"Eigentlich, aber …": Wie wir es schaffen, innere Widersprüche zu lösen
Eigentlich möchte ich meine Freundinnen sehen, aber ich brauche auch Ruhe. Eigentlich kann ich das – aber was, wenn doch nicht? "Eigentlich, aber"-Sätze kommen im Alltag unserer Autorin ständig vor. Wie lösen wir diese inneren Konflikte? Das verrät uns die Expertin Ariane Villwock.

Eigentlich möchte ich meine Freundinnen sehen, aber ich brauche auch Ruhe. Eigentlich kann ich das – aber was, wenn doch nicht? "Eigentlich, aber"-Sätze kommen im Alltag unserer Autorin ständig vor. Wie lösen wir diese inneren Konflikte? Das verrät uns die Expertin Ariane Villwock.
BRIGITTE: Wieso kommen mir so oft "Eigentlich, aber"-Sätze in den Kopf?
Ariane Villwock: Eigentlich und Aber stehen für einleitende Sätze für unterschiedliche Zustände, Bedürfnisse oder Wünsche. Eigentlich muss ich die Steuererklärung machen, aber das Wetter ist so schön, ich gehe lieber spazieren. Eigentlich müsste ich das, aber ich mache lieber das. Eigentlich wünsche ich mir dieses, aber jenes spricht dagegen. Eigentlich brauche ich das, aber ich kann es mir nicht ermöglichen.
Desto einschneidender ein innerer Konflikt in meinem Leben ist, umso stärker kommt das "Eigentlich … Aber" in meinen Kopf und gibt auch erst dann Ruhe, wenn wir diese beiden Worte streichen können. Also: Ich verwirkliche meinen Wunsch; ich mache das jetzt; ich ermögliche mir das!
Wie erkenne ich einen inneren Widerstand über diesen Gedanken hinaus?
Es lohnt sich, hierbei ins Gefühl zu gehen. Wenn ich zum Beispiel gewohnt bin, regelmäßig zum Sport zu gehen, und trotzdem sage "Eigentlich habe ich gerade überhaupt keine Lust zum Sport, aber ich gehe trotzdem hin", dann könnte ich mir das Eigentlich und Aber auch sparen und als Fakt sagen, "gerade echt keine Lust zum Sport zu gehen". Was ist schlimm am Unmut? Ich gehe ja trotzdem und dieser Widerwille steht mir nicht im Weg.
Würde ich dieser Unlust zu oft nachgeben, dann gibt es einen inneren Konflikt. Deutlicher wird es bei einem beruflichen Kontext. Eigentlich schleppe ich mich nur zur Arbeit, ich bin kreuzunglücklich dort. Aber ich muss wohl, denn ich kann es mir gar nicht leisten zu kündigen. Das Arbeiten wird immer mühsamer, ich fühle mich erschöpft und bin ohnmächtig dem Gefühl der Aussichtslosigkeit gegenüber. Dann reden wir wirklich über einen belastenden, inneren Konflikt.
Was kann ich dann tun?
Bei so einem belastenden Konflikt kann eine Lösung sein zu gucken, welche Werte hinter dem Eigentlich und Aber stehen. In dem Berufsbeispiel könnte zum Beispiel Wachstum oder Sinnhaftigkeit hinter dem Eigentlich-Satz stehen und Sicherheit hinter dem Aber-Satz. Wichtig ist zunächst zu akzeptieren, dass beide Seiten wichtige Werte von uns sind. Wichtige Anteile, die unser Verhalten bestimmen. Es macht keinen Sinn, sich gegen den einen oder anderen zu stellen.
Klingt gar nicht so einfach.
Oft hilft allein schon die Erkenntnis, dass es um einen Kompromiss zwischen den beiden gehen sollte. Wir neigen dazu, schwarz-weiß bei Konflikten zu denken. In diesem konkreten Beispiel könnte ein Gespräch mit einer Vertrauensperson im Unternehmen helfen, dass es vielleicht möglich ist, etwas an den inhaltlichen Aufgaben zu ändern. Stichwort Job-Crafting. Was auch hilft, ist sich zu hinterfragen, warum einem diese Werte so wichtig sind. War es schon immer so, dass ich Angst habe, meine Sicherheit aufs Spiel zu setzen? Und dann mit Menschen darüber sprechen, die mutig sind, auch ohne doppelten Boden eine berufliche Situation zu verändern. Wie machen die das? Und wenn die Selbstreflexion nicht reicht, dann kann professionelle Hilfe eine Lösung sein, um Versöhnung zwischen den Werten herzustellen.
