Mehr als Malen: Warum es wichtig ist, dass Kinder kreativ sein dürfen

Kreativ sein – das ist viel mehr als ein schönes Bild malen zu können. Der Kunstpädagoge Sascha Krause erklärt, warum Kinder von Geburt an hochkreativ sind, wie sie diese Kreativität am besten entfalten und dass es dafür gar keine teuren Farben braucht.Kinder sind von Natur aus neugierig, fantasievoll und offen für Neues. Doch was können Eltern tun, um diese kreative Energie zu fördern – und warum ist sie auch als Erwachsener noch eine gefragte Eigenschaft? Wir haben mit Sascha Krause gesprochen. Der Kunstpädagoge, Sozialarbeiter und Vater von zwei Kindern ist Lehrbeauftragte an der Hochschule Koblenz.  Mit Kreativität lassen sich Probleme lösen ÖKO-TEST: Herr Krause, mit ihrem Verein Atelier mobil bringen Sie Materialien wie Holz, Farbe, Gips oder Ton im Bauwagen zu Kindern in oft entlegenen Stadtteilen und arbeiten mit ihnen künstlerisch. Ist eigentlich jedes Kind gleich kreativ? Sascha Krause: Ja, definitiv. Kreativität ist keine Fähigkeit, die man irgendwie lernt, sondern die ist von Anfang an da. Kinder sind von Anfang an fantasievoll, neugierig, können gut staunen, haben einen Wissensdurst und Entdeckergeist. Das alles sind Persönlichkeitsmerkmale, die die Forschung auch bei Erwachsenen findet, die besonders kreativ sind. Es gibt eine Studie, bei der man einen für Nasa-Piloten entwickelten Kreativitätstest fünfjährigen Vorschulkindern vorgelegt hat: 98 Prozent dieser Fünfjährigen haben so gut abgeschnitten, dass sie es in die Kategorie "hochkreativ" geschafft haben, also auf das höchste Level. Bei den Zehnjährigen waren es dann nur noch 30 Prozent und bei den Erwachsenen mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren nur noch zwei Prozent. Im Laufe des Lebens wird unsere Kreativität immer mehr verschüttet. Wozu ist Kreativität überhaupt wichtig? Nasa-Piloten müssen ja keine Bilder malen … Krause: Es geht dabei überhaupt nicht um das Malen schöner Bilder. Kreativität wird heute – auch in der Forschung – vor allem als Problemlösungskompetenz verstanden. Am Anfang steht immer eine Herausforderung, ein Problem. Wenn wir dafür keine Strategie parat haben, weil wir ein solches Problem noch nie lösen mussten, dann brauchen wir Kreativität. Und in der heutigen Zeit, in der wir keine Glaskugel haben und nicht wissen, wie die Welt von morgen sein wird – ich sag’ mal Stichwort KI –, wissen wir eins ganz gewiss: Kreativität ist eine Schlüsselressource, damit unsere Kinder lernen, sich flexibel und situationsspezifisch anzueignen, was sie brauchen.Erwachsene sollten aufhören, Lösungen vorzugeben  Wie können Eltern denn zu Hause die Kreativität ihrer Kinder anregen? Krause: Wichtig ist erst mal, dass wir Erwachsenen aufhören, Lösungen vorzugeben. Wenn ein Kind kommt und zwei Holzklötze aneinanderkleben will, dann wissen wir natürlich, dass das mit Holzleim ganz gut funktioniert. Aber ich würde trotzdem dafür plädieren, das Kind erst mal zu fragen: Was hast denn du denn für Ideen, wie könnten wir das machen? Ich nenne das den Verzicht auf den eigenen Wissensvorsprung. Es geht erst mal um den Prozess, nicht um das Ergebnis. Es ist ja nicht schlimm, wenn etwas schiefgeht, wenn die Holzklötze wieder auseinanderfallen. Genau deshalb ist die Kunst auch eine so ideale Spielwiese, um Kreativität zu trainieren – weil da nichts Schlimmes passieren kann. Also ist der Weg dabei das Ziel… Krause: Genau. Zum Beispiel kriegen Kinder über drei Jahren von mir zum Malen immer nur die drei Grundfarben Gelb, Blau und Rot plus die Kontrasttöne Schwarz und Weiß. Weil ich möchte, dass das Problem entsteht: Ich habe kein Grün. Und dann kann ich als Erwachsener sagen: Oh, was kannst du denn jetzt da machen? Und es ist eben wertvoll, wenn das Kind – ohne dass ihm jemand sagt, rühr Blau und Gelb zusammen – zum allerersten Mal aus dem eigenen Experiment heraus merkt: Auch ich kann ein Grün selbst herstellen! Dieser Heureka-Moment, dieses "Boah, ich hab’s geschafft!" sorgt im Gehirn für eine Dopaminausschüttung. Das kickt, und das wollen wir immer wieder haben. Das Kind wird dann wahrscheinlich eine Woche lang grüne Bilder malen. Aber irgendwann wird das langweilig, und es wird wissen wollen: Wie geht denn Orange? Und wie Lila? Da entsteht das, was wir Pädagogen intrinsische Lernmotivation nennen – also aus eigenem Antrieb etwas Neues lernen zu wollen. Das brauchen Kinder später auch in der Schule. Aber in der Welt der Kunst können sie das spielerisch üben.Pädagogisch wertvoll, Inhaltsstoffe bedenklich – das war in der Vergangenheit oft das Fazit unserer Tests von Fingerfarben. Die aktuelle Überprüfung zeigt erfreulicherweise, dass sich die Produkte verbessert haben. Auffällig dabei: Entweder sind die Testkandidaten empfehlenswert oder fallen durch.Sie haben in ihren Kinderateliers natürlich ideale Möglichkeiten. Wie können Eltern zu Hause Kreativität ermöglichen, ohne die Verwüstung des Kinderzimmers fürchten zu müssen? Krause: Ich bin schon ein Freund davon, wenn Kinder zu Hause eine Ecke haben, in der man vielleicht eine Folie auslegt, wo das K

