Spielen Prävention und Gesundheitsförderung künftig eine „wichtige Rolle“ und was ist damit überhaupt gemeint? [Gesundheits-Check]

Bekanntlich sind wir alle für mehr Prävention und es sind auch alle für mehr Digitalisierung und eine bessere Nutzung von Gesundheitsdaten. Diesem diffusen Common Sense kommt der Koalitionsvertrag von Union und SPD entgegen: „Krankheitsvermeidung, Gesundheitsförderung und Prävention spielen für uns eine wichtige Rolle. Wir sprechen Menschen, insbesondere Kinder, zielgruppenspezifisch, strukturiert und niederschwellig an. Die bestehenden…

Apr 23, 2025 - 18:58
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Spielen Prävention und Gesundheitsförderung künftig eine „wichtige Rolle“ und was ist damit überhaupt gemeint? [Gesundheits-Check]

Bekanntlich sind wir alle für mehr Prävention und es sind auch alle für mehr Digitalisierung und eine bessere Nutzung von Gesundheitsdaten. Diesem diffusen Common Sense kommt der Koalitionsvertrag von Union und SPD entgegen:

„Krankheitsvermeidung, Gesundheitsförderung und Prävention spielen für uns eine wichtige Rolle. Wir sprechen Menschen, insbesondere Kinder, zielgruppenspezifisch, strukturiert und niederschwellig an. Die bestehenden U-Untersuchungen werden erweitert und das Einladewesen für alle weiterentwickelt. Wir stärken freiwillige Angebote auf kommunaler Ebene, die vulnerable Gruppen in den Blick nehmen. Einsamkeit, ihre Auswirkung und der Umgang damit, rücken wir in den Fokus. Wir beseitigen Hürden zugunsten eines besseren Datenaustausches im Rahmen des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes. Wir prüfen, wie wir nach dem Ende des Paktes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) in gemeinsamer Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen den ÖGD weiterhin unterstützen können.“

Der Passus ist aufschlussreich. Früherkennung und Prävention werden mehr oder weniger gleichgesetzt. Von irgendwo wurde das Stichwort „Einsamkeit“ aufgeschnappt, einsam steht es nun da. Verbindlich ist man, wo medizinische Früherkennungsangebote zulasten der Krankenkassen ausgebaut werden sollen, unverbindlich, wo die öffentlichen Haushalte selbst Geld in die Hand nehmen müssten. Man will sparen. Beim Pakt für den ÖGD konnte man sich zu keiner konkreten Finanzierungsaussage durchringen, wie das die Verhandlungsgruppe Gesundheit und Pflege von Union und SPD im Vorfeld des Koalitionsvertrags noch getan hatte. So sieht die „wichtige Rolle“ von Prävention und Gesundheitsförderung etwas fadenscheinig aus. Gedankenlosigkeit kommt noch dazu, denn was „Krankheitsvermeidung“ neben Gesundheitsförderung und Prävention sein soll, weiß vermutlich niemand.

Ist auch egal, die Signale sind gesetzt. Jetzt versucht jeder, seine Interessen darin unterzubringen. Gerade hat sich auch die Helmholtz-Gemeinschaft dazu zu Wort gemeldet: “Helmholtz intensiviert Präventionsforschung”. Das Statement der Helmholtz-Gemeinschaft kann man paradigmatisch für den Präventionsdiskurs in Deutschland lesen – „verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre“, wie der Münchner Soziologe Ulrich Beck das Nebeneinander von Einsicht und Zurückhaltung einmal formuliert hat.

Die Helmholtz-Gemeinschaft hatte 2023 einen Haushalt von ca. 6,3 Mrd. Euro, überwiegend öffentlich finanziert, und sie vereint nach eigener Aussage „sechs Gesundheitsforschungszentren mit rund 10.000 Mitarbeitenden“. Damit könnte man in der Präventionsforschung in der Tat „eine wichtige Rolle“ spielen.

Zunächst hat man eine Arbeitsgruppe eingerichtet:

„Die Helmholtz-Gemeinschaft bündelt ihre Aktivitäten in der Präventionsforschung und hat dafür die „Helmholtz Health Prevention Task Force“ ins Leben gerufen.“

AG Prävention klingt vermutlich zu altbacken. Aber die Ausgangslage wird durchaus in aller Kürze treffsicher auf den Punkt gebracht:

„Trotz ihrer großen Bedeutung für das Gesundheitssystem steht die Präventionsforschung vor erheblichen Herausforderungen. Das Fehlen einer langfristigen, umfassenden Strategie und unzureichende finanzielle Mittel haben den Fortschritt verzögert. Das Expertengremium hat zudem wesentliche Lücken identifiziert: Gesundheitsungleichheiten (sprich: Unterschiede in der Gesundheit von Bevölkerungsgruppen aufgrund sozialer, wirtschaftlicher oder geografischer Bedingungen) und Umweltfaktoren werden häufig vernachlässigt, was die Effektivität präventiver Maßnahmen einschränkt.“

