Versenkung der "Gustloff": Schlimmster Untergang aller Zeiten: Ein Aufschrei – und dann war alles still

Als im Januar 1945 der Zweite Weltkrieg in seine letzte Phase tritt, attackiert ein sowjetisches U-Boot ein deutsches Schiff voller Flüchtlinge. Tausende kommen ums Leben 

Jan 30, 2025 - 19:46
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Versenkung der "Gustloff": Schlimmster Untergang aller Zeiten: Ein Aufschrei – und dann war alles still

Als im Januar 1945 der Zweite Weltkrieg in seine letzte Phase tritt, attackiert ein sowjetisches U-Boot ein deutsches Schiff voller Flüchtlinge. Tausende kommen ums Leben 

30. Januar 1945: Tote treiben im eisigen Wasser der Ostsee. Männer, Frauen, Kinder. Ein düsterer Anblick in einer düsteren Zeit. Am Ende des Zweiten Weltkriegs fällt die Gewalt, die das NS-Regime durch den Überfall auf Polen, durch einen Vernichtungskrieg ohne Beispiel entfesselt hat, auf das Land der Täter zurück. Und fordert Opfer. An diesem Tag sterben mehr als 9000 Menschen auf einen Schlag, in der schwersten Schiffskatastrophe der Geschichte.

Das Kreuzfahrtschiff "Wilhelm Gustloff", benannt nach dem bei einem Attentat umgekommenen Chef des Schweizer NSDAP-Ablegers, war 1937 als Stolz des Propagandaprogramms "Kraft durch Freude" vom Stapel gelaufen, mit dem Hitlers Regime ausgewählte Arbeiter öffentlichkeitswirksam auf Erholungsreisen schickte. 1939 holte die "Gustloff" auf einer Sondermission die Mitglieder der berüchtigten "Legion Condor", die im Spanischen Bürgerkrieg die Stadt Guernica mit ihren Bomben ausradiert hatte, wieder nach Deutschland zurück. 

Mit Beginn des Krieges wird das gewaltige Gefährt erst als Lazarettschiff genutzt, ab 1940 dient es – dauerhaft in der Danziger Bucht vor Anker – einer Militäreinheit, die U-Boot-Besatzungen ausbildet, als Kaserne.

Blick auf den Bug der "Wilhelm Gustloff" bei deren Bau im Trockendock, im Vordergrund Arbeiter
Gebaut bei der Hamburger Werft Blohm & Voss (hier der Blick ins Dock), gilt die mehr als 200 Meter lange "Gustloff" damals als eines der größten Passagierschiffe weltweit. Adolf Hitler höchspersönlich wohnt der Schiffstaufe im Frühling 1937 bei
© picture alliance / Fotoarchiv für Zeitgeschichte / Archiv

Als im Winter 1944/45 die Niederlage Deutschlands längst unabwendbar ist und die Rote Armee immer weiter nach Westen vordringt, Ostpreußen einkesselt, beginnen Millionen Deutsche zu fliehen oder werden vertrieben. Die Wehrmacht verschärft die Lage, indem sie eine Evakuierung der Region hinauszögert, militärische Belange oft vor die Bedürfnisse der Bevölkerung stellt. Im Januar entscheiden die Verantwortlichen, die wichtige U-Boot-Ausbildungseinheit zusammen mit der "Gustloff" nach Westen abzuziehen – und auf der Fahrt auch Flüchtlinge mitzunehmen. 

Massen melden sich daraufhin am Hafen von Gdynia (damals Gotenhafen), um einen Platz zu erlangen. Fast 8000 Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder, werden für den Transport registriert, später steigen noch weitere Verzweifelte von kleineren Schiffen zu. Schließlich befinden sich, zusammen mit den etwa 1000 Soldaten, mehr als 10.000 Menschen an Bord – auf einem Schiff, das unter normalen Umständen auf rund 2000 Personen ausgelegt ist.

Ein U-Boot nähert sich – und feuert

Kurz nach Mittag am 30. Januar läuft die "Wilhelm Gustloff" aus. Die Kapitäne, ein ziviler und ein militärischer Kommandant, entscheiden sich für eine Route über die offene See, um die Minen im flacheren Gewässer zu meiden. Ein kleineres Kriegsschiff, ein Torpedoboot, begleitet den Koloss. Die Beleuchtung der "Gustloff" wird abgedunkelt, nur die Positionsleuchten strahlen in den dämmernden Abend. 

