormes Potenzial für grünen Strom.“ Dieses Potenzial nutze man, um mit Windkraft Wasser zu elektrolysieren, den dabei entstehenden grünen Wasserstoff mit CO₂ zu synthetischem Methanol zu verarbeiten – und daraus dann klimaneutrale Kraftstoffe zu erzeugen.
Besonders stolz zeigte sich Herdan auf die Umsetzungsstärke des Projekts. Innerhalb von zwei Jahren sei die vollständig integrierte Pilotanlage realisiert worden – trotz Pandemie und logistischer Herausforderungen. „Das ging nur im Schulterschluss mit starken Partnern“, sagte er. Siemens lieferte den Elektrolyseur, MAN die Methanolsynthese, ein chinesischer Hersteller die benötigte Metallkomponente. Die gesamte Lieferkette sei grenzüberschreitend und funktioniere nur, weil alle an einem Strang zögen – ein Paradebeispiel für kollaboratives Innovationsmanagement, wie er betonte.
Auch die Rolle von Porsche als Erstabnehmer hob er hervor. Der Sportwagenhersteller sei mehr als ein Marketingvehikel für E-Fuels. Ohne die frühzeitige Verpflichtung von Porsche als Abnehmer hätte das Projekt keine wirtschaftliche Grundlage gehabt. „Wir brauchen diese Pioniere, die bereit sind, voranzugehen – auch wenn der Preis pro Liter aktuell noch höher ist als bei fossilen Alternativen.“ Damit sei Porsche ein Katalysator für die Skalierung – und ermögliche Investitionsentscheidungen, die wiederum zu sinkenden Kosten führen sollen.
Ungleichbehandlung von E-Fuels zu batteriebetriebener E-Mobilität stößt auf Unverständnis
Ein zentrales Thema seines Vortrags war jedoch die Ungleichbehandlung synthetischer Kraftstoffe im Vergleich zur Elektromobilität. Während batterieelektrische Fahrzeuge in der EU-CO₂-Flottenregulierung automatisch mit null Emissionen angerechnet würden – unabhängig vom Strommix – müssten E-Fuels aufwendig zertifiziert werden, dürften nur mit zusätzlichem Ökostrom produziert werden und seien von zahlreichen Restriktionen betroffen. „Wir wollen nicht bevorzugt werden – aber wir wollen fair behandelt werden“, so Herdan. Die heutigen Regeln schafften kein Level Playing Field, sondern bevorzugten eine Technologie systematisch.
Als positives Gegenbeispiel führte Herdan die Schweiz an. Dort können Automobilhersteller CO₂-Gutschriften für den Einsatz zertifizierter E-Fuels in der Flotte erhalten. Diese Gutschriften sind handelbar und eröffnen damit einen realen wirtschaftlichen Anreiz für Hersteller, auch Verbrenner-Modelle mit klimaneutralen Kraftstoffen auszustatten. „Die Schweiz zeigt, dass Technologieoffenheit regulatorisch möglich ist – und dass bestehende Verbrennerflotten Teil der Lösung sein können.“ Genau darin sieht Herdan einen strategischen Hebel, um Bestandsflotten nicht zum Problem, sondern zum Übergangshelfer der Verkehrswende zu machen.
Abschließend richtete er den Blick nach vorn: „Wir dürfen uns nicht in ein Denken zwingen lassen, das nur einen einzigen Pfad erlaubt.“ Gerade in der Dekarbonisierung des Verkehrssektors brauche es vielfältige Lösungsansätze – abgestimmt auf geografische, infrastrukturelle und sektorale Unterschiede. E-Fuels seien kein Allheilmittel, aber ein unverzichtbares Puzzlestück. „Wenn wir in der Luftfahrt, in der Schifffahrt und bei Industrieprozessen auf synthetische Moleküle setzen, dann ergibt es auch Sinn, diese Option für bestimmte Mobilitätsanwendungen mitzudenken – gerade wenn sie hilft, vorhandene Systeme klimafreundlich zu nutzen, statt sie teuer zu ersetzen.“
„Falsche Versprechen gefährden Klimaziele“ – Dr. Ueckerdt fordert Ehrlichkeit in der Debatte um E-Fuels
In seinem wissenschaftlich fundierten Impulsvortrag warb Dr. Falko Ueckerdt nicht für technologische Offenheit, sondern für Effizienz und Systemverantwortung. Als Leiter des Bereichs Wasserstoff und E-Fuels am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung blickt er auf die Debatte aus einer langfristigen, systemischen Perspektive – und zeigte sich dabei skeptisch, was den Einsatz synthetischer Kraftstoffe im Straßenverkehr betrifft. „E-Fuels sind vielseitig – aber teuer“, lautete eine seiner zentralen Aussagen. Aus seiner Sicht bestehe die Gefahr, dass man sich von der technologischen Faszination leiten lasse und dabei die wirtschaftliche Vernunft aus den Augen verliere.