Mai 11, 2025 - 18:39
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Mehr als Malen: Warum es wichtig ist, dass Kinder kreativ sein dürfen

Kreativ sein – das ist viel mehr als ein schönes Bild malen zu können. Der Kunstpädagoge Sascha Krause erklärt, warum Kinder von Geburt an hochkreativ sind, wie sie diese Kreativität am besten entfalten und dass es dafür gar keine teuren Farben braucht.

Kinder sind von Natur aus neugierig, fantasievoll und offen für Neues. Doch was können Eltern tun, um diese kreative Energie zu fördern – und warum ist sie auch als Erwachsener noch eine gefragte Eigenschaft? Wir haben mit Sascha Krause gesprochen. Der Kunstpädagoge, Sozialarbeiter und Vater von zwei Kindern ist Lehrbeauftragte an der Hochschule Koblenz. 

Mit Kreativität lassen sich Probleme lösen

ÖKO-TEST: Herr Krause, mit ihrem Verein Atelier mobil bringen Sie Materialien wie Holz, Farbe, Gips oder Ton im Bauwagen zu Kindern in oft entlegenen Stadtteilen und arbeiten mit ihnen künstlerisch. Ist eigentlich jedes Kind gleich kreativ?

Sascha Krause: Ja, definitiv. Kreativität ist keine Fähigkeit, die man irgendwie lernt, sondern die ist von Anfang an da. Kinder sind von Anfang an fantasievoll, neugierig, können gut staunen, haben einen Wissensdurst und Entdeckergeist. Das alles sind Persönlichkeitsmerkmale, die die Forschung auch bei Erwachsenen findet, die besonders kreativ sind.

Es gibt eine Studie, bei der man einen für Nasa-Piloten entwickelten Kreativitätstest fünfjährigen Vorschulkindern vorgelegt hat: 98 Prozent dieser Fünfjährigen haben so gut abgeschnitten, dass sie es in die Kategorie "hochkreativ" geschafft haben, also auf das höchste Level. Bei den Zehnjährigen waren es dann nur noch 30 Prozent und bei den Erwachsenen mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren nur noch zwei Prozent. Im Laufe des Lebens wird unsere Kreativität immer mehr verschüttet.

