Karen Ward: Sind 5 Prozent das neue Inflations-Normal?

Wenn Donald Trump die Unabhängigkeit der Notenbank Fed antasten sollte, wäre das für die Inflation fatal. Wir sehen Preisstabilität als zu selbstverständlich an

Mai 13, 2025 - 10:26
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Karen Ward: Sind 5 Prozent das neue Inflations-Normal?

Wenn Donald Trump die Unabhängigkeit der Notenbank Fed antasten sollte, wäre das für die Inflation fatal. Wir sehen Preisstabilität als zu selbstverständlich an

Als ich mit meiner Familie jüngst auf einer lang geplanten Auslandsreise unterwegs war, gab es unverhofft laufend Anschauungsunterricht in Makroökonomie – genauer gesagt zum Thema Inflation. So stand nach einem Mittagessen die Zahl 29.000 auf der Rechnung. Ich schob sie zu meinen Söhnen und sagte: „Das zahlt ihr“. Die entsetzten Blicke hellten sich erst wieder auf, als der Umrechnungskurs klar war: Es handelte sich um 29.000 Pesos oder umgerechnet rund 17 Pfund beziehungsweise 21 Euro – wir waren in Argentinien.

Und so ging es während unserer ganzen Reise durch Lateinamerika. Selbst die Taxifahrer kannten kaum ein anderes Thema. Uns allen – und insbesondere meinen Söhnen – wurde klar, dass die Sorge um Preiserhöhungen in diesen Ländern inzwischen alltäglich geworden ist. Einmal überquerten wir die Grenze in ein anderes Land nur, um dort günstiger zu tanken. Für einen eigentlich geringen Eintritt in einen Nationalpark legten wir einen ziemlich großen Stapel Geldscheine hin. Was Hochinflation bedeutet, sozial wie wirtschaftlich, war augenscheinlich. 

Zurück am Schreibtisch wurde mir sehr bewusst, wie groß das Risiko für die Preisstabilität wäre, sollte die US-Regierung die Unabhängigkeit der US-Notenbank bei ihren geldpolitischen Entscheidungen einschränken. Seit der Pandemie argumentiere ich, dass Investoren wahrscheinlich drei Prozent als das neue zwei Prozent für eine „normale“ Inflation ansehen sollten. Meiner Meinung nach hat die Pandemie sowohl das Gefüge der globalen Wirtschaft, als auch die fiskalpolitischen Hebel, die die Nachfrage beeinflussen, strukturell verändert.

Die Frage, die ich mir jetzt stelle, ist, ob meine Einschätzung womöglich zu konservativ war. Könnten vielleicht sogar fünf Prozent das neue zwei Prozent sein? Und wie sollten Investoren mit einem Umfeld kontinuierlicher Preiserhöhungen umgehen? 

Höhere Zölle, höhere Preise im Supermarkt?

Die wesentliche Frage ist, ob die Inflation tatsächlich dauerhaft sehr viel höher ausfallen könnte. Die Inflation wird immer von zyklischen Faktoren beeinflusst. Kurzfristig werden die Zölle höchstwahrscheinlich den Kostendruck bei Unternehmen erhöhen, zumindest in den USA. Unternehmen werden versuchen, diesen Kostendruck an ihre Endverbraucher weiterzugeben – aber ob sie das können, hängt davon ab, ob die Nachfrage stabil bleibt.

Dennoch sollten diese Preiserhöhungen einmalige Effekte sein. Die mittelfristigen Probleme treten auf, wenn das System in ein Stadium der Entfesselung eintritt – mit anderen Worten, wenn sich alle an eine höhere Zahl gewöhnen und so fünf Prozent zur normalen Regel wird, an die sich Unternehmen bei der Preisgestaltung halten. 

Menschen in Amerika fürchten bereits höhere Inflation

Hier ist die Unabhängigkeit einer Zentralbank mit einem klaren Mandat entscheidend. Alle Akteure in der Wirtschaft – Haushalte und Unternehmen – müssen sowohl das Inflationsziel als auch das Engagement der Zentralbank dafür kennen. Ein erfolgreich verankertes System ist eines, in dem jedem bewusst ist, dass, wenn er versucht, eine höhere Zahl durchzusetzen – sei es bei den Löhnen, die er fordert, oder bei den Preisen, die er verlangt – er mit der Reaktion der Zentralbank in Form von höheren Zinsen unmittelbar rechnen muss, ebenso wie mit sinkender Nachfrage oder Beschäftigungsaussichten.

Sobald dieses Engagement der Zentralbank jedoch infrage gestellt wird, könnte die Versuchung steigen, sein „Glück“ zu versuchen. So würde höhere Inflation allmählich zum normalen Begleiter. Es gibt bereits besorgniserregende Anzeichen dafür, dass das US-System entfesselt ist, da Haushalte inzwischen sowohl kurz- als auch mittelfristig von einer höheren Inflation ausgehen.

Wir sollten die Vorzüge unserer unabhängigen Zentralbanken – inklusive der schwierigen Entscheidungen, die sie treffen müssen, um Preisstabilität zu gewährleisten – wirklich zu schätzen wissen. Eine Reise durch Lateinamerika führt einem vor Augen, was passiert, wenn Preisstabilität als selbstverständlich angesehen wird.

Investoren sollten sich nun wieder intensiver mit der Rolle der Inflation in ihrem Portfolio auseinandersetzen. Sie müssen über reale, nicht nominale Renditen nachdenken und darüber, was Inflation mit dem Wert ihrer Ersparnisse auf Tagesgeld- und Sparkonten macht. Sie sollten von festverzinslichen Anlagen eine angemessene Rendite verlangen können. Und sie müssen nach Vermögenswerten suchen, die ihren realen Wert bewahren können.