BDI-Studie: Die Energiewende soll viel billiger werden
Die Vertreter der deutschen Industrie sehen bei der Energiewende Einsparpotenziale in dreistelliger Milliardenhöhe. Sie gehen von einem niedrigeren Strombedarf aus und fordern eine Reform der Klimapolitik

Die Vertreter der deutschen Industrie sehen bei der Energiewende Einsparpotenziale in dreistelliger Milliardenhöhe. Sie gehen von einem niedrigeren Strombedarf aus und fordern eine Reform der Klimapolitik
Seit die möglichen künftigen Koalitionäre Union und SPD sich zu ihren ersten Gesprächen getroffen haben, wird in Deutschland vor allem über eines gesprochen: Ausgaben. Wie können die Milliarden, die der alte Bundestag nun per Infrastrukturpaket und Aufweichung der Schuldenbremse einer künftigen Regierung zugesprochen hat, möglichst schnell und sinnvoll eingesetzt werden? Auch Ökonomen und Wirtschaftsvertreter hatten schon vor der Einigung gewaltige Investitionsprogramme gefordert.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht bei einem Thema nun allerdings exakt in die Gegenrichtung: In einer gemeinsamen Studie mit der Boston Consulting Group (BCG) unter dem Titel „Energiewende auf Kurs bringen“ geht es um Effizienz und weniger Kosten. Und zwar auf einem Gebiet, das bei der scheidenden Bundesregierung im Mittelpunkt stand: dem Wechsel der Volkswirtschaft von fossilen Energieträgern hin zu einer klimaneutralen Versorgung.
Weniger Energienachfrage als gedacht
Durch „eine effizientere Energiewende“, so heißt es beim BDI, könnten in den kommenden zehn Jahren mehr als 300 Mrd. Euro eingespart werden. Das wäre mehr als die Hälfte des Betrages, der durch das Infrastrukturpaket in einem vergleichbaren Zeitraum zur Verfügung steht. Als mögliche Hebel, mit denen diese Kostensenkung erreicht werden könnte, haben der Verband und die Berater eine ganze Reihe von Schritten identifiziert. „Im Stromsektor sind Emissions- und Kostensenkungen kein Widerspruch“, behauptet Jens Burchardt, Partner bei BCG und Co-Autor der Studie. „Mit besserer Koordination und Planung könnte die Energiewende in den nächsten zehn Jahren mehr als 20 Prozent günstiger werden – bei gleichzeitig sinkenden Emissionen.“
Zum einen soll der Ausbau von Stromnetzen, erneuerbaren Energien und Wasserstoffwirtschaft „an die tatsächlich erwartbare Nachfrage angepasst“ werden. Gemeint ist: Da der Bedarf an Strom nach BCG-Rechnungen für das Jahr 2030 etwa 100 Terawattstunden niedriger ausfällt als derzeit veranschlagt, müssten auch das Angebot und die entsprechende Infrastruktur nicht in dem Umfang zur Verfügung stehen, man könnte sich also mehr Zeit lassen. Darüber hinaus sollen „unnötige Kosten“ vermieden werden, indem man auf Erdkabel verzichtet, die günstigen Varianten der Erneuerbaren vorzieht (sprich: weniger Offshore-Windräder) und die teure Verstromung von Wasserstoff erst einmal nicht vorantreibt.
Weniger Tempo beim Wasserstoff?
Natürlich macht der Verband diese Rechnungen nicht aus purem Interesse an der Effizienz auf, sondern vor allem deshalb, weil die deutsche Industrie nach wie vor unter einem klaren Wettbewerbsnachteil leidet. Die Unternehmen haben mit deutlich höheren Stromkosten als internationale Wettbewerber zu kämpfen, der Unterschied bei den Preisen für Gas ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine noch höher, und auch Wasserstoff lässt sich in Deutschland nicht konkurrenzfähig produzieren. „Hohe Energiekosten sind nicht erst seit der Energiekrise eine der größten Sorgen deutscher Industrieunternehmen“, sagt Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI. „Das erhöht den Druck, die Energiewende kosteneffizienter umzusetzen.“
Die große Frage ist, inwieweit die Forderungen des Verbandes in einer kommenden Bundesregierung Anklang finden. In ihrem Sondierungspapier hatten Union und SPD angekündigt, die Stromnetzentgelte der Kunden zu senken und die Stromsteuern zu senken, die Branche also stärker zu subventionieren. Von einer generellen Abkehr von den Ausbauzielen ist allerdings nicht die Rede. Zudem ist gerade der rasche Ausbau der Wasserstoffwirtschaft auch ein Lieblingsprojekt vieler aktueller und ehemaliger Unionspolitiker. Der Brennstoff bringt das attraktive Versprechen mit sich, dass sich herkömmliche Verfahren in der Industrie oder bei den Verbrauchern einfach eins zu eins ersetzen lassen, nur eben mit einem anderen Energieträger. So gibt es nach wie vor die Idee, Wasserstoff auch in der Wärmeversorgung oder in Pkw einzusetzen, wenn auch nicht notwendigerweise grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien.
Eon und RWE wollen Kosten senken
Allerdings steht der BDI mit seinen Erkenntnissen durchaus in einer Reihe mit führenden Vertretern der Energiebranche. Die Chefs der Versorger Eon und RWE hatten Mitte März in der „FAZ“ sehr ähnlich argumentiert. Auch sie gehen von Einsparungen in dreistelliger Milliardenhöhe aus und fordern „eine bessere Balance“ zwischen Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Kosten. Beide Unternehmen spüren die Kosten der Energiewende und stehen unter dem Druck der Aktionäre. Es ist eine Phalanx der deutschen Wirtschaft, die sich hier aufbaut und die vor allem verhindern will, dass das Geld, das einer kommenden Bundesregierung zur Verfügung steht, jegliche Gedanken an Effizienz und Einsparpotenziale zunichte macht.
In einer Frage könnten sich die künftigen Koalitionäre mit den Wirtschaftsvertretern womöglich schneller treffen. BDI und BCG legen Wert darauf, dass die Elektrifizierung des Landes beschleunigt werden soll, auch darin liegt angesichts anhaltend hoher Gaspreise theoretisch eine Möglichkeit, Kosten zu vermeiden. Bestehende Netze und Kapazitäten würden besser ausgelastet, zudem arbeiten elektrifizierte Einheiten in der Regel effizienter als Verbrenner.
Gebäude könnten also in höherem Tempo mit Wärmepumpen ausgestattet und Elektroautos rascher in den Markt gedrückt werden. Zudem könnte die Industrie ihre Prozesse auf Strom umstellen. Es wäre ein Ziel, für das sogar Geld bereitstünde – im Klima- und Transformationsfonds, in den laut Beschluss des Bundestages bald 100 Mrd. Euro fließen sollen. Und damit wäre die kommende Bundesregierung wieder bei dem, was sie sich ohnehin im großen Stil vorgenommen hat: beim Geld ausgeben.