„CEO-Diktator“: Diesem Drehbuch folgt Elon Musk bei seinem Staatsstreich von oben
Elon Musks Vorgehen gegen den Staatsapparat hat eine Blaupause: Ein reaktionärer Vordenker aus dem Silicon Valley liefert das Drehbuch für den „CEO-Diktator“. Donald Trump ist als „Chefaufseher“ dabei

Elon Musks Vorgehen gegen den Staatsapparat hat eine Blaupause: Ein reaktionärer Vordenker aus dem Silicon Valley liefert das Drehbuch für den „CEO-Diktator“. Donald Trump ist als „Chefaufseher“ dabei
Der Plan klingt so verwegen wie abstrus: Von einer „Armee von Fallschirm-Ninjas“ ist da die Rede, die „über allen Behörden der Exekutive“ abgeworfen werden. „Die Aufgabe dieser Landungstruppen ist nicht, zu regieren“, sondern den Regierungsapparat im Sturm zu nehmen: eine „prächtige Armee“ von „ideologisch geschulten“ und loyalen Fanatikern, die auf die US-Bürokratie losgelassen wird und „jede Institution“ übernimmt, „die sie nicht abwickelt.“
Nichts weniger als „eine systematische Erneuerung“ von Amerikas Institutionen ist das Ziel dieses Szenarios, das nicht einem gruseligen Drehbuch für einen Hollywood-Kriegsfilm oder Netflix-Thriller entstammt. Es ist vielmehr ein ultrareaktionärer Schlachtplan für eine, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch gar nicht absehbare, zweite Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident. Aufgeschrieben hat diese Vision einer autoritären Säuberungswelle der Programmierer und rechte Vordenker Curtis Yarvin, und zwar schon im April 2022, lange vor Trumps erneuter Kandidatur für das Weiße Haus.NL Die Woche
Auch die Machtzentren außerhalb der Regierung sind im Visier von Yarvins Sturmtruppen. „Ninjas werden auch auf den Dächern dieser Gebäude landen müssen – hauptsächlich Journalismus, Hochschulen und soziale Medien. Das neue Regime muss alle Stellen der Macht übernehmen, ohne Rücksicht auf Hürden auf dem Papier.“
Vor drei Jahren war Yarvins Dystopie noch das Hirngespinst eines Silicon-Valley-Nerds. Doch inzwischen ist sie kein randständiges Geschreibsel mehr. Yarvin ist nicht nur so etwas wie der Hausphilosoph von Risiko-Kapitalist Peter Thiel und Vordenker des Tech-Autoritarismus. US-Vizepräsident JD Vance feiert Yarvins Ideen und redet ihnen offen das Wort. Schon vor der Wahl gab es deshalb Hinweise darauf, dass mit Trump ultrareaktionäre Milliardäre und ihre Träume von der rechten Tech-Diktatur ins Weiße Haus einziehen könnten.
Doch je mehr nun der Radikalumbau des Regierungsapparates durch Elon Musks Kostensenkungsgremium Doge (deutsch: Abteilung für Regierungs-Effizienz) voranschreitet, desto mehr wächst die Sorge, dass Amerika sich dabei tatsächlich in die autoritäre Oligarchie verwandeln könnte, vor der unter anderem Joe Biden in seiner Abschiedsrede gewarnt hat. Legt man Yarvins Blaupause für Donald Trumps Machtübernahme neben das, was Elon Musk seit dessen Amtsantritt vor drei Wochen tatsächlich tut, erschrickt man, wie nah sie der Realität kommt. „Musk verfolgt einen systematischen Ansatz, der schon jahrelang in öffentlichen Foren skizziert wurde“, schreibt der US-Journalist Gil Duran, der als einer der Ersten auf Yarvins Vorlage für den jetzigen Regierungsumbau hingewiesen hat.
Schon lange glauben Tech-Könige wie Elon Musk und Peter Thiel, dass der Staat wie ein Konzern geführt werden sollte. Dass nur sie die richtigen Lösungen kennen, dank Geld und Erfolg die geborenen Führer sind, die uneingeschränkt herrschen sollten. Das Ende der Demokratie ist Teil dieser Lösung.
