Tiktok: Handelskrieg 2.0 – Chinas Influencer greifen westliche Luxusmarken an
Während sich USA und China mit Strafzöllen überziehen, verlagert sich der Konflikt ins Netz: Auf TikTok inszenieren chinesische Influencer eine Kampagne gegen westliche Modekonzerne. Was dahinter steckt – Propaganda, Protest oder Profitgier?

Während sich USA und China mit Strafzöllen überziehen, verlagert sich der Konflikt ins Netz: Auf TikTok inszenieren chinesische Influencer eine Kampagne gegen westliche Modekonzerne. Was dahinter steckt – Propaganda, Protest oder Profitgier?
Der Handelskrieg zwischen den USA und China hat das Videoportal Tiktok erreicht. Chinesische Influencer veranstalten dort seit Tagen ein groß angelegtes Manöver gegen die westliche Modebranche.
In einer Flut von Videos wird behauptet: Luxusmarken wie Hermès, Louis Vuitton und Co. würden billig in China produzieren und dann viel teurer in den USA und Europa verkaufen. Das Gleiche gelte für Schuhe von Nike, Thermosflaschen von Stanley und viele andere Produkte.
Dazu würden die Unternehmen zum Beispiel das Herkunftslabel „Made in China“ durch „Made in France“ oder „Made in Italy“ ersetzen und ihr Logo auf dem Kleidungsstück, Accessoire oder Produkt anbringen.
Die einfache Erzählung verfängt. Videos mit diesen und ähnlichen Behauptungen werden millionenfach angesehen und vielfach geteilt. Auffällig ist, wie viele Accounts die Videos der chinesischen Creators unkritisch und oft sogar unter Beifall reposten. Was daran stimmt und was Propaganda oder Marketingmasche ist, interessiert kaum.
Handelsstreit zwischen China und USA schwappt auf Social Media
Die Flut an prochinesischen und antiamerikanischen Beiträgen auf Social Media zeigt: Im Handelskrieg zwischen den USA und China, der nun offenbar auch online ausgetragen wird, hat China aktuell die Oberhand.
Hintergrund dieser neuen Entwicklung ist, dass sich die beiden Staaten seit Tagen gegenseitig mit immer neuen Vergeltungszöllen überziehen. Seit Donnerstag vergangener Woche liegen die US-Zölle auf Waren aus China bei 145 Prozent. China hat nun mit einem Zoll von 125 Prozent auf US-Einfuhren geantwortet.
In den sozialen Medien, insbesondere auf Tiktok, gibt es eine wachsende Zahl von Beiträgen von Nutzern, die in China leben und die Qualität von Produkten aus chinesischen Fabriken loben. Ob die Posts von der chinesischen Regierung gesteuert sind oder chinesische Hersteller einfach ihre Chance wittern, in den US-amerikanischen und europäischen Markt zu stoßen, ist unklar.
Nur selten machen die Tiktok-Nutzer Angaben zu ihrem genauen Standort. Gemein ist den Videos auch, dass oft betont wird, wie wichtig chinesische Produkte für die Lieferketten westlicher Unternehmen seien.
Eine besonders aktive Nutzerin ist Lunasourcingchina, die regelmäßig über chinesische Zulieferer von bekannten Marken wie Sephora und Zara berichtet. In einem ihrer neuesten Videos geht sie detailliert auf die Auswirkungen von Zöllen ein und erklärt, wie Unternehmen in China die damit verbundenen Kosten an die Endverbraucher weitergeben. „Die Fabriken werden die Verluste nicht einfach schlucken. Sie sind nicht darauf aus, Geld zu verlieren, und auch die Importeure werden die Kosten nicht übernehmen, sondern sie werden sie einfach an die Lieferkette “, sagte sie in einem ihrer Videos.
Hermès Birkin Bag „Made in China“ 97 Prozent billiger?
Die Videos eines Tiktok-Nutzers erregten in den letzten Tagen besonders viel Aufmerksamkeit: Er postet unter dem Namen Senbags und sagt, er sei ein Taschenhersteller aus Guangzhou, China.
Senbags wirft Modemarken wie Hermès vor, ihre Kunden zu betrügen, und wirbt gleichzeitig für seine eigenen Produkte. Die Botschaft: Meine Taschen für 1000 US-Dollar sind in Bezug auf Aussehen, Material und Verarbeitung identisch mit Luxustaschen für 40.000 US-Dollar. Lasst euch nicht länger von Marken betrügen, deren hochpreisige Produkte ich weitaus kostengünstiger herstelle. Bestellt direkt bei mir.
In einem seiner Videos sitzt er auf einem Hocker in einer kleinen Halle. Im Hintergrund sind Männer und Frauen an Tischen zu sehen, die nähen. Senbags hält eine sogenannte Birkin Bag in den Händen. Das Produkt des französischen Herstellers Hermès bekommt man ab knapp 9000 Euro, nach oben hin ist die Preisgrenze quasi offen.
Das Modell im Video koste bei Hermès 38.000 US-Dollar, sagt Senbags. Er biete es für nur 1000 US-Dollar an. Dies sei ein unschlagbares Angebot, da die Qualität seiner Taschen mit der von westlichen Luxusmarken vergleichbar sei.
„Leute wiederholen wirklich nur, was sie auf Tiktok hören“
Das Video von Senbags ging in den letzten Tagen viral und erzeugte sehr unterschiedliche Reaktionen. Ein großer Account auf X (ehemals Twitter) sah sich zu einer Klarstellung genötigt. Der Nutzer hinter dem Handle @dieworkwear gilt als Institution in Sachen Männerkleidung und Mode. Er hat Beiträge für Publikationen wie „GQ“, „The Washington Post“, „Esquire“, „Foreign Policy“, „Politico“, „The Guardian“ und „The Nation“ verfasst. Seine Identität ist jedoch unbekannt.
In einem Post auf X schreibt @dieworkwear in direkter Reaktion auf Senbags: „Dieses Video hat (...) die Menschen dazu verleitet, die Modeproduktion auf eine allzu simple Erzählung zu reduzieren.“
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Die Behauptung des chinesischen Herstellers, seine Taschen seien genauso wie die von Hermès, weil sie die gleichen Materialien verwenden, sei ein Trugschluss.
„Das ist, als würde ich sagen, dass meine Spaghetti genauso gut sind wie die eines Sternekochs, nur weil wir beide Tomaten und Mehl verwenden“, so @dieworkwear. Tatsächlich komme es mehr auf das Können als auf die Materialien an.
Hermès stelle Dinge auf der ganzen Welt her, aber die klassischen Taschen wie die Birkin Bag würden in Frankreich zugeschnitten und genäht. „Leute wiederholen wirklich nur, was sie auf Tiktok hören.“
Respekt für Marketing der Chinesen
Mittlerweile sind US-amerikanische Tiktok-Nutzer auf die Vielzahl chinesischer Inhalte aufmerksam geworden. Sie sagen, dass prochinesische Hersteller die Plattform und ihre For-You-Seiten regelrecht mit ihren Inhalten überschwemmen.
„Der Tiktok-Handelskrieg ist Modegeschichte in Echtzeit“, lautet zum Beispiel ein Kommentar unter dem Video eines chinesischen Herstellers. Oder: „Sie hätten diese App wahrscheinlich wegnehmen sollen, als sie die Chance dazu hatten.“ Die Art und Weise, wie die chinesischen Hersteller ihr Blatt spielen, sei eine 10 von 10 auf ganzer Linie.
Dieser Artikel ist eine Übernahme des Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört. Auf Capital.de wird er zehn Tage hier aufrufbar sein. Danach finden Sie ihn auf www.stern.de.