Kommentar: Höhere Steuern? Dieses Konzept ist völlig aus der Zeit gefallen

Die Steuerpläne der SPD sind nur das jüngste Symptom für das vorhandene Besitzstanddenken der Politik. Auch die CDU blockiert seit Jahren eine Steuerreform. Wo bleibt das dringend nötige Aufbruchsignal?

Mär 29, 2025 - 19:30
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Kommentar: Höhere Steuern? Dieses Konzept ist völlig aus der Zeit gefallen

Die Steuerpläne der SPD sind nur das jüngste Symptom für das vorhandene Besitzstanddenken der Politik. Auch die CDU blockiert seit Jahren eine Steuerreform. Wo bleibt das dringend nötige Aufbruchsignal?

Friedrich Merz ist wirklich nicht zu beneiden. Nach seinem dürftigen Wahlsieg diktierten ihm erst SPD und Grüne mit der Reform der Schuldenbremse den wirtschafts- und haushaltspolitischen Kurs für die kommenden vier Jahre (obgleich die Grünen gar nicht mehr in der Regierung sein werden). Und jetzt verweigerte auch noch das Bundesverfassungsgericht dem kommenden Kanzler einen bereits sicher geglaubten Coup: die Abschaffung des Solidaritätszuschlags.  

Wollen Union und SPD tatsächlich bis Ostern eine neue Regierung bilden, geht es für Merz und seine Unterhändler in den „Chefgesprächen“ der kommenden Tage nun um sehr viel – um den letzten Rest Glaubwürdigkeit ebenso wie um den Anspruch, dieses Land wirklich in seinen Strukturen zu erneuern. Und dazu zählt gerade das deutsche Steuersystem, der Angstgegner für viele Arbeitnehmer und Unternehmer, die sich nicht regelmäßig Steuerberater und Anwälte leisten können, die für ihre Dienste hunderte Euro pro Stunde berechnen.  

Das verbreitete Gefühl von Ohnmacht und Überforderung ließ sich in den vergangenen 20 Jahren im Rahmen des normalen politischen Geschäfts nie überwinden – jede Debatte über echte Reformen des Systems blieben stets in einem Gleichgewicht des Schreckens stecken. Union und Liberale auf der einen Seite, SPD und Grüne auf der anderen blockierten sich gegenseitig. Umso wichtiger wäre jetzt ein Impuls von außen gewesen, ein exogener Schock, auf den die Politik dann reagieren muss – je größer, umso besser. Siehe Trump und die Schuldenbremse.   

Soli-Abschaffung hätte Merz in die Karten gespielt

In etwa so hatten Merz und seine Leute die höchstrichterlich angeordnete Abschaffung des Soli schon fest eingeplant. Sie hätte aus ihrer Sicht erzwungenermaßen Bewegung in die festgefahrene Debatte gebracht und einen Stillstand beendet, der das Land nachhaltig lähmt. Bis zu 13 Milliarden Euro Steuerentlastungen für Unternehmen und die oberen zehn Prozent der Steuerzahler durch das Soli-Aus – womöglich sogar rückwirkend für die letzten fünf Jahre –, das wäre nur vermittelbar gewesen mit einer größeren Reform, die auch die so gern bemühte Mittelstandsfamilie entlastet hätte.  

Nun muss die Union ihr Wahlversprechen einer breiten Entlastung aller Steuerzahler aus eigener Kraft durchsetzen – gegen eine SPD, die jedoch genau das Gegenteil will: Sie will belasten, nicht entlasten. Die zuständige Arbeitsgruppe in den Koalitionsgesprächen konnte sich auf praktisch gar nichts verständigen, jetzt müssen die Chefs die Sache lösen. Wie dieses Kräftemessen ausgeht, wird weit mehr über den Reformwillen und die Reformfähigkeit der kommenden Regierung aussagen als mögliche Veränderungen beim Bürgergeld oder bei den Grenzkontrollen.      