Ueckerdt bezog sich auf Marginalkosten zur CO₂-Vermeidung, die bei E-Fuels im Pkw-Sektor zwischen 500 und 1500 Euro pro Tonne liegen – also deutlich über dem, was mit batterieelektrischen Antrieben möglich ist. Letztere näherten sich bereits der Kostenparität mit fossilen Antrieben. Der Forscher warnte daher vor politischen Maßnahmen, die E-Fuels im Pkw-Bereich mit Steuergeldern fördern würden: „Wer heute E-Fuels im Pkw-Segment vorantreibt, subventioniert Ineffizienz“, sagte er und betonte, dass derartige Strategien nicht nur teuer, sondern auch klimapolitisch kontraproduktiv seien.
Ein weiterer kritischer Punkt betraf die Technologie zur CO₂-Abscheidung aus der Luft, die für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe eine zentrale Rolle spielt. Direct Air Capture (DAC) sei nicht nur energieintensiv, sondern werde auch langfristig nicht für unter 200 bis 500 Euro pro Tonne CO₂ möglich sein. Damit sei allein das Ausgangsprodukt für E-Fuels bereits kostenintensiver als viele andere Klimaschutzmaßnahmen in der Industrie oder im Verkehr. „Synthetische Kraftstoffe sind ein faszinierendes Konzept – aber in der Breite bleiben sie volkswirtschaftlich unvernünftig und politisch riskant“, so Ueckerdt.
E-Fuels: Irgendwo zwischen Vision und Realität
Besonders eindrucksvoll war Ueckerdts Systemvergleich zwischen realen Marktdynamiken und politischen Erwartungshaltungen. Während die Elektromobilität eine exponentielle Wachstumskurve aufweise, stagnierten die Ankündigungen und realen Produktionsmengen bei E-Fuels seit Jahren. In einem Diagramm zeigte er den globalen Hochlauf von Elektroautos und Plug-in-Hybriden im Vergleich zu den Produktionskapazitäten synthetischer Kraftstoffe – mit ernüchterndem Ergebnis: Während bereits Millionen Elektroautos weltweit unterwegs seien, existierten bei E-Fuels bislang nur Pilotanlagen und theoretische Ankündigungen.
Vor diesem Hintergrund warnte Ueckerdt vor einem Missverständnis, das sich zunehmend in der öffentlichen Debatte manifestiere: die Gleichsetzung von E-Fuels mit Elektromobilität. „Wenn wir so tun, als könnten Verbrenner in Zukunft einfach mit E-Fuels weiterbetrieben werden, verschieben wir das Problem – wir lösen es nicht.“ Diese Vorstellung gefährde den Planungshorizont von Autoherstellern, Investoren und Politik. Für ihn ist klar: Die Politik müsse klar kommunizieren, welche Technologien langfristig tragfähig seien – und welche nicht. Alles andere sei Augenwischerei.
Ein zentrales Argument des Wissenschaftlers war die sektorenspezifische Betrachtung. Dort, wo Elektrifizierung an technische Grenzen stoße – etwa in der Luftfahrt, der Hochseeschifffahrt oder der petrochemischen Industrie – seien E-Fuels zwingend erforderlich. In diesen Bereichen sei er sogar ein überzeugter Befürworter synthetischer Kraftstoffe. „Wir brauchen E-Fuels – aber eben dort, wo sie gebraucht werden. Nicht dort, wo es effizientere Alternativen gibt.“ Diese Priorisierung sei kein Ausdruck von Technologieskepsis, sondern von strategischer Vernunft.
Mit einem Verweis auf das Net-Zero-Szenario der Internationalen Energieagentur (IEA) schloss Ueckerdt seinen Vortrag. In dieser weltweit anerkannten Roadmap tauchten E-Fuels im Straßenverkehr gar nicht auf. Die IEA bewerte E-Fuels nicht als Lösung, sondern als Randoption – aus Gründen der Kosten, Effizienz und Skalierbarkeit. „Wenn selbst die wichtigsten internationalen Szenarien keinen relevanten Beitrag von E-Fuels im Straßenverkehr sehen, dann sollten wir das ernst nehmen“, mahnte er.
Sein Appell an Politik und Gesellschaft war deutlich: „Wir dürfen die Glaubwürdigkeit der Klimapolitik nicht aufs Spiel setzen, indem wir Lösungen versprechen, die absehbar nicht skalierbar sind.“ Stattdessen brauche es Ehrlichkeit, Planungssicherheit und eine Fokussierung auf Maßnahmen, die nachweislich funktionieren – ökologisch wie ökonomisch.
„Romantik trifft Realität“ – Warum sich Experten über E-Fuels nicht einig sind
In der anschließenden Panel-Diskussion prallten zwei Sichtweisen aufeinander, die kaum gegensätzlicher sein könnten – moderiert von Prof. Dr. Matthias Tomenendal, Professor für Management und Consulting an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Was zunächst als akademischer Schlagabtausch begann, entwickelte sich rasch zu einer grundsätzlichen Diskussion um die politische Verantwortung in der Mobilitätswende – sachlich im Ton, aber unversöhnlich in der Argumentation.
