Blick in die Arktis: Sven Plöger über Grönlands Eisschmelze und wie diese unser Wetter bestimmen wird
Die Gletscher der Arktis zerfallen. Der Wetterexperte Sven Plöger ist dem auf Grönland nachgegangen und berichtet in einer Fernsehdokumentation von zukünftigen Wetterlagen

Die Gletscher der Arktis zerfallen. Der Wetterexperte Sven Plöger ist dem auf Grönland nachgegangen und berichtet in einer Fernsehdokumentation von zukünftigen Wetterlagen
Herr Plöger, man kennt Sie als Wettermoderator und Buchautor. Nun haben Sie sich auf den Weg nach Grönland gemacht. Was war das Ziel dieser Reise?
Wir haben dort eine Dokumentation darüber gedreht, wie sich die Umwelt der Inselverändert und wie sich das wiederum auf unser Wetter auswirkt. Die Arktis ist eine Wetterküche für den Planeten, ganz besonders für uns in Mitteleuropa. Das wollten wir greifbar machen.
Man kennt Statistiken und Berichte über schmelzende Gletscher, aber konnten Sie die Veränderungen selbst sehen?
Auf Grönland ist unmittelbar zu sehen und zu spüren, wie rasant sich das Eis zurückzieht. Wir standen zum Beispiel genau an der Stelle, an der 1930 der berühmte Polarforscher und Geologe Alfred Wegener eine große Expedition startete. Schaut man sich Fotos von damals an, war dort früher überall noch das Eis des Gletschers. Die Landschaft heute hat aber nichts mehr damit zu tun. Das war sehr eindrücklich. Als Meteorloge bin ich in der Theorie in all das eingearbeitet, halte Vorträge darüber. Aber wenn du es mit allen Sinnen wahrnimmst, ist das etwas völlig anderes.
© hr/Maike Simon
Was hat Grönland mit unserem Wetter zu tun?
Der Rückgang des Eises legt große Landflächen frei. Die sind dunkler als die hellen Eisflächen. Dadurch schlucken sie mehr Energie – in Form von Wärme.
Wenn man im Sommer ein dunkles T-Shirt anzieht statt eines weißen, wird einem schneller warm. Lässt sich das so vergleichen?
Genau. Die Eisfläche wirkt also wie ein Spiegel, der die Sonnenenergie zurückstrahlt. Das ist der Albedo-Effekt. Nimmt der ab, erwärmt sich die Arktis umso mehr – vereinfacht gesagt. Das wiederum beeinflusst unser Wetter. Die Hoch- und Tiefdruckgebiete werden vom Wind bewegt. Doch diese Bewegung, die wir auch als Jetstream kennen, verlangsamt sich, wenn das Eis in der Arktis schmilzt.
Das müssen Sie bitte genauer erklären.
Die Natur, besser gesagt die Physik, hat ein Bedürfnis, Unterschiede auszugleichen. Nun ist es so: Am Äquator ist es heiß, an den Polen kalt. Wenn die Natur das ausgleichen will, muss sie Energie transportieren, also Wärme. Das tut sie, indem sie Luft bewegt. Das ist der Wind. Der Jetstream ist ein Starkwindband, das um die Nord- und Südhalbkugel wandert. Es erzeugt unsere Hoch- und Tiefdruckgebiete. Wenn sich die Arktis erwärmt, nimmt der Temperaturunterschied zum Äquator ab. Und damit geht der "Motor" des Jetstreams kaputt.
Und wir merken das, weil die Hoch- und Tiefdruckgebiete sich dann langsamer bewegen?
Ja, die Folge davon sind Extremwetterereignisse und lange Perioden von Dürre oder Niederschlägen. Haben wir alles schon gehabt: Die Hitze war in den Jahren 2018, 2019, 2022 extrem. Extreme Tiefdruckgebiete haben wir auch zu spüren bekommen: zum Beispiel 2021 im Ahrtal, als das Hochwasser kam. Das ist ein Grund, warum der Rückgang des Eises unser Wetter beeinflusst.
Welche anderen Gründe gibt es noch?
Beim Klima steht alles miteinander in Verbindung. Die Eisschmelze beeinflusst auch die Strömungen im Meer, zum Beispiel den Golf- und den Nordatlantikstrom. Sie fließen ineinander und transportieren warmes Wasser zu uns. Ihr Motor ist, ähnlich wie beim Jetstream in der Atmosphäre, vor allem der Temperaturunterschied – in diesem Fall aber des Wassers. Auch der Salzgehalt spielt dabei eine Rolle. Wenn nun kaltes Süßwasser ins Meer fließt, nimmt der Unterschied ab, und der Strom wird schwächer. Um in Europa ohne diese Strömung dasselbe Klima zu haben wie jetzt, müssten wir 1500 Kilometer weiter südlich leben.
© hr/Maike Simon
Was glauben Sie: Wird die Strömung irgendwann stillstehen?
