Genetik: Tödlicher Wagemut: Männliche Fadenwürmer haben besonderen Hang zum Risiko
Männliche Würmer lernen nicht so gut aus Erfahrungen wie weibliche. Der dafür verantwortliche neuronale Rezeptor existiert auch beim Menschen

Männliche Würmer lernen nicht so gut aus Erfahrungen wie weibliche. Der dafür verantwortliche neuronale Rezeptor existiert auch beim Menschen
Männer sind risikofreudig, Frauen vorsichtig – solche Aussagen sind zu binär und in ihrer Klischeebeladenheit schlicht falsch. Allerdings lässt sich ein Unterschied zumindest als Tendenz zwischen den Geschlechtern beobachten. Fraglich ist, ob er anerzogen ist oder in unseren Genen steckt, als Folge unserer evolutionären Entwicklung.
Zwar nicht am Menschen, aber an Fadenwürmern haben Forschende nun solch einen genetischen männlichen Hang zum Risiko und zur Unbelehrbarkeit nachgewiesen. In einer neuen Studie, die in "Nature Communications" veröffentlicht wurde, hat ein Team des Weizmann Institute of Science gezeigt, dass männliche Würmer schlechter aus Erfahrungen lernen und es ihnen schwerfällt, Risiken zu vermeiden – selbst wenn es ihr Leben kostet. Die Wissenschaftler entdeckten auch ein Protein, das evolutionär in Lebewesen vom Wurm bis zum Menschen erhalten ist und das für die unterschiedlichen Lernfähigkeiten der beiden Geschlechter verantwortlich zu sein scheint.
Zum Einsatz kam in der Studie der Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Die Würmer sind die perfekten Organismen, um die grundlegenden genetischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu untersuchen, da ihr Geschlecht allein durch Gene bestimmt wird ohne hormonelle oder andere Faktoren. Sie sind in zwei Geschlechter unterteilt: Männchen – und Weibchen, die eigentlich Zwitter sind, die auch männliche Geschlechtszellen produzieren und sich entweder selbst befruchten oder mit Männchen paaren können.
Die winzigen Würmer haben ein einfaches Nervensystem, das nur aus einigen Hundert Nervenzellen besteht, und sie sind der einzige Organismus, bei dem die Wissenschaft alle neuronalen Verbindungen in beiden Geschlechtern kartiert hat. Zu Beginn ihres Lebenszyklus unterscheiden sich diese Verbindungen zwischen den beiden Geschlechtern nicht; die Unterschiede treten erst auf, wenn die Würmer die Geschlechtsreife erreichen. Die Forschenden im Labor von Dr. Meital Oren-Suissa nutzen diese Würmer, um grundlegende Unterschiede zwischen den Gehirnen und Nervensystemen von Männchen und Weibchen aufzudecken.
In seiner neuen Studie konzentrierte sich das Team auf die Unterschiede in den Lernprozessen zwischen den Geschlechtern. Die Fadenwürmer ernähren sich von Bakterien und werden besonders vom Geruch eines krankheitsverursachenden Bakteriums angezogen, zu ihrem Leidwesen, wenn sie es verzehren. Die Wissenschaftler stellten sich die Frage: Können die Würmer beiderlei Geschlechts lernen, dieses Bakterium zu meiden?
Eine Delikatesse, die krank macht
Das Team begann seine Studie mit einem Training, bei dem die Würmer beiderlei Geschlechts getrennt gezüchtet und mit dem schädlichen Bakterium gefüttert wurden. Nach diesem Training wurden die Würmer in eine andere Schale gebracht, wo sie die freie Wahl zwischen dem giftigen Bakterium und einem anderen hatten, das zwar weniger verlockend war, ihnen aber in keiner Weise schadete.
Die weiblichen Würmer lernten schnell, eine Verbindung zwischen dem Geruch des schädlichen Bakteriums und der von ihm verursachten Krankheit herzustellen, und entschieden sich daher für das andere Bakterium. Die meisten Männchen lernten jedoch nicht und nahmen weiterhin das schädliche Bakterium zu sich, obwohl sie abermals krank wurden: Das Bakterium gelangte in ihren Verdauungstrakt, sonderte Giftstoffe ab und löste eine Immunreaktion aus. Erst als das Team länger wartete, lernten einige der Männchen schließlich, das schädliche Bakterium zu meiden, aber erst, nachdem sie schwer infiziert, krank geworden und viele von ihnen gestorben waren.
