Kriegsende 1945: Moment der Befreiung – wie ein paar Soldaten einen Todeszug der Nazis stoppten

Ein Todeszug mit gefangenen Juden wurde von zwei Panzern der US-Armee gefunden. Fotos eines Offiziers zeigen den Moment, als die Häftlinge die US-Soldaten erkannten.

Mai 8, 2025 - 05:48
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Kriegsende 1945: Moment der Befreiung – wie ein paar Soldaten einen Todeszug der Nazis stoppten

Ein Todeszug mit gefangenen Juden wurde von zwei Panzern der US-Armee gefunden. Fotos eines Offiziers zeigen den Moment, als die Häftlinge die US-Soldaten erkannten.

Außer Militärexperten erinnert sich kaum jemand an das 743rd Tank Battalion. Es trägt keinen berühmten Namen wie die 82nd Airborne Division oder die 1st Infantry Division, die "Big Red One". Dennoch landete das Bataillon mit der ersten Angriffswelle am D-Day in Frankreich. Später nahm es an den erbitterten Kämpfen um die Siegfried-Linie nördlich von Aachen teil. In der Ardennenoffensive stoppte die Einheit den Vormarsch der berüchtigten 1. SS-Panzerdivision, der "Leibstandarte", im Raum Malmedy.

Der Anblick der Befreiung

Kurz vor Kriegsende machte einer ihrer Offiziere, Major Clarence Benjamin, eines der eindrucksvollsten Fotos des Zweiten Weltkriegs. Es zeigt Frauen und Kinder, die aus einem Todeszug der Nazis klettern. Sein Bild fängt das ungläubige Staunen einer bis heute nicht identifizierten Frau ein. Ihr Gesicht verrät, dass sie ihren Augen zunächst nicht trauen will und erst jetzt, unmittelbar vor den US-Soldaten, ihre Anspannung nachlässt. Eine grenzenlose Erleichterung zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab.

Panzerkommandant George C. Gross erinnerte sich an eine ähnliche Szene: "Ein junges Mädchen, vielleicht 15 Jahre alt, stand da und lächelte mich an. Ihr Gesicht war so dünn, dass ihre Augen riesig wirkten, aber dieses Lächeln … es war, als ob sie trotz allem Hoffnung gefunden hätte." Das Foto wurde später in Ausstellungen zur Befreiung der Konzentrationslager gezeigt und bleibt ein Symbol für die Menschlichkeit inmitten des Krieges.

Die Befreiung von Auschwitz im Osten durch die Rote Armee, die Ankunft der US-Truppen in Dachau und die der Briten in Bergen-Belsen sind historisch bedeutender. Doch kein Foto zeigt den Moment der Befreiung so eindringlich wie dieses Bild vom Abstellgleis bei Magdeburg. Etwa 2500 Menschen waren in den Waggons zusammengepfercht. Sie kamen aus dem Vernichtungslager Bergen-Belsen. Die Menschen im Zug, viele seit Tagen ohne Wasser oder Nahrung, litten unter Krankheiten und der unerträglichen Enge der überfüllten Waggons, während der Zug ziellos durch zerstörte Landstriche fuhr. Gross beschrieb die Szene: "Als wir näher kamen, sahen wir, dass die Waggons voller Menschen waren, viele kaum noch am Leben. Einige krochen heraus, andere lagen reglos. Es war, als ob die Hölle selbst sich vor uns öffnete." Das Reich lag Mitte April 1945 bereits in den letzten Zügen, doch die Mordmaschinerie wütete weiter. KZ-Häftlinge wurden erschossen oder transportiert, um ihre Befreiung durch die Alliierten zu verhindern.

In der Elbe ertränkt 

Die Menschen in diesem Zug gehörten zu den sogenannten "privilegierten" Häftlingen des Lagers. Sie waren von den Deutschen für einen geplanten Gefangenenaustausch mit den Alliierten ausgewählt worden. Der Zug irrte ohne jede Versorgung durch die Reste Deutschlands, die noch unter der Kontrolle der Nazis standen. Als es nicht mehr weiterging, soll der Kommandant den Befehl erhalten haben, alle Insassen bei einer geplanten Brückensprengung in der Elbe zu ertränken. Überlebende berichteten jedoch, dass der Kommandant, ein SS-Offizier namens Max Schmidt, nie die Absicht hatte, die Juden in dem Zug zu töten, sondern auf eine Gelegenheit wartete, sich mit seinen Leuten abzusetzen, möglicherweise in der Hoffnung, sich den Alliierten zu ergeben. Dies muss kurz vor dem Eintreffen der US-Soldaten geschehen sein.

Durch Zufall wurde der Todeszug bekannt

Lange Zeit geriet dieser Moment der Befreiung in Vergessenheit. Erst 2001 erzählte der Panzerkommandant Carrol Walsh in einem Interview von den Einsätzen seines Bataillons. Er beschrieb Schlachten und Gefechte und gedachte der Kameraden, die er verloren hatte. Nur durch Zufall, weil seine Tochter ihn daran erinnerte, schilderte er die Befreiung des Zuges. "Wir fuhren diese Straße entlang, und plötzlich sahen wir diese Leute am Straßenrand. Sie sahen aus wie Skelette, so dünn und ausgezehrt. Ich dachte zuerst, es wären Flüchtlinge, aber dann sah ich die Waggons. Es war ein Schock, zu erkennen, dass dies Häftlinge aus einem Konzentrationslager waren", sagte Walsh. Diesem Interview folgten weitere Recherchen bei Überlebenden und mehrere Buchveröffentlichungen. 