Die Invasion der US-Regierung ist in vollem Gange
In seinem Essay hat Yarvin schon 2022 den „vollständigen Neustart der Regierung“ in einer zweiten Trump-Administration herbeigesehnt: „Wir können das nur erreichen, indem wir einer einzigen Organisation absolute Souveränität verleihen.“ Er schreibt von einer „Besatzungsbehörde“, mit „ungefähr den Befugnissen, die die Alliierten in Japan oder Deutschland im Herbst 1945 hatten“. Eine andere Metapher, die Yarvin verwendet, ist die einer „Larve“, die der Präsident durch seine Wiederwahl im Amt installiert und die sich dann „zu einem wunderschönen Schmetterling entpuppt“, der seine Flügel ausbreitet und regiert.
Das „Gehirn“ dieser „Schmetterlings-Revolution“ werde aber nicht Trump als gewählter Präsident selbst sein, schreibt Yarvin. „Er wird nicht der CEO sein. Er wird der Chefaufseher im Aufsichtsrat sein – er wird den CEO auswählen (einen erfahrenen Manager).“ Bei Trumps Amtseinführung werde dieser Prozess abgeschlossen sein – und „der Übergang zu dem neuen Regime wird sofort beginnen.“Sam Altman vs. Elon Musk
Schon 2012, Jahre vor Trumps Ankunft auf der politischen Bühne, hat Yarvin unter dem Pseudonym „Mencius Moldbug“ unmissverständlich klargemacht, was dieser „nationale CEO“ ist: „Das nennt man Diktator. Wenn die Amerikaner ihre Regierung ändern wollen, müssen sie ihre Diktatoren-Angst überwinden.“
Die Parallelen zu den ersten Wochen von Trumps realer zweiter Amtszeit sind unübersehbar: Donald Trump hat Elon Musk für die Aufgabe als obersten Regierungs-CEO schon im Wahlkampf auserkoren und gleich am Tag seines Amtsantritts ernannt. Seitdem reißt der reichste Mann der Welt in atemberaubender Geschwindigkeit eine Behörde nach der anderen nieder. Kara Swisher, die Tech-Reporterin der „New York Times“, nennt Musk eine „Ein-Mann-Abrissbirne“, und Gil Duran hat das Akronym seiner Kostensenkungsmannschaft Doge umgetitelt: „Destruction of Government by Elon“ – Zerstörung der Regierung durch Elon.
Musk hat faktisch unbegrenzte Befugnisse: Karrierediplomaten sperrt er einfach die Büros zu, schafft die Entwicklungshilfebehörde von einem Tag auf den anderen ab. Er hat Zugang zum Zahlungssystem des Finanzministeriums und damit zu den sensiblen Daten und Sozialversicherungsnummern aller Amerikaner und aller Lieferanten der US-Regierung. Interessenkonflikte, die ihm als Geschäftspartner und Geldempfänger der Regierung mit seinen Firmen bei der angeblichen Kostenprüfung entstehen, soll er laut Weißem Haus ausdrücklich selbst kontrollieren. Was sonst ist die Definition eines Diktators als jemand, der sich selbst ohne Kontrolle und Gegengewicht regiert?
Staatsstreich gegen den Staat selbst
Sogar beim Namen für Musks angebliche Effizienz-Behörde gibt es Ähnlichkeiten: Der „Techno-König von Tesla“, wie er sich selbst offiziell auf der Webseite des Autobauers nennt, hat sie Doge getauft. Bei Yarvin heißt die Idee Rage („Retire all Government Employees“): Alle Regierungsbeamten hinausschmeißen. Dahinter steckt die gleiche Absicht: den Staat in seiner jetzigen Form zu zerstören. Dazu will Yarvin die US-Bürokratie und all ihre Beamten durch willfährige Loyalisten ersetzen, die einem Anführer die Treue schwören.STERN PAID 08_25 IV Historiker Frankopan 15:14
In Elon Musks Doge kann man Yarvins Rage erkennen, allerdings gewandet in den Deckmantel der Kostensenkung und Effizienzsteigerung. Musk hat allen Mitarbeitern der US-Regierung ein Kündigungsangebot gemacht, 75.000 sollen bislang angenommen haben. Alle die bleiben, müssen laut „Wall Street Journal“ bestätigen, „loyal“ und „vertrauenswürdig“ zu sein. Zudem müssen alle Ministerien massive Personalabbaupläne vorlegen und alle Neueinstellungen von Musk absegnen lassen. Musk hat bereits begonnen, Tausende Mitarbeiter in der Probezeit zu feuern. 200.000 Menschen könnten am Ende betroffen sein.