Angeregt von diesen Erkenntnissen begannen die Forschenden, nach Unterschieden in der Aktivität des Nervensystems der beiden Geschlechter zu suchen. Zwei Arten von Neuronen der Würmer sind an der Wahrnehmung von Gerüchen beteiligt: Eine ist für die Anziehung und die andere für die Abstoßung zuständig. Wenn diese Zellen aktiviert werden, füllen sie sich mit Kalziumionen, die markiert werden können, sodass sich die neuronale Aktivität in den transparenten Würmern überwachen lässt. Auf diese Weise stellten die Forschenden fest: Bei den weiblichen Würmern – und nur bei ihnen – ist das Neuron, das für das Gefühl der Abstoßung zuständig ist, deutlich aktiver als Reaktion auf die Erkrankung. Offenbar war dies die Konditionierung, die sie später dazu brachte, ihre Nahrung aus einer anderen Quelle zu beziehen.
Der Darm lernt mit
In der nächsten Phase der Studie versuchten die Forschenden, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf genetischer und molekularer Ebene zu verstehen. "Mithilfe der Gentechnik schufen wir weibliche Würmer mit männlichen Nervensystemen – und wir beobachteten einen dramatischen Rückgang ihrer Lernfähigkeit", sagt der beteiligte Forscher Sonu Peedikayil-Kurien. "Um männliche Würmer dazu zu bringen, die Erkrankung des Verdauungssystems mit dem Geruch des Bakteriums in Verbindung zu bringen, reichte es nicht aus, das Geschlecht ihres Nervensystems zu verändern. Wir mussten auch das Geschlecht ihres Verdauungssystems ändern. Diese und andere Erkenntnisse führten uns zu der Annahme, dass das Verdauungs- und das Nervensystem miteinander kommunizieren – möglicherweise über Neuropeptide, kurze Proteine, die sich an Neuronen anlagern und diese beeinflussen – und dass diese Kommunikation die Lernfähigkeit der Würmer unterdrückt."
Schließlich untersuchte das Forschungsteam die Veränderungen an den Genen der Männchen, die gelernt hatten, sich der Gefahr zu entziehen. Das Team stellte fest, dass die Auswirkung (Expression) des npr-5-Rezeptors in ihren Gehirnen abnahm. Als die Forschenden männliche Würmer erzeugten, die diesen Rezeptor nicht besaßen, waren die Würmer in der Lage zu lernen; als sie npr-5 allein in die sensorischen Neuronen der Würmer zurückbrachten, verloren die Würmer erneut ihre Lernfähigkeit. Daraus schlossen die Forschenden, dass dieser Rezeptor für die Unterdrückung des sensorischen Lernens bei Männchen verantwortlich ist.
Der Rezeptor, den die Weizmann-Forscher in Würmern identifiziert haben, hat ein Gegenstück in Säugetieren, einschließlich des Menschen. Bei Säugetieren wird er durch ein Neuropeptid namens NPY aktiviert, das in Studien mit dem Stressempfinden, der Esskontrolle und vielen anderen Prozessen in Verbindung gebracht wurde. "In früheren Studien entdeckten Wissenschaftler, dass weibliche Mäuse niedrigere NPY-Spiegel als männliche haben, und sie postulierten, dass sie deshalb bei Gefahr empfindlicher auf Stress reagieren", erklärt die Forscherin Meital Oren-Suissa. "Diese Annahme passt sehr gut zu unseren Ergebnissen, die zeigen, dass die Abwehr von Gefahren mit einer Abnahme der Expression des Rezeptors einhergeht. Menschliche Störungen wie PTBS und bestimmte Formen von Angst treten bei Frauen häufiger auf."
Allerdings lassen sich weder die Ergebnisse bei Fadenwürmern noch bei Mäusen auf Menschen übertragen, da unser Verhalten wesentlich komplexer und vielschichtiger ist.