Neue Erkenntnisse: Bewegung wirkt Demenz offenbar auch nach Beginn erster Symptome entgegen
Zwei ermutigende Studien legen nahe, dass Bewegung auch in hohem Alter noch eine Alzheimer-Demenz hinauszögern kann. Sogar dann, wenn sich erste geistige Einschränkungen zeigen

Zwei ermutigende Studien legen nahe, dass Bewegung auch in hohem Alter noch eine Alzheimer-Demenz hinauszögern kann. Sogar dann, wenn sich erste geistige Einschränkungen zeigen
Sport gilt als eine der wichtigsten frühzeitigen Vorbeugemaßnahmen gegen Alzheimer-Demenz (GEO berichtete). So weit, so bekannt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt hierfür 150 bis 300 Minuten moderate Bewegung oder 75 bis 150 Minuten intensiven Sport pro Woche. Idealerweise sollte man schon in jungen Jahren beginnen, um das Demenzrisiko möglich günstig zu beeinflussen.
Aber bedeutet das umgekehrt, dass es im Hinblick auf die Hirngesundheit irgendwann zu spät ist, um noch anzufangen? Keineswegs, wie zwei neue Studien nahelegen, die Menschen zwischen 40 und 65 Jahren und Menschen im Alter von durchschnittlich 74 Jahren untersucht haben. Die zweite Studie zeigt sogar: Regelmäßige Bewegung lohnt sich offenbar sogar dann noch, wenn erste kognitive Einschränkungen auftreten. Eine ermutigende Nachricht für Betroffene und Angehörige.
Zwischen 40 und 65: Sport reduziert schädliches Beta-Amyloid
In der ersten Studie haben Forschende aus Spanien 337 Frauen und Männer zwischen dem 40. und 65. Lebensjahr über vier Jahre begleitet. Die Probanden waren zum Zeitpunkt der Untersuchung geistig und körperlich gesund, hatten aber ein erhöhtes familiärer Demenzrisiko. Anhand von Fragebögen wurde erfasst, wer die WHO-Empfehlung zur Bewegung eingehalten hat und wer nicht. Die Probanden wurden in drei Gruppen eingeteilt:
- Sport gemäß der WHO-Empfehlung
- Regelmäßige Bewegung, aber weniger als die WHO empfiehlt
- Bewegungsarmer Lebensstil
Zusätzlich entnahmen die Forschenden Rückenmarksflüssigkeit aus dem Wirbelsäulenkanal der Teilnehmenden und führten Gehirnscans durch.
Das Ergebnis: Wer seine Bewegungsdosis im Laufe der vier Jahre steigerte, in dessen Rückenmarksflüssigkeit befand sich weniger Beta-Amyloid. Bei Beta-Amyloid handelt es sich um spezielle Proteine, die sich im Gehirn anhäufen können und Plaques bilden, die als eine der Hauptursachen für Alzheimer im Verdacht stehen.
Zudem wiesen sportliche Teilnehmende in bestimmten Hirnregionen mehr Volumen (kortikale Dicke) auf. Diese Hirnregionen schwinden im Falle von Alzheimer mit den Jahren. "Selbst bei denjenigen, die sich weniger körperlich betätigten als empfohlen, war die kortikale Dicke größer als bei sitzenden Menschen, was darauf hindeutet, dass jedes noch so geringe Maß an Bewegung der Gesundheit zugute kommt", erklärt Müge Akinci, Erstautorin der Studie in einer Pressemitteilung. Die Studie ist in der Fachzeitschrift "Alzheimer's & Dementia" erschienen.
70 Jahre und aufwärts: Bewegung verzögert offenbar den Krankheitsverlauf
In derselben Fachzeitschrift erschien eine weitere Studie zu dem Thema. Darin untersuchten Forschende aus den USA die Wirkung von moderater Bewegung und Sport auf den Alzheimerverlauf bei Menschen im Alter von durchschnittlich 74 Jahren. Für ihre Analyse kombinierten die Forschenden Daten aus zwei vorangegangenen Studien. Als Probanden beider Ausgangsstudien wurden bewusst Menschen ausgewählt, die bereits erste kognitive Einschränkungen und Gedächtnisprobleme zeigten.
In der Analyse dienten rund 300 Teilnehmende der sogenannten "Exert"-Studie als Interventionsgruppe. In der Exert-Studie wurde über ein Jahr hinweg geschaut, ob moderates bis intensives Ausdauertraining unter professioneller Anleitung den kognitiven Abbau stärker verlangsamt als sanftes Dehnen, Balance- und Bewegungstraining. Als Kontrollgruppe dienten die Probanden der "Adni-1"-Studie. Diese verfolgte einfach nur, wie sich der kognitive Zustand von Menschen unter üblicher medizinischer Betreuung entwickelte – ohne gezieltes Trainingsprogramm.
Als die Forschenden die Probanden der beiden Studien mit und ohne Training verglichen, stellten Sie Ermutigendes fest: In den Trainingsgruppen blieben die kognitiven Funktionen über 12 Monate überraschend stabil. Dabei machte es keinen Unterschied, ob die Teilnehmenden Ausdauersport betrieben oder sanfte Bewegungsformen ausgeübt hatten.
Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die nicht an einem Trainingsprogramm teilgenommen hatte, stellten die Forschenden zudem deutlich weniger kognitive Abbauprozesse fest. Auch der Verlust an Hirnvolumen fiel in den Trainingsgruppen geringer aus, insbesondere im präfrontalen Kortex, der für Selbstkontrolle und Problemlösen zuständig ist. Allerdings können die Forschenden nicht ausschließen, dass der Effekt teilweise auf die mit der Studienteilnahme verbundene regelmäßige soziale und geistige Anregung zurückgeht. Außerdem beschränkte sich die Beobachtung auf ein Jahr.
Wenn sich erste Symptome zeigen, ist es höchste Zeit
Was folgt daraus? Erste kognitive Einbußen sind ein Warnzeichen, das man ernstnehmen und gegensteuern sollte, sagt Aladdin Shadyab, Hauptautor der Studie und außerordentlicher Professor an der University of California in einer Pressemitteilung. "Es ist ein kritischer Zeitpunkt, um bei dieser Bevölkerungsgruppe einzugreifen, da sie noch nicht an Demenz erkrankt ist, aber ein sehr hohes Risiko hat". Schon moderates Training, etwa ein Tanz- oder Gymnastikkurs für Ältere, kann den Verlauf wahrscheinlich positiv beeinflussen.
Auch wer selbst noch keine Symptome hat, aber weiß, dass er ein familiäres Risiko trägt, kann im fortgeschrittenen Alter noch mit einer Sportprävention beginnen. Eine Garantie dafür, dass die Erkrankung sich maßgeblich hinauszögern lässt, gibt es zwar nicht, aber die Möglichkeit besteht. Zudem ist Sport auch aus anderen Gründen empfehlenswert: Er sorgt für Wohlbefinden und soziale Kontrakte. Zugleich wirkt er Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Depressionen entgegen – alles ebenfalls Risikofaktoren für eine Alzheimer-Demenz.