Das ist wissenschaftlich noch nicht klar vorherzusagen. Aber sie ist bereits deutlich schwächer geworden. Wenn man durch Grönland reist, ist das schon berührend: Wir waren zum Beispiel auch an der Disko-Bucht in Ilulissat, wo viele Eisberge auf das offene Meer hinausdriften und dort eben von dieser Nordatlantikströmung erfasst werden. Auch der Eisberg, der einst die "Titanic" niedergestreckt hat, stammte höchstwahrscheinlich von hier. Sich in die Geschichte dieses Ortes hineinzudenken – das fand ich sehr faszinierend.
Im Film sprechen Sie mit den Menschen, die auf Grönland leben und forschen. Was bedeutet der Klimawandel für sie?
Viele Inuit leben noch von der Jagd und der Fischerei. Bei der Robbenjagd macht sich die Schmelze zum Beispiel dadurch bemerkbar, dass eine geschossene Robbe oft nicht mehr lang genug auf dem Meer treibt, dass man sie einsammeln kann. Sie versinkt, die Jagd wird viel schwieriger.
Wie gehen die Menschen mit diesen neuen Herausforderungen um?
Die Menschen versuchen sich anzupassen: Die Landwirtschaft ist zum Beispiel für viele eine reizvolle Idee. Unter dem Eis kommen freie Flächen zum Vorschein. Aber man darf sich die Landwirtschaft in der Arktis nicht so vorstellen wie bei uns. Es ist noch immer sehr kalt, steinig, eisig, und viele Flächen sind gar nicht nutzbar.
Durch die Gletscherschmelze werden auch andere Ressourcen zugänglich. Öl, Mineralien, aber auch "Gletschermehl". Im Film berichten Sie, dass man dieses Gesteinsmehl als Dünger einsetzen kann. Hatten Sie den Eindruck, dass die Menschen vor Ort das Land nachhaltig nutzen wollen?
Schwer zu sagen. Jedenfalls war uns wichtig zu zeigen, dass sich in all den Veränderungen eben auch Möglichkeiten für eine bessere Welt ergeben. Das Gletschermehl oder Algenwälder, die Kohlenstoff speichern, sind solche kleinen Bausteine. Auch wenn sie nicht gleich die ganze Welt retten, müssen wir uns solche Geschichten immer wieder erzählen: damit wir die Hoffnung nicht verlieren. Denn noch können wir etwas tun. Und es werden am Anfang die vielen kleinen Schritte sein, die uns wieder zu einer enkelfähigen Haltung bringen.
Das klingt hoffnungsvoll. Auch wenn die USA unter Donald Trump Grönland kontrollieren und aus dem Pariser Klimaabkommen austreten will.
Noch hat die Welt eine gewisse Struktur. Es gibt ja nicht nur einen mächtigen Menschen auf der Welt. Wir müssen als Weltgemeinschaft die Emissionen reduzieren. Die Frage bleibt: Machen wir etwas oder machen wir nichts? Auch in Zeiten des Populismus machen sich viele Menschen Gedanken zum Klimawandel. Dadurch, dass sich Amerika jetzt aus diesem riesigen Markt der Förderung erneuerbarer Energien rausnimmt, entwickeln sich Chancen für andere – das ist ein riesiger Wirtschaftszweig.
© hr/Maike Simon
Wie blicken Sie persönlich in die Zukunft?
Es gibt eine Wunschwelt und eine Realität. In der Wunschwelt streben wir nach Wohlstand – was nachvollziehbar ist. Doch wenn er am Ende alles zerstört, zerstört er auch sich selbst. Und die physikalische Realität interessiert sich nun mal gar nicht für unsere Wünsche. Die beiden Welten dürfen sich nicht zu weit voneinander entfernen. In der Geschichte der Menschheit haben wir uns immer weiterentwickelt. Jetzt ist die notwendige Entwicklung eben, nicht in eine unüberwindbare Krise zu steuern. Ich glaube, dass das am Ende gewinnt. Die Frage ist nur, wie schnell und wie groß der Schaden ist, wenn man zu langsam ist. Und wir sind zu langsam.
Noch gibt es einen riesigen Eisschild im Herzen Grönlands. Sie standen sogar auf dieser rund zwei Kilometer dicken Eisschicht. War das für Sie der beeindruckendste Moment der Reise?
Das war faszinierend! Es gab aber auch den Moment, in dem wir gesehen haben, wie ein Teil eines Gletschers abbricht. Der Lärm ist unfassbar. Eigentlich war jeder Tag emotional. Eine Reise mit ganz viel Faszination und einem großen Bedürfnis, davon zu erzählen, um vielleicht ein bisschen zur Haltung der Menschen beizutragen.
Die Dokumentation "Wie extrem wird das Wetter, Sven Plöger? Wenn die Arktis schmilzt" wird am 3. Februar um 20:15 in der ARD ausgestrahlt und ist danach in der Mediathek verfügbar.