Aus der Zeit gefallen: Deutsche Machtansprüche im Licht der Siegesparade zum 9. Mai

Die diesjährige Militärparade anlässlich der Feiern zum Tag des Sieges über Nazi-Deutschland in Moskau zeigte vor allem eins: eine neue geopolitische Realität. Diese will man in Westeuropa und Deutschland nicht wahrhaben. Man sieht sich weiterhin in der Position, Bedingungen diktieren und Forderungen erheben zu können. Angesichts der tatsächlichen Kräfteverhältnisse wirken die deutschen und die MachtansprücheWeiterlesen

Mai 12, 2025 - 08:10
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Aus der Zeit gefallen: Deutsche Machtansprüche im Licht der Siegesparade zum 9. Mai

Die diesjährige Militärparade anlässlich der Feiern zum Tag des Sieges über Nazi-Deutschland in Moskau zeigte vor allem eins: eine neue geopolitische Realität. Diese will man in Westeuropa und Deutschland nicht wahrhaben. Man sieht sich weiterhin in der Position, Bedingungen diktieren und Forderungen erheben zu können. Angesichts der tatsächlichen Kräfteverhältnisse wirken die deutschen und die Machtansprüche der EU zunehmend lächerlich. Von Gert-Ewen Ungar.

Am 9. Mai fand in Moskau die große Militärparade statt, mit der alljährlich an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert wird. Dieses Jahr jährte sich der Sieg über Nazi-Deutschland zum 80. Mal. Angesichts des Jubiläums gelang es Russland, die Parade aus dem Rahmen einer reinen Gedenkveranstaltung herauszulösen, denn neben Militär und Militärtechnik zeigten sich auf ihr vor allem auch die neuen geopolitischen Verhältnisse.

Die Liste der internationalen Gäste war lang, allerdings fand sich ein offizieller Vertreter Deutschlands nicht unter den Namen. Deutschlands Botschafter in Russland, Alexander Lambsdorff, hat bereits im Januar mitteilen lassen, dass von deutscher Seite niemand an der Parade teilnehmen wird. Die Bewertung dieser Absage ist einen eigenen Beitrag wert.

Unmittelbar neben Putin nahm Chinas Präsident Xi Platz. Angereist waren unter anderem noch Präsident Lula da Silva aus Brasilien, Nicolas Maduro aus Venezuela, der Präsident Vietnams Luong Cuong, der Präsident Palästinas Mahmud Abbas, Burkina Fasos Übergangspräsident Ibrahim Traoré. Mit Ausnahme der Ukraine waren zudem die Staatschefs der ehemaligen Sowjetrepubliken vertreten. Die Liste der Gäste ließe sich fortsetzen. Damit wurde die Zuschauertribüne zum eigentlichen Ereignis der Parade. Dort visualisierte sich der Gegenentwurf zur westlichen Hegemonie und ihrer „regelbasierten Ordnung”, die von der Mehrzahl der Länder als ungerecht empfunden wird, da sie von der Gestaltung der Regeln ausgeschlossen sind, die zudem nicht für alle in gleicher Weise gelten. Unterstrichen wurde dies noch dadurch, dass einige Länder in der Parade mit ihren Garde-Einheiten Präsenz zeigten. Chinesische Soldaten marschierten ebenso wie Soldaten aus Ägypten, Vietnam, Laos und Myanmar über den Roten Platz. Im Anschluss an die Parade dankte Putin Offizieren aus Nordkorea für ihre Unterstützung bei der Befreiung der russischen Grenzregion Kursk.

Dass es mit der westlichen Hegemonie zu Ende geht, hat man auch in der EU und Westeuropa erkannt, will aber den Anspruch, über das Schicksal Europas allein bestimmen zu können, nicht aufgeben. Der Anspruch, Russland und anderen Ländern die Brüsseler Regeln diktieren zu können, wirkt angesichts der tatsächlichen Kräfteverhältnisse inzwischen allerdings sehr realitätsfremd.

Das wurde auch daran deutlich, dass sich sowohl Serbiens Präsident Aleksandar Vucic als auch der Ministerpräsident der Slowakei Robert Fico trotz angedrohter Konsequenzen und ganz offener Schikanen vom Besuch in Moskau nicht abhalten ließen. Länder der EU haben Vucic und Fico den Überflug in Richtung Russland untersagt.

Ziel der bizarren Aktion war wohl, die in Westeuropa verbreitete und vielfach geglaubte Desinformation von einer Isolation Russlands aufrechtzuerhalten. Kein westlicher Vertreter sollte bei der Gedenkfeier auf dem Roten Platz anwesend sein. Wie so oft bei den Unternehmungen der EU ging der Schuss nach hinten los. Die offenen Angriffe und Drohungen der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas gegen Vucic und Fico verschafften deren Plänen, Moskau besuchen zu wollen, überhaupt erst internationale Aufmerksamkeit. Damit war auch der Blick auf die Ankündigung von Konsequenzen gerichtet. Dass einem Staatschef eines Landes des Schengen-Raums die Überflugrechte über andere Länder des Schengen-Raums aus rein politischen Gründen verweigert werden, hat den Eindruck noch einmal verstärkt, die EU kippe immer weiter in die Tyrannei. Die Entscheidung der baltischen Staaten, den Überflug zu verbieten, ist ohne Zustimmung aus Brüssel nicht denkbar. Dass es sich bei der EU um ein Bündnis gleichberechtigter Staaten auf der Grundlage von rechtsverbindlichen Verträgen und demokratischen Prinzipien handelt, braucht man inzwischen daher niemandem mehr zu erzählen. Die Realität spricht eine gänzlich andere Sprache – die der Willkür und Despotie.

