Verteidigung und Infrastruktur: Zweimal 400 Milliarden – Ökonomen befeuern Debatte über Sondervermögen
Während Union und SPD hinter verschlossenen Türen über die großen Finanzfragen beraten, preschen Top-Ökonomen mit einem Vorschlag vor: zwei Sondervermögen im Volumen von jeweils 400 Mrd. Euro – für Verteidigung und Infrastruktur

Während Union und SPD hinter verschlossenen Türen über die großen Finanzfragen beraten, preschen Top-Ökonomen mit einem Vorschlag vor: zwei Sondervermögen im Volumen von jeweils 400 Mrd. Euro – für Verteidigung und Infrastruktur
Union und SPD prüfen zwei milliardenschwere Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur. Das werde zwischen CDU, CSU und SPD besprochen, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag aus Verhandlungskreisen. Details sollen zwischen den drei Parteien ausgearbeitet werden. Die Fachebene prüfe zwar noch andere Varianten. Der Weg zweier Sondervermögen noch mit dem alten Bundestag im März gelte aber als die vielversprechendste Variante. Zudem werde angestrebt, dass eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse spätestens in der nächsten Legislaturperiode von einer schwarz-roten Koalition angepackt werden solle. Dies ist komplizierter und braucht mehr Zeit, darauf dringen aber neben der SPD etwa parteiübergreifend die Bundesländer.
Die Generalsekretäre von CDU und SPD, Carsten Linnemann und Matthias Miersch, wollten am Abend im ZDF zu dem Bericht keine Stellung nehmen und verwiesen auf die Vertraulichkeit. Zuvor hatten die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer und die Gruppe „Ökonomen für die Ukraine“ die Politik nach dem Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dessen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj zum schnellen Handeln aufgefordert.
Ökonomen schlagen Volumen von jeweils 400 Mrd. Euro vor
Die Frage der Finanzen muss gleich zu Beginn der Gespräche von Union und SPD geklärt werden, weil Deutschland sowohl beim Thema Sicherheit als auch bei Investitionen vor großen Herausforderungen steht. Als Grundlage für die Beratungen dienten neben einem – nach Angaben aus Teilnehmerkreisen düsteren – Vortrag von Finanzminister Jörg Kukies über die Haushaltslage bei der ersten Sondierungsrunde am Freitag auch gemeinsame Vorschläge von vier Spitzenökonomen.
Diese schlagen nach Reuters-Informationen vor, das Sondervermögen Bundeswehr aufzustocken und daneben ein weiteres Sondervermögen Infrastruktur zu beschließen – mit dem alten Bundestag. Für die Bundeswehr sehen die Ökonomen eine Größenordnung von 400 Mrd. Euro, auch um ein Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu senden. Für die Infrastruktur regen sie an, dass Bund und Ländern 400 bis 500 Mrd. Euro in den Preisen von 2025 bereitgestellt werden sollten. Sondervermögen sind Kreditlinien außerhalb des normalen Bundeshaushalts und außerhalb der Regeln der Schuldenbremse.
Dies sei in der Runde von Clemens Fuest (Präsident des Ifo-Instituts), Michael Hüther (Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft), Moritz Schularick (Präsident des Kieler IfW) und dem Düsseldorfer Ökonomen Jens Südekum unstrittig gewesen, hieß es. Die Runde kam auf Initiative des saarländischen Finanzministers Jakob von Weizsäcker am Donnerstag zusammen, um über die finanzpolitischen Optionen für die Sondierungen zu sprechen.
Auf EU-Ebene schlagen die vier zudem vor, dass es eine milliardenschwere Kreditlinie nach Vorbild des Next-Generation-Fonds zur Überwindung der Pandemie geben könnte. Die Union hatte lange Änderungen abgelehnt. CDU-Chef Friedrich Merz hat diese zuletzt nicht mehr ausgeschlossen, will aber strukturelle Reformen und Einsparungen im Haushalt.
SPD und Grüne dränge auf Reform der Schuldenbremse
Hintergrund des Drucks, schnell zu entscheiden, sind zum einen die russische Bedrohung und die Neuaufstellung der USA, die der Ukraine ihre Militärhilfe und möglicherweise den Europäern ihren Schutz entziehen wollen. Dass die Europäer also sehr viel mehr Geld für ihre eigene Verteidigung und für die Ukraine ausgeben müssten, ist mittlerweile die vorherrschende Meinung in Union und SPD.
Zum anderen hatte Merz schon kurz nach der Wahl erklärt, dass er mit SPD, Grünen und FDP beraten wolle, was mit dem alten Bundestag noch beschlossen werden kann, der bis zum 24. März bestehen kann. Im neuen Bundestag verfügen AfD und Linke zusammen über eine Sperrminorität. Sowohl für eine Reform der Schuldenbremse als auch die Einrichtung oder Aufstockung von Sondervermögen wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig, weil sie im Grundgesetz verankert sind.
Im alten Bundestag gibt es diese Sperrminorität nicht. Die Zustimmung auch der Grünen ist allerdings nötig. SPD und Grüne wiederum ist wichtig, dass es nicht nur mehr Geld für die Bundeswehr gibt, sondern auch eine Reform der Schuldenbremse kommt.
Merz muss rasch ein starkes Signal senden
Union und SPD hatten am Freitag die Atmosphäre der ersten Sondierungsrunde gelobt, für die Vertraulichkeit gilt. Merz plant, bis Ostern eine Koalition zu bilden. Die Sondierungen sollen am Montagnachmittag fortgesetzt werden, wie es in Verhandlungskreisen hieß. Am Wochenende fanden Gespräche auf Fachebene statt.
Für lange Verhandlungen sei keine Zeit mehr, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft, Schnitzer, zu Reuters. „Der aller Voraussicht nach künftige Kanzler muss sehr schnell ein starkes Signal senden, die Verteidigungsbereitschaft deutlich zu steigern“, betonte sie mit Blick auf Merz. Dies sei auf die Schnelle nur möglich, wenn noch im aktuellen Bundestag das Sondervermögen Bundeswehr deutlich aufgestockt oder ein neues Sondervermögen Verteidigung eingerichtet werde. „Ein Zögern wäre fatal.“
Die Professorin gehört zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes der Gruppe „Economists for Ukraine“, das sich ebenfalls an den künftigen Kanzler wendet. Europa verfüge über die Ressourcen, um die russische Aggression zu besiegen. Ukrainische Raketen- und Drohnenangriffe schwächten zudem die russischen Produktionskapazitäten erheblich. „Und dies könnte durch die Taurus-Raketen noch beschleunigt werden“, argumentieren die Ökonomen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat Taurus-Lieferungen abgelehnt.
Nach Ansicht der Ökonomen könnte der Aufbau einer stärkeren Streitmacht dabei helfen, dass Deutschland seine wirtschaftliche Stärke zurückgewinne. Dazu müssten die öffentlichen Ausgaben erhöht werden. Die Steuerzahler könnten aber geschont werden, indem 300 Mrd. Dollar an eingefrorenen russischen Geldern beschlagnahmt würden. Dies lehnt die Bundesregierung ab.