Wozu ist Kreativität überhaupt wichtig? Nasa-Piloten müssen ja keine Bilder malen …

Krause: Es geht dabei überhaupt nicht um das Malen schöner Bilder. Kreativität wird heute – auch in der Forschung – vor allem als Problemlösungskompetenz verstanden. Am Anfang steht immer eine Herausforderung, ein Problem. Wenn wir dafür keine Strategie parat haben, weil wir ein solches Problem noch nie lösen mussten, dann brauchen wir Kreativität.

Und in der heutigen Zeit, in der wir keine Glaskugel haben und nicht wissen, wie die Welt von morgen sein wird – ich sag’ mal Stichwort KI –, wissen wir eins ganz gewiss: Kreativität ist eine Schlüsselressource, damit unsere Kinder lernen, sich flexibel und situationsspezifisch anzueignen, was sie brauchen.

Erwachsene sollten aufhören, Lösungen vorzugeben 

Wie können Eltern denn zu Hause die Kreativität ihrer Kinder anregen?

Krause: Wichtig ist erst mal, dass wir Erwachsenen aufhören, Lösungen vorzugeben. Wenn ein Kind kommt und zwei Holzklötze aneinanderkleben will, dann wissen wir natürlich, dass das mit Holzleim ganz gut funktioniert.

Aber ich würde trotzdem dafür plädieren, das Kind erst mal zu fragen: Was hast denn du denn für Ideen, wie könnten wir das machen? Ich nenne das den Verzicht auf den eigenen Wissensvorsprung. Es geht erst mal um den Prozess, nicht um das Ergebnis.

Es ist ja nicht schlimm, wenn etwas schiefgeht, wenn die Holzklötze wieder auseinanderfallen. Genau deshalb ist die Kunst auch eine so ideale Spielwiese, um Kreativität zu trainieren – weil da nichts Schlimmes passieren kann.

Also ist der Weg dabei das Ziel…

Krause: Genau. Zum Beispiel kriegen Kinder über drei Jahren von mir zum Malen immer nur die drei Grundfarben Gelb, Blau und Rot plus die Kontrasttöne Schwarz und Weiß. Weil ich möchte, dass das Problem entsteht: Ich habe kein Grün. Und dann kann ich als Erwachsener sagen: Oh, was kannst du denn jetzt da machen?

Und es ist eben wertvoll, wenn das Kind – ohne dass ihm jemand sagt, rühr Blau und Gelb zusammen – zum allerersten Mal aus dem eigenen Experiment heraus merkt: Auch ich kann ein Grün selbst herstellen! Dieser Heureka-Moment, dieses "Boah, ich hab’s geschafft!" sorgt im Gehirn für eine Dopaminausschüttung. Das kickt, und das wollen wir immer wieder haben. Das Kind wird dann wahrscheinlich eine Woche lang grüne Bilder malen.

Aber irgendwann wird das langweilig, und es wird wissen wollen: Wie geht denn Orange? Und wie Lila? Da entsteht das, was wir Pädagogen intrinsische Lernmotivation nennen – also aus eigenem Antrieb etwas Neues lernen zu wollen. Das brauchen Kinder später auch in der Schule. Aber in der Welt der Kunst können sie das spielerisch üben.

Pädagogisch wertvoll, Inhaltsstoffe bedenklich – das war in der Vergangenheit oft das Fazit unserer Tests von Fingerfarben. Die aktuelle Überprüfung zeigt erfreulicherweise, dass sich die Produkte verbessert haben. Auffällig dabei: Entweder sind die Testkandidaten empfehlenswert oder fallen durch.

Sie haben in ihren Kinderateliers natürlich ideale Möglichkeiten. Wie können Eltern zu Hause Kreativität ermöglichen, ohne die Verwüstung des Kinderzimmers fürchten zu müssen?

Krause: Ich bin schon ein Freund davon, wenn Kinder zu Hause eine Ecke haben, in der man vielleicht eine Folie auslegt, wo das Kind auch mal kleckern darf oder ein Becher umfallen kann. Da gibt’s, was man halt so hat: Schere, Kleber, da darf auch ruhig eine Säge mit dabei sein.

