EZB: Zinssenkung in Zeiten des Unvorhersehbaren

Der Konflikt von Notenbank und Präsident Trump in den USA überlagert die Zinssenkung der EZB. Deren Präsidentin Christine Lagarde stellt sich auf noch mehr Unvorhersehbares ein  

Apr 17, 2025 - 18:45
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EZB: Zinssenkung in Zeiten des Unvorhersehbaren

Der Konflikt von Notenbank und Präsident Trump in den USA überlagert die Zinssenkung der EZB. Deren Präsidentin Christine Lagarde stellt sich auf noch mehr Unvorhersehbares ein

 

Christine Lagarde rechnete an diesem April-Tag wohl mit großer Zuhörerschaft aus den USA. Lagarde begrüßte nicht, wie üblich, mit „Good Afternoon“, sondern schon ein „Good Morning“ hinterher – gerichtet wohl an diejenigen, die virtuell aus New York oder anderswo zugeschaltet waren. Zwar war die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) angetreten, um Medienvertretern und Analysten die eigene Zinssenkung um 25 Basispunkte auf 2,25 Prozent zu erläutern, doch in Wahrheit ging es dabei um etwas ganz anderes: und zwar, um das Geschehen in den Vereinigten Staaten.

Dort hatte sich der von Lagarde als „Kollege und Freund“ titulierte Notenbank-Präsident Jerome Powell am Vorabend in einer Rede klar gegen die Forderung von Präsident Donald Trump nach raschen Zinssenkungen gestemmt. Weil die Auswirkungen der von Trump gegen Freund und Feind verhängten Zölle unklar sei, könne die Fed die Zinsen zunächst konstant halten, „um auf größere Klarheit zu warten“, betonte Powell. Trump, dessen privates Immobilien-Imperium hoch verschuldet ist, reagierte, und forderte sofortige Zinssenkungen der Fed.

Damit nicht genug: Trump erklärte, die Amtszeit des von ihm selbst als Fed-Chef installierten Powell solle besser früher als später enden. Das wurde als Zeichen gewertet, dass Trump ihn rauswerfen und die Unabhängigkeit der US-Notenbank untergraben wolle. Die Folge davon wäre nach Ansicht von Ökonomen Chaos an den Märkten und eine wohl höhere Inflationsrate. „Einmal mehr spielt Präsident Trump mit dem Feuer“, schrieb der frühere IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard auf der Plattform „X“.

Lagarde selbst ging auf Nachfragen nicht auf Trump direkt ein und nannte nicht einmal seinen Namen. Sie betonte aber: „Die Unabhängigkeit von Zentralbanken ist fundamental.“ Für Powell empfinde sie „eine große Menge an Respekt.“ Ob der „Gipfel an Unsicherheit“ bereits erreicht sei, wie sie gefragt wurde, könne sie nicht sagen. „Ich weiß es nicht. Wir haben einen Grad an Unvorhersehbarkeit, der zur Unsicherheit beiträgt.“ In ihrem Statement zur Zinssenkung spricht die EZB von „Spannungen im Handel“ und von den „derzeitigen Bedingungen außergewöhnlicher Unsicherheit.“

EZB fordert mehr Tempo von Europa

Gegen Ende ihrer Pressekonferenz ließ Lagarde durchblicken, wie ernst sie die Lage sieht. „Wir müssen bereitstehen für das Unvorhersehbare“, betonte sie. „Vertrauen und Vorhersagbarkeit sind wichtige Faktoren dafür, Entscheidungen zu treffen.“ Für die EZB gelte deshalb „Readyness“ und „Agilität“, also bereitzustehen und flexibel zu handeln. Dazu gehörte für sie auch die eindringliche Mahnung an Brüssel und die EU-Mitgliedsstaaten, endlich die angekündigten Schritte für mehr Wettbewerbsfähigkeit Europas zu gehen. 

