NS-Propaganda: Vergessene NS-Kisten: Was ein Fund in Argentinien über Hitlers Netzwerke verrät

Mitten im Zweiten Weltkrieg verschiffte das NS-Regime mehr als 80 Kisten mit Propagandamaterial über seine Botschaft in Tokio nach Argentinien. Nun wurden sie entdeckt

Mai 13, 2025 - 19:00
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NS-Propaganda: Vergessene NS-Kisten: Was ein Fund in Argentinien über Hitlers Netzwerke verrät

Mitten im Zweiten Weltkrieg verschiffte das NS-Regime mehr als 80 Kisten mit Propagandamaterial über seine Botschaft in Tokio nach Argentinien. Nun wurden sie entdeckt

Im Archiv des Obersten Gerichtshofs in Argentinien sind Justizmitarbeiter auf Dutzende Kisten mit NS-Propagandamaterial gestoßen. Der nun bekannt gemachte Fund umfasst Tausende Dokumente, darunter Postkarten, Fotos, Notiz- und Mitgliedsbücher des NS-Regimes. 

Die Entdeckung erfolgte zufällig, bei Umzugsarbeiten. Und sie ist eine Sensation. Denn: "Beim Öffnen einer der Kisten wurde Material entdeckt, das dazu bestimmt war, Adolf Hitlers Ideologie während des Zweiten Weltkriegs in Argentinien zu festigen und zu verbreiten", teilte die Justizbehörde mit.

Der argentinische Zoll konfiszierte die Kisten

Tatsächlich lässt sich einigermaßen gut rekonstruieren, wie die Pakete nach Argentinien gekommen sind. Die deutsche Botschaft in Tokio hatte sie im Sommer 1941 an Bord eines japanischen Frachters nach Argentinien geschickt, deklariert als persönlichen Besitz der dortigen Botschaftsangehörigen. Doch der Zoll des südamerikanischen Landes prüfte über Stichproben den Inhalt und verweigerte die Herausgabe an die deutschen Diplomaten. Stattdessen informierte man "den damaligen Außenminister Enrique Ruiz Guiñazú über mögliche Probleme angesichts der Menge und der Art des Materials, die die Neutralität Argentiniens im europäischen Konflikt gefährden könnten", wie es von der Justizbehörde weiter heißt. 

Die Sendung wurde einbehalten. Man ging auch nicht auf die Bitte der deutschen Botschaft in Argentinien ein, die Kisten wieder zurück nach Tokio zu schicken. Die Dokumente verschwanden dann offenbar jahrzehntelang unbeachtet im Keller des Gerichtshofs.

Argentinische Polizisten stellen 1941 bei einer Razzia gegen nationalsozialistische Umtriebe Aktenordner sicher
Argentinische Polizisten stellen 1941 bei einer Razzia gegen nationalsozialistische Umtriebe in Buenos Aires Aktenordner und Unterlagen sicher. Die Regierung verfolgt während des Zweiten Weltkrieges jegliche Versuche der Einflussnahme des Hitler-Regimes im Land
© Bettmann

Der Fund des Materials ist von globaler historischer Bedeutung. Zeigt er doch, mit welchen Mitteln das NS-Regime insgeheim versucht hat, Allianzen in Südamerika zu knüpfen.

Der Inhalt der Kisten ist zwar damals nie verteilt worden, aber die Sendung dürfte kein Einzelfall gewesen sein. Daher wird mit Spannung erwartet, was die Historiker und Restauratorinnen herausfinden werden, die die Dokumente nun sichten und aufarbeiten. Ihr Ziel: neue Erkenntnisse über die Verbreitung nationalsozialistischer Netzwerke in Argentinien und mögliche Hinweise auf Finanzflüsse der NS-Täter von damals gewinnen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Argentinien zum Zufluchtsort für Nationalsozialisten

Denn auch das ist bekannt: Argentinien wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem zentralen Zufluchtsort für zahlreiche Nationalsozialisten und NS-Kollaborateure. Männer wie Adolf Eichmann, der zu den Hauptorganisatoren der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen gehörte und sogar seine Familie nachholen konnte. Der "Todesengel von Auschwitz" Josef Mengele, der in dem Vernichtungs- und Konzentrationslager im heutigen Polen grausame Experimente an Menschen durchgeführt hat. Oder Ludolf Hermann von Alvensleben, ein SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS und Polizei.

Sie alle und viele mehr nutzten die sogenannten Rattenlinien, beschafften sich als vermeintlich Staatenlose Pässe über das Rote Kreuz in Italien und wanderten von dort aus, vor allem nach Südamerika, wo sie meist unter falschen Namen lebten, teilweise auch Karriere machten.

Insbesondere Argentinien umwarb die Auswanderer. Zwischen Berlin und Buenos Aires gab es schon lange gute Kontakte, viele Deutsche waren schon vor dem Ersten Weltkrieg dorthin emigriert. Ab 1946 verfolgte der autoritär regierende argentinische Staatschef Juan Domingo Perón eine Modernisierung seines Landes und seiner Streitkräfte, die dazu nötigen Fachleute – Rüstungsspezialisten, Ingenieure, Piloten – suchte er in Europa. 

Viele Täter blieben unbehelligt

Mehr und mehr Nationalsozialisten fanden so den Weg nach Argentinien und bemühten sich aktiv um den Nachzug von einstigen Kameraden, man half einander. Viele entgingen so der Strafverfolgung.

Ludolf Hermann von Alvensleben etwa war zwar unter falscher Identität emigriert, wurde aber 1952 unter seinem richtigen Namen argentinischer Staatsbürger. Letzteres bewahrte ihn davor, ausgeliefert zu werden, auch als das Amtsgericht München 1964 Haftbefehl gegen ihn erließ – wegen tausendfachen Mordes.