Thorsten Herdan blieb seiner Linie treu und plädierte erneut für Offenheit gegenüber allen Technologien. „Ich bin technologieagnostisch – aber wir müssen Alternativen zulassen. Wer schon einmal mit dem Auto durch Patagonien gefahren ist, weiß: Elektromobilität kommt dort nicht hin.“ In solchen Regionen sei der batterieelektrische Antrieb schlicht nicht praxistauglich. Herdan warnte davor, ausgerechnet jene technologischen Pfade auszuschließen, die in einzelnen Anwendungsfeldern langfristig unverzichtbar sein könnten.
Dr. Falko Ueckerdt hingegen wies diese Argumentation entschieden zurück. Für ihn sei das kein pragmatischer Ansatz, sondern eine romantisierte Sichtweise, die die systemischen Kosten ausblende. „Das Effizienzargument ist kein Mythos. Wer heute E-Fuels im Pkw-Sektor als gleichwertige Option propagiert, riskiert ein fossiles Lock-in“, erklärte er. Die große Gefahr liege darin, dass man die Debatte um E-Fuels als Vorwand nutze, um bestehende Verbrennerstrukturen zu konservieren. „Wenn wir diese Illusion nähren, laufen wir Gefahr, 2045 immer noch mit Verbrennern zu fahren – aber ohne klimaneutralen Treibstoff.“
Der Markt sollte entscheiden, was er möchte
Ein zentrales Spannungsfeld der Diskussion war die Frage, ob der oft beschworene Grundsatz der „Technologieoffenheit“ in der Praxis überhaupt Orientierung bietet – oder nicht vielmehr Unsicherheit stiftet. Herdan argumentierte, dass der Markt über Erfolg und Misserfolg entscheiden sollte. Kunden und Industrie müssten die Möglichkeit haben, aus verschiedenen Wegen zu wählen, solange das Klimaziel erreicht werde. Ueckerdt hielt dagegen: „Wenn wir sagen, der Markt entscheidet – dann müssen wir ihm auch klare Signale senden. Sonst planen Hersteller mit E-Fuels, die es nie geben wird.“ Technologieoffenheit dürfe kein Deckmantel für Untätigkeit sein.
Ein weiterer Diskussionspunkt war der Umgang mit politischen Instrumenten. Herdan betonte, dass synthetische Kraftstoffe im Sinne der Fairness ebenfalls als klimaneutrale Lösung anerkannt werden müssten – vor allem, wenn sie unter realen Bedingungen produziert und bilanziell emissionsfrei eingesetzt würden. Besonders kritisierte er die ungleiche Bewertung: „Bei E-Fuels wird jeder Stromzähler umgedreht, bei E-Autos zählt selbst Kohlestrom als null Emissionen.“ Die Antwort von Ueckerdt: Politische Instrumente müssten sich an Effizienz, Machbarkeit und Skalierbarkeit orientieren – nicht an technologischer Gleichverteilung um jeden Preis.
Zum Ende der Diskussion ging es nochmals um die Rolle der Automobilindustrie selbst. Tomenendal stellte die Frage, ob E-Fuel-Credits im Flottengrenzwertsystem (Case-Study in Schweiz) nicht zum Einfallstor für ineffiziente Verbrenner werden könnten. Herdan entgegnete, dass ein E-Fuel nur dann angerechnet werden dürfe, wenn er nachweislich einen realen Klimavorteil bringe. „Es muss ein echter Klimavorteil nachgewiesen werden – sonst macht ein Anreizsystem keinen Sinn.“
Ueckerdt nahm diesen Gedanken auf und formulierte einen letzten Appell: „Wir brauchen kein Entweder-oder. Aber wir müssen ehrlich sein, welche Optionen realistisch sind – und welche uns am Ende teuer zu stehen kommen.“
“Versprecht keine Lösungen, die wir absehbar nicht liefern können”
Trotz aller Differenzen herrschte zumindest Konsens beim übergeordneten Ziel: der Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Doch bei der Wahl der Mittel verlief eine klare Trennlinie. Während Herdan an die Politik appellierte, „klare, faire Rahmenbedingungen“ zu schaffen und nicht auf ein einziges Pferd zu setzen, forderte Ueckerdt vor allem mehr Ehrlichkeit in der Kommunikation: „Versprecht keine Lösungen, die wir absehbar nicht liefern können. Sonst riskieren wir gesellschaftliche Spaltung und politische Rückschläge.“
Damit ließ das Panel die Zuhörenden mit einer unbequemen, aber notwendigen Frage zurück: Wie viel Pragmatismus ist erlaubt – und wie viel Ehrlichkeit ist nötig –, wenn es um die Zukunft der Mobilität geht?
Der Beitrag E-Fuels: Innovationshoffnung oder Sackgasse? erschien zuerst auf Elektroauto-News.net.