Meine Kinder haben zum Beispiel einen Ateliertisch, da steht ein kleiner Rollwagen daneben, indem sie die Schätze und Materialien sammeln können, die sie so finden. Zu Hause lässt sich mit einfachen Mitteln Kreativität fördern, das muss nicht teuer sein. Man kann mit Kindern zum Beispiel auch mal die Joghurtbecher und die anderen Sachen, die so im Gelben Sack landen, spülen.

Welche Farben sollten auf diesem Tisch stehen?

Krause: Ideal finde ich, wenn man Kindern vernünftige Farben zu Verfügung stellt: Zum Beispiel Temperafarben, die haben eine schöne Leuchtkraft, gehen besser aus der Kleidung wieder raus als Acrylfarben, und da gibt es günstige Schultempera. Als Malkittel geht auch ein altes Herrenhemd.

Es ist schon schön, wenn Kinder mehr haben als nur die üblichen Holz- und Filzstifte oder Wasserfarben – und wenn man ihnen nicht immer nur DIN-A4-Blätter gibt, sondern vielleicht mal einen Streifen Tapete an die Wand pinnt, damit sie den Pinsel mit dem ganzen Arm schwingen können, vielleicht auch mal einen Schwamm oder eine Spülbürste. Auch die Badewanne lässt sich gut mit Fingerfarben bemalen. Oder man nimmt gleich den Bürgersteig und malt dort mit Kreide.

Krebserregende Schadstoffe in Straßenmalkreiden: Nach unserem letzten Test mussten wir Eltern vor einigen Produkten warnen. Haben die Hersteller das Problem in den Griff bekommen? Unsere aktuelle Überprüfung zeigt, dass sich die Kreiden verbessert haben. 

"Kinder brauchen die Botschaft, dass der Weg zählt"

Die leuchtet aber nicht so doll …

Krause: Das muss dann auch keine Kunst sein. Da könnten wir uns zum Beispiel wunderbar einen Bewegungsparcours einfallen lassen: Wir malen einen Startpunkt und überlegen uns dann eine Station nach der anderen.

Im ersten Abschnitt stampfen wir vielleicht wie ein Dinosaurier: Dann malen wir lauter Dinofüße auf den Boden, und man muss bis zur nächsten Station nur stampfen. Dort überlegen wir uns den nächsten Abschnitt: Hier gehen wir auf Händen und Füßen – und dann malen wir lauter Hände und Füße auf die Straße, in die man rein zielen muss. Und so weiter bis zum Ziel.

Dabei trainieren wir nicht nur unsere Fantasie, wir bewegen uns nebenbei auch an der frischen Luft, weit weg von irgendwelchen Bildschirmen.

Müssen Eltern denn immer dabei sein?

Krause: Natürlich müssen Eltern nicht dauernd danebensitzen, vor allem wenn Kinder älter werden. Aber dann können sie vielleicht hinterher fragen: Was hast du denn da gemacht, und was hast Du dir dabei gedacht? Es ist schön, wenn das Kind ein aufrichtiges Interesse erlebt an seinen Ideen. Das ist ein echtes Geschenk. Wenn Eltern mittun wollen, denn geht es darum, zu begleiten und nicht zu führen.

Wie stehen Sie zum Loben?

Krause: Damit sollte man sehr bewusst umgehen. Wenn ein Kind kommt und sein Bild zeigt, dann machen wir im Alltag oft den Fehler, dass wir sagen: "Ui, das hast Du aber schön gemacht, komm das hängen wir an den Kühlschrank."

Das ist aber nicht das, was Kinder brauchen und womit man Kreativität fördert. Denn wenn das Lob einmal ausbleibt, dann wirkt es wie eine Strafe. Diese Bewertung – schön oder hässlich, fertig oder unfertig – das ist eher ein Kreativitätskiller. Auch wenn wir sagen: Schau mal, da ist noch ganz viel Weiß auf deinem Bild, da kannst Du noch weitermalen. Nein – der Künstler entscheidet, wann sein Werk fertig ist.

Kinder brauchen die Botschaft, dass der Weg zählt und nicht das, was dabei herauskommt. Auf diesem Weg können sie Lebensfreude finden und die Fähigkeit, sich auszudrücken. So können wir ihnen helfen, die zu werden, die sie sein wollen.

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