Archäologie: Superfood seit Jahrtausenden: Eine Reise in die Geschichte der Avocado

Wo und wann die Avocado erstmals kultiviert wurde, war lange ein Rätsel. Nun haben Forschende es gelöst. In Honduras ist der Anbau der Beerenfrucht sogar älter als der von Mais

Mär 19, 2025 - 17:37
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Archäologie: Superfood seit Jahrtausenden: Eine Reise in die Geschichte der Avocado

Wo und wann die Avocado erstmals kultiviert wurde, war lange ein Rätsel. Nun haben Forschende es gelöst. In Honduras ist der Anbau der Beerenfrucht sogar älter als der von Mais

Die Avocado ist buchstäblich in aller Munde und das globale Geschäft damit milliardenschwer. Schon länger ist bekannt, dass Menschen die nahrhafte Beerenfrucht seit mehr als 10.000 Jahren schätzen. Sicher ist auch, dass sie an mindestens drei Stellen in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet vom heutigen Mexiko bis Südamerika domestiziert, also gezielt gezüchtet und angebaut worden ist. Wann genau aber, das war lange unklar. Bis jetzt.

Erst kürzlich ist einem Forschungsteam um die Anthropologin Amber VanDerwarker und ihren Kollegen Dough Kennett von der University of California Santa Barbara gelungen, einen weiteren Ort der Domestizierung aufzuspüren. Und vor allem: exakt zu datieren.

Die Reise führt ins heutige Honduras

Gemälde eine Frau vor Palmen mit einem Korb voller Früchte, daneben eine aufgeschnittene Avocado
Die Avocado ist eine der traditionellen Früchte Mittel- und Südamerikas, deren Vielfalt der ecuadorianische Maler Vicente Albán in dem Korb auf diesem Gemälde im späten 18. Jahrhundert festgehalten hat
© Los Angeles County Museum of Art

Das Team hat Avocadoreste aus dem Felsunterstand El Gigante im Hochland von Honduras untersucht. Einem gut geschützten Rückzugsort an einem Steilhang oberhalb des Flusses Estanzuela, der Menschen über Jahrtausende hinweg als Unterschlupf gedient hat. Regen und Wind nehmen hier kaum Einfluss auf die Sedimente. So ist das Erdreich weitestgehend ungestört. Wie in einem Geschichtsbuch können Archäologen in der Abfolge der Schichten die letzten Jahre der Nutzung ebenso ablesen wie deren Beginn und vieles von dem, was dazwischen unter dem Felsüberhang geschehen ist. Der Ort ist von herausragender historischer Bedeutung für das Verständnis der früheren Menschheitsgeschichte in Mittelamerika. Nicht zuletzt deswegen hat Honduras ihn 2021 auf die Vorschlagsliste für ein Verfahren zur Anerkennung als Weltkulturerbe der UNESCO gesetzt.

Die trockenen Bodenverhältnisse von El Gigante haben dazu beigetragen, dass sich anders als an vielen anderen prähistorischen Fundorten nicht nur unvergängliche Objekte wie Steinwerkzeuge erhalten haben, sondern auch organische Materialien, etwa unzählige Reste von gewebten Fasern, Korbwaren oder Leder. Aus dem Unterschlupf stammt beispielsweise auch das bisher älteste direkt datierbare vergängliche Artefakt Mittelamerikas: ein 10.300 Jahre altes Stück Tauwerk. Zu den Funden gehören aber auch zahlreiche getrocknete oder karbonisierte Kerne und Schalenstücke der Avocado. Diese hat sich das Team um Amber VanDerwarker und Dough Kennett nun vorgenommen. Und mit der C14-Datierung deren Alter bestimmt. 

Photo von getrockneten oder karbonisierten Avocadokernen mit Maßstab
Die chronologische Sortierung der Avocadokerne aus dem El-Gigante-Felsüberhang zeigt, dass die Kerne im Lauf der Zeit immer größer werden. Für die Forschenden ein eindeutiger Beweis für den gezielten Anbau immer ergiebigerer Früchte
© Thomas Harper / UC Santa Barbara

Die Ergebnisse sind eindeutig: Die ersten, rund 11.000 Jahre alten Kerne sind noch recht klein, die jüngsten gefundenen Kerne aus der Zeit von vor mehr als 2000 Jahren aber sind fast doppelt so groß. Zugleich hat auch die Dicke der gefundenen Schalenstücke kontinuierlich zugenommen. Eine von Menschen gesteuerte Selektion auf größere Früchte mit dickerer Schale zeichnet sich jedoch bereits vor etwa 7500 Jahren ab, schreiben die Forschenden in der Zusammenfassung ihres Berichtes, der im März in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" erschienen ist. 

"Unsere Arbeit zeigt, dass indigene Bauern im Lauf der Zeit größere und dickschaligere Avocados selektierten, wodurch diese nahrhaften Früchte ertragreicher und leichter zu transportieren waren", wird Kennett  zitiert. "Diese gezielt ausgewählten Merkmale förderten ihre weite Verbreitung in Mittel- und Südamerika und legten damit den Grundstein für ihre heutige globale wirtschaftliche Bedeutung."

Archäologen mit Eimern und Staubmasken bei Ausgrabungen unter dem Felsüberhang von El Gigante, Honduras
Meter für Meter arbeiten sich Archäologen sorgfältig durch die Sendimentschichten, die sich im Felsunterschlupf von El Gigante in Honduras während der letzten 11.000 Jahre gebildet haben – auch durch die Nutzung von Menschen
© Ken Hirth / UC Santa Barbara

"Pflanzenanbau und -domestikation bilden die Grundlage für die Entstehung landwirtschaftlicher Systeme, die globale Ausbreitung der menschlichen Bevölkerung und letztendlich für die Entstehung größerer Städte und Nationalstaaten", so der Forscher weiter. "Wir haben zwar viele Erkenntnisse über die historische Bedeutung von Getreide wie Weizen, Reis und Mais gewonnen, wissen aber heute, dass in den letzten 12.000 Jahren weltweit mehr als 2000 wirtschaftlich bedeutende Pflanzen domestiziert wurden, darunter auch die Avocado."

Die größte Überraschung aber war etwas völlig anderes

Die größte Überraschung der Studie aber war etwas völlig anderes: Die Menschen, deren Essensreste und Gerätschaften man in El Gigante gefunden hat, hatten die Avocado schon domestiziert, bevor der Mais in der Region Einzug gehalten hat. Jenes Getreide, das wie kein anderes mit dem Aufstieg und Fall der mittel- und südamerikanischen Hochkulturen verbunden ist.

 "Das verändert unser Verständnis der mittelamerikanischen Landwirtschaft grundlegend", so Amber VanDerwarker. "Traditionell wird angenommen, dass Mais mit seiner Ankunft an einem neuen Standort aus Sammlern Bauern macht." Zumindest im Fall der Menschen von El Gigante stimmt das aber schon mal nicht.