Wird sich dieser "Eigentlich, aber"-Konflikt dann in der Zukunft auch nicht mehr wiederholen?
Wenn er das tut, dann ist der Konflikt auch noch nicht gelöst. Es ist wirklich wie das Sprichwort: Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht zu Ende. Gesetzt dem Fall, ich habe jetzt erkannt, dass ich sowohl einen Sinn in meiner Arbeit benötige als auch Sicherheit und dann ist ein schöner Zufall passiert und ich konnte über einen Bekannten tatsächlich eine neue Stelle finden. Einige Monate später stelle ich fest, dass ich meine Aufgabe doch nicht so gut finde, wie sie mir in Aussicht gestellt wurde, und ich hinterfrage wieder den Sinn. Jetzt ist es aber erst recht wichtig, dass ich aushalte, weil es sich auf dem Lebenslauf nicht gut macht, wenn ich wieder den Job wechsele. Der Konflikt wird sogar noch stärker. Dann würde ich empfehlen, tief einzutauchen. Wieso treten diese Werte so oft in Konkurrenz? Habe ich das in der Vergangenheit schon mal erlebt? Das "Eigentlich … aber" tritt aber nicht wieder auf, wenn ich den Konflikt wirklich in der Vergangenheit gelöst habe.
Wie lange dauert es, einen Konflikt dauerhaft zu lösen?
Es kommt auf die Schwere des Konflikts an: Wie lange belastet mich so etwas schon? Ich habe letztens den Anruf einer ehemaligen Klientin erhalten, die mir berichtete, dass sie nach über 20 Jahren gekündigt hat. Es ist schwer, pauschal etwas über die Dauer zu sagen. Wenn es darum geht, ein neues Verhalten zu etablieren, dann braucht es laut meiner Erfahrung drei bis sechs Monate, bis dieses Verhalten dauerhaft bei uns integriert ist. Beim Sport redet man zum Beispiel von drei Monaten. Wenn ich mindestens drei Monate regelmäßig zum Sport gehe, dann habe ich gute Chancen, dabei zu bleiben. Sicherlich hat die Dauer der Umsetzung auch damit zu tun, wie lange ich einen Konflikt in mir trage.
Das heißt?
Beispielsweise bei Beziehungen: Hat eine Beziehung, die mir nicht guttut, ein Jahr gehalten, weil ich sehr schnell an meine Grenzen gekommen bin. Weil mir sehr schnell klar geworden ist, dass sich hier ein ehemals innerer Konflikt meldet, zum Beispiel Ehrlichkeit und Harmonie. Diese beiden Werte sind wahnsinnig oft im Clinch miteinander. Nur habe ich mich damit schon in einer anderen Beziehung auseinandergesetzt und ich weiß, dass ich nicht in einem Umfeld bleiben kann, wo es mir schwerfällt, die Wahrheit zu sagen – dann gehe ich da schnell heraus.
Und wenn man dieses Wissen nicht hat?
Halte ich diesen Konflikt schon seit Jahren aus, dann werde ich lange brauchen, bis ich die Beziehung löse. Ich bin es ja gewohnt, mich dem einen oder anderen Wert unterzuordnen. Und ein uns bekanntes Verhaltensmuster zu verlassen, auch wenn es uns emotional nicht guttut, bedarf viel Mut. Es braucht primär Ehrlichkeit zu sich selbst und die Bereitschaft, etwas im Verhalten ändern zu wollen.
Gibt es einen konkreten Gedanken, der mir dabei helfen kann?
Bei dem ganzen Thema innerer Konflikte ist die Grundvoraussetzung für die Konfliktlösung immer die Vorstellung, wie mein Leben aussieht, wie es sich positiv verändert, wenn ich diesen Konflikt nicht mehr habe. Es wird ja nicht der Konflikt gefeiert, sondern die Lösung. Und die bringt Freude, Leichtigkeit und eine ordentliche Portion an Energie in unser Leben!