Türkei: „Erdogan hat uns ein Stück weit in der Hand“

Die Türkei ist zweitgrößter NATO-Partner und strategisch von großer Bedeutung. Präsident Erdogan weiß das genau. Kritiker protestieren gegen seinen zunehmend autokratischen Kurs. Können sie gegenhalten? Und wo stehen wir?

Apr 12, 2025 - 19:39
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Türkei: „Erdogan hat uns ein Stück weit in der Hand“

Die Türkei ist zweitgrößter NATO-Partner und strategisch von großer Bedeutung. Präsident Erdogan weiß das genau. Kritiker protestieren gegen seinen zunehmend autokratischen Kurs. Können sie gegenhalten? Und wo stehen wir?

Es braucht viel Mut, um in der Türkei zu Protesten auf die Straße zu gehen. Da ist sich Martin Lück sicher. Der Volkswirt beobachtet mit großem Interesse, was aktuell am Bosporus passiert: Seit Ekrem İmamoğlu, der inzwischen abgesetzte Bürgermeister Istanbuls, am 19. März festgenommen wurde, kritisieren dessen Anhänger den zunehmend autoritären Kurs des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Weit über 800 Menschen wurden inzwischen angeklagt. Europa, so meint Lück, könnte durchaus mehr Kante zeigen. 

Innenpolitisch ist Ekrem İmamoğlu ist der schärfste Konkurrent Erdogans. Längst sitzt der Oppositionsführer in Untersuchungshaft. Offiziell geht es um Korruption und Terrorunterstützung, doch für seine Gegner sind diese Vorwürfe politisch motiviert. Das meint auch Lück: „Erdogan hat entschieden, İmamoğlu aus dem Spiel zu nehmen“, sagt der Türkei-Kenner im Podcast „Wirtschaft Welt & Weit“. Auch der Zeitpunkt der Festnahme, kurz bevor İmamoğlu von seiner Partei als Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen aufgestellt werden sollte, ist für ihn kein Zufall.

 Kritische Rufe nach schneller Aufklärung kommen zwar auch aus Deutschland. Doch diese Stimmen, so Lück, sind „bemerkenswert leise“. Die Türkei ist ein Land, das aus europäischer Sicht strategisch enorm wichtig ist. So ist Erdogan zwar auf der einen Seite Partner des Westens, doch pflegt er zugleich einen guten Draht zu Putin. Was auf ersten Blick kaum zusammenpasst, stärkt die Verhandlungsposition des türkischen Präsidenten gegenüber seinen europäischen Partnern enorm. „Erdogan weiß um seine Macht“, sagt der Volkswirt: „Ich würde fast sagen, er hat uns ein Stück weit in der Hand.“

Erdogans Lust an der Macht ist groß

Denn seit US-Präsident Donald Trump die Weltordnung durcheinanderwirbelt, ist die Türkei aus europäischer Perspektive wichtiger denn je: Dabei geht es nicht nur um Handelsrouten und Flüchtlingsdeals. Sondern auch um sicherheitspolitische Aspekte: So ist die Türkei ein NATO-Partner von enormer Schlagkraft: Nach den USA verfügt das Land am Bosporus über die zweitgrößte Truppenstärke der Bündnispartner.

Für Lück steht fest: Erdogans Lust an der Macht ist groß. Das Vorgehen des türkischen Präsidenten gegen İmamoğlu hält er für einen Schritt von einer Autokratie in Richtung Diktatur. Mit einem schärferen Vorgehen gegen türkische Propaganda auf deutschem Boden könnte man Erdogan „vielleicht ein bisschen weh tun“. Reichen wird das aber nicht. Vor allem hofft er daher auf den Mut der Menschen in der Türkei – und dass sie sich auch in Zukunft nicht einschüchtern lassen. Denn auch Erdogan, so Lück, „wird nicht ewig an der Macht sein“.