Dem kann man nur zustimmen. Es fehlt an politikwissenschaftlichen Analysen zur Stagnation von Public Health in Deutschland, Deutschland kommt bei den Bemühungen um eine Nationale Public Health-Strategie einfach nicht weiter, es kommt auch bei der Bekämpfung der gesundheitlichen Folgen sozialer Ungleichheit nicht weiter und die umweltbedingten Gesundheitsrisiken werden auch nur sehr selektiv angegangen, ihre Ursachen wie der Klimawandel eher symbolisch als effektiv.

Im Anschluss daran wird weit ausgeholt, aber man darf sich natürlich auch hohe Ziele setzen:

„‘Unser Ziel ist es, Prävention zu einer zentralen Säule einer nachhaltigen Gesundheitsstrategie zu machen‘, sagt Prof. Eleftheria Zeggini, Co-Vorsitzende der Task Force und Direktorin des Instituts für Translationale Genomik bei Helmholtz Munich. ‚Um große gesundheitliche Herausforderungen wie den demografischen Wandel, Multimorbidität und die Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit zu meistern, müssen wir die Zusammenarbeit zwischen Forschenden, Gesundheitsdienstleistern und politischen Entscheidungsträger:innen intensivieren.‘“

Alles Weitere danach fällt dann allerdings deutlich bescheidener aus und die Pressemitteilung der Helmholtz-Gemeinschaft ist hier zudem biomedizinisch und technokratisch ausgerichtet, sie nimmt die gesundheitswissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre, was Partizipation, verhältnispräventive Orientierung und politikfeldübergreifendes Handeln angeht, mit keinem Wort auf:

„‘Mithilfe innovativer Technologien wie Multi-Omics, maschinellem Lernen und Bioengineering wollen wir Gesundheitstrends und Risikofaktoren identifizieren, die auf die jeweilige Person zugeschnitten sind, und so Volkskrankheiten früher erkennen und gezielt vorbeugen‘, erklärt Prof. Maike Sander, Vizepräsidentin von Helmholtz Health und Wissenschaftliche Vorständin des Max Delbrück Center. ‘Wenn wir Gesundheitsdaten besser vernetzen und teilen, können wir die Forschung in prädiktive, effektive und nachhaltige Gesundheitslösungen überführen, die das Leben vieler Menschen verbessern.‘“

Wenn Public Health mit Big Data auf „die jeweilige Person zugeschnitten“ wird, um Risiken und Volkskrankheiten früher erkennen und in „Gesundheitslösungen“ überführen zu können – hat man dabei noch Umwelt- und Arbeitsschutz oder bessere Bildungschancen für alle im Blick? Oder doch eher Angebote der personalisierten Medizin? Man wird sehen.

Auf jeden Fall passen solche Formulierungen zu Forschungsanträgen mit dem Sexy-Faktor MedHighTech. Das findet bei Politiker:innen mehr Anklang als Fragen, warum es bei der Tabakprävention oder der Zuckerreduktion nicht weitergeht, warum Kinder aus sozial benachteiligten Familien trotz aller Präventionskurse mit netten Wortspielen rund um Moby Dick oder Raupe Nimmersatt noch immer häufiger adipös sind, warum der Anteil der Prävention an den Gesundheitsausgaben seit 20 Jahren stagniert, wie der Return on Investment in einzelnen Präventionssegmenten oder gesamtwirtschaftlich wirklich aussieht oder ob nicht zuletzt auch eine mangelnde Gesundheitskompetenz von Politiker:innen erklärt, warum das alles so ist.

Ihr Strategiepapier hat die Helmholtz-Taskforce englischsprachig in einem internationalen Journal publiziert, abgeschirmt vor politischen Leser:innen im Bundestag oder der Gesundheitsverwaltung. Vielleicht weil die eigentliche Zielgruppe die scientific community ist, in selbstreferentieller Bescheidenheit?

Ohne konsistente Public Health-Strategie, die den Handlungsbedarf sowohl datengestützt als auch konsensuell bestimmt („evidenzinformiert“) und ohne eine Politik, die bereit ist, auf dieser Grundlage nach dem Health-in-all-Policies-Ansatz aktiv zu werden, wird es beim Run auf die gerade aktuellen Förderfleischtöpfe bleiben. Zumindest bei der Projektitis sowie den vollmundigen Versprechen, was sich in der Prävention mit Gesundheitsdaten alles erreichen lässt, muss man vorerst nicht um die Nachhaltigkeit fürchten.