Denkleistung: Mehr Fokus, weniger Müdigkeit: Kann Kreatin das Gehirn dopen?
Viele kennen Kreatin als Muskelbooster. Doch aktuelle Studien zeigen: Der Stoff könnte auch die kognitive Leistung verbessern – allerdings unter ganz bestimmten Bedingungen

Viele kennen Kreatin als Muskelbooster. Doch aktuelle Studien zeigen: Der Stoff könnte auch die kognitive Leistung verbessern – allerdings unter ganz bestimmten Bedingungen
Viele kennen Kreatin vor allem aus dem Fitnessstudio. Wer Muskeln aufbauen will, setzt auf den Stoff, um seine Energiereserven nach einem intensiven Training schneller wieder anzapfen zu können. Die Substanz hilft dabei, die ATP-Speicher aufzufüllen – das sind jene Moleküle, die als unmittelbarer "Treibstoff" unserer Zellen dienen.
Auch das Gehirn ist darauf angewiesen: Nervenzellen, die permanent Informationen verarbeiten, haben einen enormen Energiebedarf. Besonders unter Stressbedingungen, etwa bei Schlafmangel, können die Kreatinreserven im Gehirn sinken – und die Leistung der Zellen spürbar nachlassen.
Da liegt es nur nahe, die Nervenzellen im Gehirn – insbesondere, wenn es auf Hochtouren arbeiten muss – durch zusätzliches Kreatin von außen zu unterstützen. Ganz ähnlich, wie es Sporttreibende tun, um ihre Muskelzellen fitter zu machen.
Kreatin gegen Schlafentzug
Ein Team des Forschungszentrums Jülich hat genau das in einem Experiment untersucht. Im Rahmen der Studie erhielten 15 Probanden eine hohe Einzeldosis Kreatin (0,35 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht) und mussten anschließend eine Nacht lang wach bleiben. Währenddessen sollten sie kognitive Aufgaben lösen. Schlafentzug stresst das Gehirn und verändert dessen Stoffwechsel – offenbar in einer Weise, die die Aufnahme von Kreatin erleichtert.
Das Ergebnis war durchaus bemerkenswert: Bereits drei Stunden nach der Einnahme zeigten die Teilnehmenden eine messbar bessere Verarbeitungsleistung und ein gesteigertes Kurzzeitgedächtnis. Der Effekt erreichte nach etwa vier Stunden seinen Höhepunkt und hielt bis zu neun Stunden an. "Die Ergebnisse legen nahe, dass eine einzige, aber hohe Dosis Kreatin die Denkleistung verbessert und Veränderungen in den Energievorräten des Gehirns während des Schlafentzugs bewirkt", sagt Studienleiter Dr. Ali Gordjinejad.
Hohe Dosen ohne ärztliche Aufsicht nicht ratsam
Allerdings: Unter normalen Umständen sind die Nervenzellen des Gehirns eher zurückhaltend, was die Aufnahme von Kreatin betrifft. Sie decken ihren Bedarf üblicherweise durch eigene Produktion. Erst der durch Schlafmangel verursachte "gestresste Zustand" machte sie in der Jülicher Studie empfänglicher.
Und noch ein Haken: Die verwendeten Kreatindosen waren hoch. So hoch, dass sie bei häufiger Anwendung die Nieren belasten und gesundheitliche Risiken bergen könnten. "Bis auf Weiteres ist daher von der Einnahme solch hoher Dosen im privaten Umfeld abzuraten", warnt Gordjinejad. Erst wenn künftige Studien belegen, dass auch niedrigere Mengen eine ähnliche Wirkung entfalten, könnte Kreatin eine alltagstaugliche Alternative zu Espresso und Energydrinks werden – etwa für lange Nächte am Schreibtisch.
Die große Hoffnung auf Neuroenhancement
Kreatin ist nicht das erste Mittel, das Hoffnungen auf eine gesteigerte Gehirnleistung weckt. Der Wunsch, die eigene kognitive Performance mit Pillen oder Pulvern zu verbessern – bekannt als Neuroenhancement –, begleitet die Forschung seit Jahren.
Verschreibungspflichtige Medikamente wie Ritalin oder Adderall, ursprünglich entwickelt zur Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen, werden teils off-label eingenommen, um Konzentration und Arbeitsgedächtnis zu steigern. Doch die Effekte bleiben hinter den Erwartungen zurück.
"Im Schnitt kann man sicher sagen, dass die subjektiven positiven Effekte über die objektiv messbaren hinausgehen", erklärt die Neurowissenschaftlerin Ulrike Basten auf Anfrage. Wer Stimulanzien nehme, fühle sich oft wacher und fokussierter – messbare Verbesserungen in Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis oder exekutiven Funktionen seien aber eher klein und uneinheitlich. Anders gesagt: Neuroenhancer wirken am ehesten dort, wo eine tatsächliche Schwäche besteht. Schlauer wird man davon nicht.
Auch langfristige Effekte möglich
Bei Kreatin hingegen gibt es auch unabhängig vom Schlafentzug Hinweise, dass es die kognitive Leistungsfähigkeit fördert. Studien deuten zum Beispiel darauf hin, dass Menschen mit höheren Kreatinspiegeln im Gehirn oft eine bessere Gedächtnisleistung und eine geringere mentale Ermüdung aufweisen. Besonders profitieren könnten jene, die sich vegetarisch ernähren, da deren Kreatinaufnahme über die Nahrung geringer ist. Sowie ältere Menschen, deren körpereigene Produktion im Laufe des Lebens nachlässt. Möglich auch, dass Kreatin sogar neuroprotektive Eigenschaften hat, also Nervenzellen vor Schäden bewahren kann. Noch ist diese Forschung jedoch jung, und viele Fragen sind offen.
Fest steht: Der Stoff ist mehr als nur ein Sportnahrungsklassiker. Unter bestimmten Bedingungen – allen voran bei Müdigkeit – könnte er das Gehirn tatsächlich kurzfristig auf Trab bringen. Doch bevor Kreatin zum allgemeinen Geheimtipp für lange Arbeitstage wird, braucht es noch deutlich mehr Wissenschaft. Bis dahin gilt: Für eine wache Denkleistung bleibt guter Schlaf vorerst das bessere Rezept.