Zudem hat das FBI auf Druck des Weißen Hauses bereits die Namen aller Beamten übergeben, die an den Ermittlungen zu Trumps Putschversuch am 6. Januar 2021 teilgenommen haben. Trump hat die rund 1500 Kapitolstürmer wenige Stunden nach der Machtübernahme begnadigt. In einem internen Memo an alle Mitarbeiter hat der amtierende FBI-Chef Brian Driscoll bestätigt, dass der Zweck der schwarzen Liste mit fast 6000 Agenten ausdrücklich darin besteht, mögliche Personalmaßnahmen vorzubereiten. Die Säuberung des Regierungsapparats von vermeintlichen Trump-Gegnern läuft also bereits an, genau wie es Yarvin vorgeschlagen hat.
Beweise für die Verschwendung, Betrug und Korruption in Milliardenhöhe in der US-Bürokratie, die er mit Doge aufdecken wollte, hat Musk bislang nicht vorgelegt. Bekannt wurden bislang nur Gerüchte über millionenschwere Hilfslieferungen von Kondomen an die Hamas in Gaza, überteuerte Seifenspender im Pentagon und 150-Jährige, die angeblich weiterhin Rente beziehen. Dabei musste Musk sich selbst öffentlich korrigieren: Die Kondome gingen tatsächlich zur HIV-Vorbeugung nach Mosambik, nicht in den Gazastreifen.
Noch schwelt die Verfassungskrise nur
Und während er gegen angebliche Korruption wettert und Transparenz predigt, hält das Weiße Haus Musks finanzielle Interessenkonflikte geheim. Zudem hat Trump die bisherigen Antikorruptionswächter von acht Ministerien gefeuert. Das nährt den Verdacht, dass es um mehr als Effizienz geht: um eine reaktionäre Staatszerstörung, wie Yarvins Plan sie vorsieht. Musk hat offen angekündigt, „ganze Behörden zu eliminieren“, vergleicht sie mit „Unkraut“, das man „mit der Wurzel ausreißen“ müsse.Die Helfer des Elon Musk: Sie sind zwischen 19 und 24, Praktikanten – und greifen nach der Macht 17:20
Das Einzige, was Musks Machtübernahme noch bremsen könnte, ist die Gewaltenteilung der US-Verfassung. Doch auch für den Fall, dass Abgeordnete oder die Justiz dem Staatsstreich gegen den Staat unter Trump in die Quere kommen sollten, hat Yarvin vorgebaut: „Der CEO, den er auswählt, wird die Exekutive ohne jegliche Störung durch den Kongress oder die Gerichte leiten, wahrscheinlich auch Landes- oder Lokalregierungen übernehmen.“
So weit ist es noch nicht. Gegen Trumps Dekrete und Musks Aktivitäten ist eine Flut von Klagen anhängig. Immerhin hat Trump gelobt, Gerichtsurteile gegen Doge anzuerkennen. Vizepräsident JD Vance hat dagegen bereits den Grundstein gelegt für genau das, was Yarvin sich wünscht: „Richter dürfen die legitime Macht der Exekutive nicht kontrollieren„, schrieb Vance auf Musks Plattform X.
Der zweithöchste Mann im Staat, der von Tech-Milliardär und Yarvin-Jünger Peter Thiel erst einen Job in dessen Investmentfirma und später Millionen für seine Wahlkämpfe bekam, spielt mit dem Gedanken, Gerichtsurteile zu ignorieren. Die USA stecken damit in einer schwelenden Verfassungskrise. Bestenfalls wird die Konfrontation mit der Justiz zum Dauerzustand der zweiten Trump-Administration. „Wir befinden uns am Rand eines dunklen Abgrunds, in dem Rechtsstaatlichkeit nicht existiert“, warnt der Trump-kritische konservative Anwalt George Conway im Interview mit „The Bulwark“. „Wir reden hier von Psychopathen. Von Soziopathen. Menschen ohne Moral, Gewissen oder sonst etwas. Warum sollten sie ein Gerichtsurteil befolgen? Das ist für mich der beängstigendste Aspekt an all dem.“
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.