Der ganze Vorgang zeigt auch deutlich, dass man in Brüssel nicht in der Lage ist, mögliche Gegenreaktionen und Effekte der eigenen Brachialmaßnahmen zu antizipieren. Bei einem Gespräch zwischen Putin und Fico im Anschluss an die Militärparade nahm Putin auf die verlängerte Reiseroute Ficos Bezug.

„Ich weiß von den Schwierigkeiten Ihrer Reise nach Moskau und den ‘logistischen Hindernissen’. Aber nun sind Sie hier, und ich denke, jene, die versuchten, sie an der Umsetzung ihres Plans zu hindern, hätten das besser nicht getan. Ihre Ziele haben sie jedenfalls nicht erreicht.” Fico grinste verschmitzt. Der Welt wurde der desolate innere Zustand der EU eindrucksvoll vorgeführt.

Eindrucksvoll vorgeführt haben auch Macron, Merz, Starmer und Tusk mit ihrem Besuch in Kiew am Samstag, dass sie weiterhin an Frieden kein Interesse haben. Sie formulierten erneut für Moskau unannehmbare Bedingungen. Einen bedingungslosen 30-tägigen Waffenstillstand wollen die willigen Koalitionäre Russland diktieren und versuchen, der Forderung mit Drohungen Nachdruck zu verleihen. Sollte Russland die Anweisung aus Westeuropa nicht befolgen, werden sie neue Sanktionen verhängen. Das hat schlicht den Charakter von Realsatire.

Nachdem gegen Russland inzwischen über 20.000 Einzelsanktionen verhängt wurden, soll die Drohung mit einem weiteren Sanktionspaket Moskau zu etwas bewegen, zu dem es die vorausgegangenen 16 Sanktionspakete nicht bewegen konnten. Als am 25. Februar 2022, nur einen Tag nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, die EU das erste, längst vorbereitete Sanktionspaket aus der Schublade zog, war das Ziel klar. „Das wird Russland ruinieren”, sprach die damalige deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nicht frei von Häme und Hass in die vorgehaltenen Mikrofone.

Vom Ruin ist Russland inzwischen allerdings weiter entfernt als Deutschland und die EU. Schon bei Sanktionspaket 2 bis 16 handelte es sich nur noch um Akte der Verzweiflung, weil Plan A nicht funktionierte und ein Plan B niemals ausgearbeitet worden war. Man verfolgte den eingeschlagenen Kurs trotz Ausbleiben von Erfolgen einfach weiter.

Um einen Akt der Verzweiflung handelt es sich auch bei der Idee des reisefreudigen Quartetts, die USA als Sicherheitsgaranten aktiv im Konflikt halten zu wollen. Der Entsendung von „Friedenstruppen”, ausgestattet mit einem robusten Mandat und unter Einbeziehung der USA, wird Russland niemals zustimmen. Die USA haben zudem klar erkennbar gezeigt, dass sie sich aus dem Konflikt zurückziehen wollen. Die westeuropäischen Vorschläge sind daher nichts anderes als vollkommen unrealistisch – gemacht fürs heimische Publikum, dem damit eine Stärke und machtpolitische Potenz vorgegaukelt werden soll, der in der realen Welt nichts entspricht.

Ähnlich unrealistisch ist auch das großspurig angekündigte Tribunal zur Aburteilung Vertreter Russlands. Bei seinem Besuch in Lwiw am Freitag hat Außenminister Wadephul gemeinsam mit seinen westeuropäischen Kollegen den Startschuss zur Einrichtung des Tribunals gegeben. Das wiederum zeigt, dass auch die neue Bundesregierung weiter auf Eskalation setzt und Diplomatie eine Absage erteilt. Baerbock heißt jetzt Wadephul und kann männlich gelesen werden. Sonst bleibt alles, wie es war.

Dass Russland die Urteile eines derartigen Tribunals anerkennt, ist nur auf der Grundlage der Kapitulation Russlands vorstellbar. Aus Deutschland kommt weiterhin kein Beitrag zur Beilegung des Konflikts. Deutsche Politik will im Gegenteil den militärischen Sieg. Deutschland bleibt eben auch immer Deutschland.

Dementsprechend wird der in der Nacht zum Sonntag gemachte Vorschlag Putins, am 15. Mai in Istanbul die Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland wieder aufzunehmen, in Deutschland rundheraus abgelehnt. Man besteht auf einen bedingungslosen 30-tägigen Waffenstillstand. Forderungen, in dieser Zeit die Ukraine nicht mit Waffen zu beliefern, lehnte Macron einem Bericht zufolge bereits ab.

Nachdem der von Russland angebotene dreitägige Waffenstillstand vom 8. bis zum 10. Mai von der Ukraine nicht nur tausendfach gebrochen, sondern auch für mehrere Offensivoperationen genutzt worden war, ist die Forderung nach einem Waffenstillstand ohne Vorbedingungen schlicht vermessen, wenn nicht zynisch. Er signalisiert, dass man in Westeuropa an Frieden nicht interessiert ist. Man ist lediglich daran interessiert, Russland Bedingungen zu diktieren. Damit bleibt Westeuropa einer Ordnung verpflichtet, die längst abgelöst wurde. Ein Blick auf die Zuschauertribüne zur Siegesparade in Moskau hat gezeigt, wie sehr Westeuropa inzwischen aus der Zeit gefallen ist.

Titelbild: Kremlin.ru