Weitere Nörgelrentnernotizen

In der Reihe Radio Bremen Retro gibt es in der Audiothek ein Interview aus dem Jahr 1962. Irmgard Bach befragt Siegfried Lenz zum Thema „Als ich 17 war.“ Da war der Schriftsteller 36 Jahre alt, und ich fand die Aufnahme gleich doppelt überraschend. Zum einen klingt er überhaupt nicht so, wie ich mir die Stimme... Der Beitrag Weitere Nörgelrentnernotizen erschien zuerst auf Buddenbohm & Söhne.

Apr 17, 2025 - 07:31
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Weitere Nörgelrentnernotizen

In der Reihe Radio Bremen Retro gibt es in der Audiothek ein Interview aus dem Jahr 1962. Irmgard Bach befragt Siegfried Lenz zum Thema „Als ich 17 war.“ Da war der Schriftsteller 36 Jahre alt, und ich fand die Aufnahme gleich doppelt überraschend. Zum einen klingt er überhaupt nicht so, wie ich mir die Stimme von Lenz vorgestellt habe. Was ich aber auch nicht näher definieren könnte, also abgesehen von: So eben nicht.

Zum anderen, und das ist dann eine fast schon langweilig reproduzierbare Überraschung, also eigentlich keine, staune ich immer wieder, wie weit sich die gesprochene Sprache von dieser Ausdrucksart damals, mit der ich immerhin noch groß geworden bin, fortentwickelt hat. Sehr stark hat sie sich verändert. Und ich wüsste nicht, nach welchen Kriterien man die Entwicklung seit der Zeit als Fortschritt im üblichen Deutungssinne dieses Begriffs werten könnte. Es ist eine Veränderung, so viel steht fest, aber ob da etwas besser geworden ist – ich sehe oder höre es nicht.

Es ist aber das gleiche Dilemma wie immer. Denn obzwar, um eine schöne und fast ausgestorbene Lenz-Vokabel zu benutzen, ich davon ausgehe, dass es in meiner Lebenszeit kulturell eher abwärts ging, schon von den Ambitionen her, kann ich es nicht verifizieren. Denn ich weiß ja, dass dies die meisten Menschen in meinem Alter immer schon gedacht haben, quer durch alle Jahrhunderte.

Ein paar von ihnen haben auch aus heutiger Zeit Recht gehabt, siehe das Auf und Ab der Kulturgeschichte, die kollektive Bewertung ex post. Aber kann man es zu Lebzeiten wissen, dass man richtig liegt und in einer Abwärtsphase zu Gast war?

Während ich dies schreibe, ich sehe es gerade, zeigt die Wanduhr über mir viertel nach. Wozu es in Verbindung mit dem Thema Lebenszeit auch wieder ein Lied gibt. Weil es zu allem ein Lied gibt.

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Durch das neue Einkaufsriesending an der Elbe, wo ich gerade bei Kulturgeschichte bin, stromern währenddessen die Influencenden von Instagram etc. und kriegen sich gar nicht mehr ein, ob der möglichen Shopping-Ekstasen und der Auswahl an Fast-Fashion etc. vor ihren Smartphonekameras. In meiner Timeline taucht viel von diesem Reklamematerial auf. Was auch logisch ist, da ich am passenden Ort wohne und mir die Clips etc. tatsächlich neugierig ansehe. Wie so ein williger Konsument sehe ich sie mir an und lasse alles in voller Länge durchlaufen. Dabei ist diese Neugier eher vergleichbar mit dem Unfallgucken auf der Autobahn, nicht mit dem unterstellten Kaufinteresse.

Aber das können die Algorithmen so nicht deuten, schon klar.

Es wundert mich also nicht, was mir da im Stream geboten wird. Staunenswert ist aber ein wenig, wie viele von diesen Influencenden es gibt. Ich habe die Menge für überschaubarer gehalten, und da lag ich falsch.

Und wie vergleichbar ähnlich sie fast durchweg im Auftritt, in der Sprache und auch in der medialen Darstellung sind, in der Perspektivwahl etc. Es versteht sich fast von selbst, dass alle dieser Werbetreibenden alles, was sie sehen und filmen, kategorisch „spannend“ finden. So spannend, superspannend, echt spannend, megaspannend, irre spannend. Und dann gehen sie, nächster Schnitt, bei H&M rein. Weil es so spannend ist und als wäre es ein Event.

Aber ich will gar nicht spotten, pardon. Ich stelle nur aus meiner Sicht fest und behalte stets im Sinn, dass ich nicht die Zielgruppe bin und mich daher nicht zu beschweren habe. Dass ich nicht einmal mehr in der Nähe einer der Zielgruppen bin, dass ich mittlerweile eher der fremde Blick bin. Alles von außen angucken.

Als nicht eben geselliger Mensch fühlt es sich manchmal seltsam passend an, aus Zielgruppen herauszufallen.

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Blick über den Südkanal in Hammerbrook

Im Bild der Südkanal in Hammerbrook mit ernster Bürobebauung an den Ufern, sommerlich blauem Himmel und weißen Wölkchen, aus denen es wiederum nicht regnen wird.

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