Archäologie: Die Chinesische Mauer ist älter als gedacht
Sie ist das größte menschengemachte Bauwerk der Welt. Nun zeigt sich: Die Geschichte der Chinesischen Mauer reicht noch viel weiter zurück in die Zeit als bisher bekannt

Sie ist das größte menschengemachte Bauwerk der Welt. Nun zeigt sich: Die Geschichte der Chinesischen Mauer reicht noch viel weiter zurück in die Zeit als bisher bekannt
Der Feind wohnt in den weiten Landschaften im Inneren Asiens. Vor allem von Norden her branden immer wieder Völkerschaften an die Grenzen Chinas. Und das lange bevor sich Ying Zheng 221 v. Chr. als "Qin Shi Huangdi", als "Erhabener Gottkaiser Erster Generation von Qin", zum allerersten Kaiser im Land erhebt und das Reich der Mitte zu einem geeinten Staat schmiedet, der mehr als zwei Jahrtausende Bestand haben wird.
Die geschlossene Mauer, die sich noch heute rund 7000 Kilometer vom Gelben Meer im Osten bis zur Wüstenfestung Jiayuguan im Westen verfolgen lässt, haben die Kaiser der Ming-Dynastie erst ab dem Ende des 15. Jahrhunderts errichten lassen. Doch schon vorher haben die Herrscher Chinas versucht, ihr Land etwa durch Erdwälle, Stein- und Lehmmauern vor Einfällen gegnerischer oder auch zuvor vertriebener Gruppen zu schützen. Unter Qin Shi Huangdi hatten solche Befestigungsanlagen bereits eine Gesamtlänge von 3000 Kilometern.
Ausgrabungen werfen neues Licht auf die Baugeschichte
Nun haben Ausgrabungen am ältesten Abschnitt, der "Großen Mauer des Staates Qi", in der Provinz Shandong ergeben, dass die Geschichte des Bollwerks noch einmal rund 300 Jahre früher begonnen hat als bisher angenommen.
© Zhang Su / Shandong Provincial Institute of Cultural Relics and Archaeology
Das Team um Projektleiter Zhang Su vom Institut für Kulturdenkmäler und Archäologie der Provinz Shandong hat unlängst beim Dorf Guangli eine Fläche von rund 1100 Quadratmetern ausgegraben. Es ist die erste reguläre wissenschaftliche Grabung an der Mauer nach Jahren der Oberflächenbegehungen und anderer Voruntersuchungen.
Zwei neue Bauphasen wurden entdeckt
Bei ihren Arbeiten konnten die Forschenden bisher unbekannte Teile der Befestigung freilegen, aber auch andere Strukturen wie etwa Wohngebäude und Aschegruben. Die Sensation jedoch war die Datierung der Befunde. Das Team nutzte zur Altersbestimmung unter anderem die Typologie sichergestellter Objekte, aber auch naturwissenschaftliche Techniken wie die optisch stimulierte Lumineszenz (OSL) oder die Kohlenstoff-14-Datierung.
Das Ergebnis: Von den zwei neu entdeckten Bauphasen der Mauer datiert die frühe Phase in die Zeit der Westlichen Zhou-Dynastie (ca. 1045 bis 771 v. Chr.). Die dazugehörigen Mauerreste sind damit die bisher ältesten bekannten Teile des berühmten Monuments überhaupt.
© Lee Tiejun
Immer klarer wird das Bild vom Leben an der Großen Mauer
Mehr noch: Die Mauerreste überdeckten einige Wohnhäuser, die ebenfalls aus der Zeit der Westlichen Zhou-Dynastie stammen. Die Häuser haben einen quadratischen Grundriss mit abgerundeten Ecken, typisch für jene Epoche. Möglicherweise, so Projektleiter Zhang nach einem Bericht in der "Global Times", war das Gebiet vor dem Bau der Mauer Teil einer kleinen Siedlung zur Verteidigung des nahen Flusses.
Zudem gelang es dem Archäologenteam, in etwa 1500 Meter Entfernung zur Mauer eine bisher allein aus historischen Texten bekannte Stätte zu lokalisieren: die antike Stadt Pingyin, die nach Ausweis der schriftlichen Überlieferung eine wichtige Rolle in der Grenzverteidigung und Sicherung der Transportwege innehatte.
"Der Grundriss, die Lage und die damit verbundene Infrastruktur der Großen Mauer von Qi spiegeln die fortschrittliche militärische Planung und strategische Reaktion des Staates Qi auf externe Bedrohungen wider. Ihre enge Verbindung zu Pingyin weist darauf hin, dass die Mauer nicht nur zur Verteidigung diente, sondern auch eine strategische Rolle bei der Kontrolle wichtiger Verkehrswege spielte", wird Zhang weiter von der "Global Times" zitiert.
Man darf gespannt sein, welche Erkenntnisse künftig noch über das Alter, die Bauweise und die Funktion der Chinesischen Mauer zutage kommen werden.