Stalking in Beziehungen: Warum digitale Gewalt durch moderne Technologien zunimmt

Tracker sollen eigentlich helfen, verlegte Dinge wiederzufinden. Aber immer häufiger kommen sie in oder nach Beziehungen zum Einsatz – zum Stalken. So hat es Carmen erlebt.

Apr 18, 2025 - 19:36
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Stalking in Beziehungen: Warum digitale Gewalt durch moderne Technologien zunimmt

Tracker sollen eigentlich helfen, verlegte Dinge wiederzufinden. Aber immer häufiger kommen sie in oder nach Beziehungen zum Einsatz – zum Stalken. So hat es Carmen erlebt.

Nur aus Zufall entdeckte Carmen das seltsame Objekt an ihrem Auto, in der Nähe des Hinterreifens. Ein kleines, schwarzes Ding, umwickelt mit Klebeband. Sie hatte keine Ahnung, was sie da in der Hand hielt. Erst als sie googelte, wurde ihr klar, dass es ein Tracker ist, der ihren aktuellen Standort weitermeldet. Jemand konnte jeden ihrer Schritte verfolgen, aus der Ferne. "Es war ein Schock", sagt sie, "und ich wusste nicht mal, wie lange das schon so ging." Carmen, die eigentlich anders heißt, hatte sofort ihren Ex-Freund im Verdacht.

Digitale Gewalt: Die unsichtbare Bedrohung nimmt zu

Noch nie war es so einfach, tief in die Lebenswelt von Menschen einzudringen, sie rund um die Uhr mit technologischen Hilfsmitteln zu verfolgen, zu belästigen oder zu bedrohen. Digitale Gewalt ist ein Phänomen, das explosiv zunimmt und sich extrem vielfältig ausüben lässt. Denn all die Technologien, die den Alltag erleichtern, können auch missbraucht werden. Über 17 000 Mädchen und Frauen waren laut Bundeskriminalamt 2023 "Opfer von digitaler Gewalt" wie Cyberstalking – ein Anstieg um 25 Prozent innerhalb eines Jahres. Allerdings berücksichtigt das BKA dabei nur einige Facetten digitaler Gewalt.

Tracker wie "Apple AirTags" oder "Smarttags" von Samsung, die dabei helfen sollen, verlegten Schlüsseln oder geklauten Fahrrädern auf die Spur zu kommen, finden sich in Handtaschen, Kleidung oder Autos gewaltbetroffener Frauen, sind in Kinderspielzeug eingebaut. Manche Täter installieren sogar Spionage-Apps, wenn sie Zugriff auf ein Smartphone haben, und können damit Nachrichten lesen oder Anrufe mitschneiden. Häufig sind die Täter Bekannte, meist Partner oder Partnerinnen. Besonders oft werden Menschen nach einer Trennung belästigt.

Wenn das Ende der Beziehung zur Gefahr wird

Carmen ist offen, lacht viel. Sie arbeitet für ein nachhaltiges Start-up. Sie war Anfang 30, als sie den Mann traf, der zu ihrem Stalker wurde. Die Beziehung habe intensiv begonnen, sagt sie, sei ihr jedoch zu eng geworden. "Er war sehr eifersüchtig, aber viele Situationen habe ich erst für Leidenschaft gehalten." Eigentlich war er charmant, seine Stimmung konnte allerdings schnell umschlagen. Er war genervt, wenn sie in seinem Beisein Anrufe entgegennahm oder Nachrichten erhielt.

Nach knapp einem Jahr trennte sie sich. "Ich war nicht mehr ich", sagt sie. Er legte ihr Geschenke vor die Tür, rief an. Als sie seine Nummer blockierte, schrieb er ihr weiter auf Instagram. Für Carmen fühlte es sich jedes Mal wie ein Übergriff an. Einmal besuchte sie eine Lesung, plötzlich poppte die Nachricht von einer unbekannten Nummer auf: "Schöner Jumpsuit." War er gerade im Raum oder beobachtete er sie von draußen?

"Es ist schrecklich, wenn jemand, den man nicht treffen will, jederzeit irgendwo auftauchen kann", sagt Carmen. Mit seinem Verhalten schaffte er es, weiter Teil ihres Alltags zu sein. "Ich muss immer an ihn denken, auch wenn ich eigentlich nur will, dass er aus meinem Leben verschwindet", sagt sie, er sei "wie ein Phantom". Und genau das wollen die Täter auch erreichen: Mit Liebe hat digitale Gewalt nichts zu tun, es geht in erster Linie darum, weiter Kontrolle auszuüben.

Wie äußert sich digitale Gewalt?

Digitale Gewalt kann jede und jeden treffen, wobei Frauen deutlich häufiger die Opfer sind. Die Dunkelziffer ist hoch, nicht jeder Fall kommt zur Anzeige. "Viele Betroffene erkennen digitale Überwachung selbst noch nicht als Gewalt an", schildert es IT-Expertin Inga Pöting von der Initiative "Ein Team gegen digitale Gewalt" (ein-team.org), die Beratungsstellen und Frauenhäuser in ganz Deutschland schult. "Je mehr Stellen gezielt danach fragen, desto mehr Fälle werden berichtet – Beziehungsgewalt und Stalking beinhaltet heute fast immer auch digitale Gewalt."

Allerdings fehlen vielen der Einrichtungen bislang ausreichend IT-Erfahrung und Ressourcen, um die technischen Herausforderungen zu bewältigen. "Das geht teilweise über Alltagswissen hinaus, die Täter fuchsen sich da ganz schön hinein, nutzen Cloud-Dienste zur Überwachung und verbinden Geräte so miteinander, dass sie Messenger-Nachrichten mitlesen können", sagt Pöting.

Betroffene erleben immer wieder, dass selbst die Polizei noch nicht genug für diese Form der Gewalt sensibilisiert ist. Und der Opfer-Hilfsorganisation Weißer Ring zufolge hat nur ein Bruchteil der Stalking-Betroffenen Erfolg vor Gericht – bei digitaler Gewalt gibt es keine Brüche oder Würgemale als Beweis.

Auch Carmen konnte lange nicht einordnen, dass sie Gewalt erlebt, kam gar nicht auf die Idee, ihren Ex-Freund anzuzeigen. "Ich fand es schlimm, fühlte mich verfolgt, war lange richtig paranoid, wenn ich rausgegangen bin, aber er ist nicht handgreiflich geworden", erzählt sie. Es habe sich "schmutzig" angefühlt, wenn er immer wieder Wege fand, sie mit Nachrichten zu fluten. Laut Weißer Ring leiden Menschen, die Stalking erleben, manchmal so sehr unter der ständigen Belästigung, Stress und Ohnmacht, dass sie krank werden, sogar an Suizid denken.

Prävention, Vorsicht und Achtsamkeit

Carmen hat inzwischen einen Kurs für digitale Selbstverteidigung gemacht, um zu lernen, wie sie Smartphone und Konten in sozialen Netzwerken besser sichern kann. Wenn sie jetzt dated, sei sie vorsichtig, sagt sie. Sie nimmt Abstand, wenn jemand ihr eifersüchtig vorkommt. Von ihrem Ex-Freund hat sie seit einigen Monaten nichts mehr gehört. Über Bekannte weiß sie, dass er in einer neuen Beziehung ist. Sie hofft, dass er endlich Ruhe gibt. Sicher kann sie sich nie sein.