Solche Aufforderungen gehören zum Standardrepertoire von EZB-Präsidenten, wie Lagarde halb scherzend einräumte. Jetzt sei es aber wirklich ernst, oder wie sie es diplomatisch formulierte: „Das ist ein Moment für Europa und die Europäer, sich auf die Chancen zu fokussieren.“ Apropos Europa: Lagarde drängt Brüssel auch dazu, den Gesetzesrahmen für die Einführung des digitalen Euro zügig zu schaffen. Die EZB, so deutete sie es an, stehe jedenfalls bereit.

Weitere Zinssenkung absehbar

Vor dem Hintergrund der extremen Unsicherheit ließ Lagarde allerdings wenig erkennen, wie es nach Zinssenkung weiter geht. Bei der nächsten Sitzung des EZB-Rates am 5. Juni liegen neue Prognosen der hauseigenen Ökonomen zu Wachstum und Inflation vor. Nach Einschätzung von Mark Wall, Europachefvolkswirt der Deutschen Bank, werden die Zinsen weiter fallen. „Die Charakterisierung als außergewöhnliche Unsicherheit impliziert eine Offenheit für eine weitere geldpolitische Lockerung, sofern der Handelsschock anhält und sich in den Daten bestätigt“, betonte er. „Wir rechnen weiterhin mit einer weiteren Zinssenkung im Juni und einem Endsatz von 1,5 Prozent zum Jahresende.“

Lagarde selbst betonte, der Inflationsrückgang sei „auf dem Weg“, nachdem die Inflationsrate im März noch 2,2 Prozent betragen habe. Die EZB strebt einen durchschnittlichen Anstieg der Verbraucherpreise um 2,0 Prozent an und sieht dabei ihr Mandat der Preisstabilität erreicht. Der Ausblick werde inzwischen jedoch von der großen, von Trump ausgehenden Unsicherheit überschattet. Die Spannungen im Welthandel „verringern das Vertrauen und könnten auf dem wirtschaftlichen Ausblick lasten“, betonte Lagarde. 

Inflationsausblick wird unklarer

„Auf den kommenden Ratssitzungen wird es für Christine Lagarde und ihr Team nicht leichter, bei all der erratischen US-Politik den Überblick zu behalten“, schreibt DZ Bank-Analyst Christoph Kutt. Die Auswirkungen auf die Inflation sei schwer abzuschätzen, räumte auch die EZB-Präsidentin selbst ein. Zum einen wirkten die US-Zölle disinflationär, weil für die USA bestimmte Waren nach Europa umgeleitet werden könnten. Auch die Aufwertung des Euro und das billigere Öl wirkten in diese Richtung.

Dem stünden jedoch inflationäre Effekte gegenüber aus der Fragmentierung globaler Lieferketten, dem Klimawandel über höhere Nahrungsmittelpreise und möglicherweise auch wegen steigender Verteidigungsausgaben. Die jüngste Euro-Aufwertung auf rund 1,14 Dollar wertete Lagarde dafür, dass das Vertrauen von Investoren gegenüber der Eurozone gerade größer sei „als gegenüber anderen Wirtschaftsräumen.“ Ein markiger Satz, der nicht zu unterschätzen ist.

Wie tief die Zinsen in der Eurozone noch sinken, hängt nach Ansicht von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer nun maßgeblich von der US-Zöllpolitik ab. „Wir sehen in unserem Hauptszenario noch zwei Zinsschritte auf 1,75 Prozent“, erklärt er. „Wenn Trump am Ende aber dauerhaft zu den reziproken Zöllen von 20 Prozent zurückkehrte, wäre ein niedrigerer Leitzins wahrscheinlich.“ Nach Ansicht der DZ Bank nötigt der Handelsstreit „die EZB zu rascher weiterer Zinssenkung.“

Damit könnte der EZB-Leitzins bald schon im Bereich liegen, in dem er „akkomodierend“ wirkt, also die Konjunktur unterstützt. In ihrer Stellungnahme zum Zinsentscheid strich die EZB das Wort „restriktiv“, weil dies Lagarde zufolge noch außer einer Zeit stammt, „als wir noch weit entfernt von unserem Ziel“ waren. Damals waren die Zeiten übrigens auch außergewöhnlich unsicher, denn Russland hatte vor drei Jahren die Ukraine militärisch überfallen und einen Inflationsschock in Europa ausgelöst.