So kam es zu der Begegnung: Einige Meilen nordwestlich von Magdeburg lag ein Gleisanschluss in einer bewaldeten Schlucht unweit der Elbe. Dort stieß Major Clarence Benjamin am 13. April 1945 mit seiner Patrouille auf etwa 200 abgerissen aussehende Personen am Straßenrand. Benjamin, ein erfahrener Offizier aus Ohio, war tief bewegt von der Begegnung und bewahrte das Foto sein Leben lang auf. Im Hintergrund war noch Artilleriefeuer zu hören. Den Soldaten fiel auf, dass etwas nicht stimmte. Die Gestalten am Straßenrand waren hager und abgezehrt. Sie brachen in ein hysterisches Lachen aus, als sie die Soldaten erkannten. Einige Häftlinge fielen den Soldaten weinend in die Arme, während andere, zu schwach zum Gehen, ungläubig die Panzer anstarrten. 

Walsh erinnerte sich: "Die Menschen kamen auf uns zu, einige weinend, andere lachend, als könnten sie es nicht glauben. Ich werde nie vergessen, wie ein älterer Mann meine Hand nahm und sie küsste. Er sprach kein Englisch, aber seine Augen sagten alles." Gina Rappaport, damals 16 Jahre alt, beschrieb ihre Gefühle: "Ich dachte, dies sei das Ende. Wir hatten tagelang nichts gegessen, und die Wachen waren verschwunden. Plötzlich hörten wir Motoren, und dann sah ich die amerikanischen Panzer. Ich dachte, ich träume – ich konnte nicht glauben, dass wir gerettet waren." Unweit der Straße standen die alten Güterwaggons auf dem Abstellgleis – ein trauriges, verzweifeltes Lager voller Menschen.

Die ursprüngliche Notiz heißt:
Die ursprüngliche Notiz heißt: "Das kleine Mädchen in der Mitte ist so schwach vom Verhungern, dass sie kaum noch stehen kann, um ein Lächeln für ihre 'Befreier' zu haben. Man könnte genau dasselbe von den beiden Kindern auf beiden Seiten sagen"
© United States Holocaust Memorial Museum

Erinnerungen eines Befreiers

Der Panzerkommandant George C. Gross erinnerte sich 2001 an die Ereignisse: "Am Freitag, dem 13. April 1945, befehligte ich einen leichten Panzer in einer Kolonne des 743rd Tank Battalion und der 30th Infantry Division. … Der Major führte unsere beiden Panzer, die jeweils mehrere Infanteristen der 30th Infantry Division auf ihrem Deck trugen, eine schmale Straße hinunter, bis wir ein Tal erreichten. Dort lag ein kleiner Bahnhof mit einer bunten Ansammlung von Personen- und Güterwaggons auf einem Nebengleis. Eine Masse von Menschen saß oder lag dort, die unsere Anwesenheit noch nicht bemerkt hatte." 

Es war eine Befreiung ohne Kämpfe, denn die Deutschen waren geflohen. "Es muss Wachen gegeben haben, aber sie sind offensichtlich vor oder bei unserer Ankunft weggelaufen, denn ich erinnere mich an kein Feuergefecht. Unser Halt vor dem Zug war also keine große Heldentat." Auch Gross erinnerte sich an das Foto der Frau: "Es zeigt im Vordergrund eine Frau, die ihre Arme weit ausstreckt und einen Ausdruck von Überraschung und Freude auf ihrem Gesicht hat, als sie auf uns zustürzt."

Die Soldaten versuchten zu helfen, so gut sie konnten, doch die Patrouille mit ihren zwei leichten Spähpanzern hatte keine Vorräte für 2500 Menschen dabei. Ariela Rojek, eine Überlebende, erinnerte sich: "Die Soldaten gaben uns Schokolade und Brot, aber viele von uns waren zu schwach, um zu essen. Ich erinnere mich an einen Soldaten, der weinte, als er die Kinder aus den Waggons hob. Wir waren für sie keine Fremden – sie sahen uns als Menschen." Gross erinnerte sich an sechzehn Tote, die aus den Waggons getragen wurden. 

Die Soldaten positionierten ihre Panzer, um den Zug sichtbar unter den Schutz der US-Armee zu stellen. Dann sammelten sich die Befreiten vor den Soldaten. Sie streckten den Rücken, hoben den Kopf und stellten sich in einer seltsamen Zeremonie förmlich vor. Sie hatten ihre Würde zurückgewonnen und waren wieder zu Menschen geworden. Michael Hirsch, damals sieben Jahre alt, berichtete: "Ich erinnere mich an die Panzer und die Soldaten mit den Sternen auf ihren Uniformen. Meine Mutter hielt mich fest und flüsterte: 'Wir sind frei.' Es war das erste Mal seit Jahren, dass ich sie lächeln sah." "Ich habe ein Bild von mehreren Mädchen", erinnerte sich Gross. "Sie waren gespenstisch dünn, mit hohlen Wangen und riesigen Augen, die viel Böses und Schrecken gesehen hatten, und doch trugen sie ein Lächeln, das mir das Herz brach."

Quelle: A Train Near Magdeburg―The Holocaust, the survivors, and the American soldiers who saved them von Matthew Rozell