Im Prinzip ist die Lösung dieses Dauerstreits aber gar nicht so schwer: Die normale politische Klugheit sagt einem, dass eine breite Entlastung der Arbeitnehmer in der Mitte der Einkommensskala – und „Mitte“ meint hier durchaus Haushaltseinkommen für Familien bis 120.000 oder gar 150.000 Euro pro Jahr – zumindest teilweise aufgefangen werden sollte durch eine höhere Belastung der ganz hohen Einkommen, etwa, indem man den heutigen Soli in einen neuen Steuertarif integriert. Wenn es Sie nun interessiert, wo Sie selbst mit Ihrem Einkommen zu verorten sind, empfehle ich Ihnen den neuen Mittelschichts-Rechner des Kölner Instituts der Wirtschaft, den Sie bei Capital online nutzen können. Ich verspreche Ihnen spannende Erkenntnisse: Sie müssen wirklich sehr, sehr gut verdienen, um mit zwei oder drei Kindern zu den absoluten Top-Verdienern im Land zu gehören.   

SPD-Pläne treffen ihre eigene Klientel

Das Ziel einer Steuerreform sollte sein, gerade im mittleren Bereich der Einkommen deutlich zu entlasten und zusätzliche Anreize für Mehr- und Zusatzarbeit zu setzen (etwa bei Arbeitnehmern, die heute nur 20 oder 25 Stunden in der Woche arbeiten, weil sich mehr für sie nicht lohnt). Wenn das am Ende 15 oder 20 Milliarden Euro pro Jahr kostet, sollte es uns das wert sein. Die beschlossene Änderung der Schuldenbremse – ja, Verschiebebahnhöfe! – gibt das jedenfalls her.  

Eine solche Reform wäre gleich aus diesen drei Gründen wichtig: Die jahrelange Stagnation in Deutschland hat strukturelle Ursachen, aber auch konjunkturelle. Die meisten Menschen haben heute in realen Preisen in etwa so viel in der Tasche wie 2019 – das hat Folgen beim Konsum und bei den größeren Anschaffungen. Die Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung werden in einigen Branchen einen massiven Effekt auf Nachfrage, Jobs und Einkommen haben, aber bei weitem nicht überall. Für einen breiten, nachhaltigen Aufschwung braucht es Impulse in allen Bereichen der Wirtschaft. Und drittens, irgendwer wird diese riesigen Investitionen in neue Waffensysteme und Rüstungsgüter, in Straßen, Schienen, Züge und Technik auch abarbeiten müssen. Das aber wird nur gelingen, wenn wir es schaffen, Leute zu motivieren, mehr zu arbeiten, länger zu arbeiten oder überhaupt zu arbeiten.    

Hinzu kommt eine psychologische Komponente: Nach nichts sehnt sich dieses Land in seiner ganz überwiegenden Mehrheit mehr als nach einem Signal der Veränderung, des Aufbruchs und des Muts. Die Blockade in der Steuerpolitik ist seit Jahren das glatte Gegenteil: ein Symbol für Besitzstandsdenken, für das Primat des Verteilens vor dem Erarbeiten, für Verzagtheit. Es passt nicht mehr in diese Zeit.  

Persönlicher Preis wäre verkraftbar 

Bekommt Merz eine Einigung über eine solche Reform hin, hätte er – nach der Reform der Schuldenbremse – die Chance, tatsächlich einiges zu bewegen. Um die Lage aufzubrechen, müsste er nur erneut einen Schritt auf die SPD zu machen und sich dafür öffnen, eine kleine Klientel im Zuge einer großen Reform stärker zu belasten. Ansonsten werden sich die Sozialdemokraten wie immer im Status quo einigeln können.  

Nach seinem Schwenk bei der Schuldenbremse wäre es erneut eine Korrektur, die Merz seinen Wählern gut erklären müsste – aber unmöglich ist das nicht. Und gemessen am Fortschritt für das gesamte Land, den eine solche Reform bedeuten würde, wäre der persönliche Preis verkraftbar.