Und tauchen bald im Visier eines sowjetischen U-Boots auf. Kommandant Alexander Marinesko, der die "S-13" befehligt, weiß, dass er ein deutsches Schiff vor sich hat. Unentdeckt manövriert er in Position, etwa 700 Meter entfernt, und gibt um 21:15 Uhr eine folgenschwere Order: den Abschuss von vier Torpedos kurz hintereinander.

Viele Menschen stehen an Deck der "Wilhelm Gustloff", in der Mitte musiziert eine Band mit Blasinstrumenten
Passagiere lauschen einer Band auf einer Norwegen-Kreuzfahrt der "Wilhelm Gustloff" vor dem Krieg. Das Schiff ist für etwa 1500 Reisende und 400 Personen Besatzung vorgesehen. Doch bei der Katastrophenfahrt 1945 sind fünfmal so viele Menschen an Bord
© VisualEyze / United Archives / picture alliance

Viel später, im Lichte der nun folgenden Ereignisse, wird intensiv diskutiert werden, wie Marinesko so vorgehen konnte, ob er dabei nicht sogar verbrecherisch gehandelt habe. Doch die "Gustloff", die damals über einen grauen Tarnanstrich verfügte, trug kein eigentlich nötiges großes rotes Kreuz am Rumpf, um als Flüchtlingsschiff erkennbar zu sein, auch hatte sie den Transport beim Roten Kreuz nicht offiziell angemeldet, war ebensowenig, wie sonst dafür vorgeschrieben, in voller Beleuchtung unterwegs. 

Zudem befanden sich an Bord neben den Flüchtlingen tatsächlich Militäreinheiten, auch Waffen, etwa Flak-Geschütze, fuhr ein Kriegsschiff im Konvoi mit, ja, sogar die Flagge der Kriegsmarine wehte am großen Rumpf. So sind sich Experten heute großteils einig, dass die Attacke nicht als Kriegsverbrechen gewertet werden kann – sondern als tragischer Teil eines gnadenlosen Kampfes. Eines Krieges, den die Deutschen selbst zuvor über Jahre systematisch barbarisiert hatten.

Vereiste Rettungsboote, Todeskämpfe hinter Bullaugen

Das Leid auf der "Gustloff" ist dennoch kaum beschreiblich. Drei der vier Torpedos treffen den Rumpf des Schiffes, das, etwa 60 Kilometer von der Küste entfernt, sofort zu sinken beginnt. Panik ergreift die dicht an dicht hockenden Passagiere. Die zwar noch vor der Fahrt aufgestockten Rettungsboote reichen bei Weitem nicht, viele von ihnen werden bei minus 20 Grad Außentemperatur noch dazu von harten Eispanzern untrennbar in den Verankerungen festgehalten.

Während das Schiff sich gefährlich neigt, irren Menschen umher, trampeln einander tot, fallen ins Wasser, ertrinken oder erfrieren binnen Augenblicken in einer See, deren Gradzahl nur wenig über null liegt. Tausende verbleiben im langsam wegsackenden Rumpf. Von außen können die, die es in die Rettungsboote geschafft haben, beobachten, wie sich hinter den Bullaugen Todeskämpfe vollziehen. 

Die Opfer können nicht vergessen

Neun Schiffe kommen in der Nacht herbei, um Überlende zu bergen, darunter das Torpedoboot, das als Begleitung eingeteilt war. Sie können gut 1200 Menschen retten; damit sterben in dieser Nacht geschätzt etwa 9000 Passagiere, so viele wie wohl nie zuvor und nie danach bei einem einzigen Untergang in der Seefahrt. Tief schreibt sich das Drama in die Erinnerung der Betroffenen und der Zeitgenossen ein, wühlt auch die Nachwelt auf. Für manche wird es zu einem Werkzeug in ihrem allgemeinen Versuch, in der Rückschau auf die NS-Zeit aus deutschen Tätern möglichst Opfer werden zu lassen.

Was bleibt, ist die große Tragik des Moments. Diesen letzten Augenblick, als die "Gustloff" auf immer im Meer versank, am 30. Januar um 22:15 Uhr, beschreibt eine Überlebende so: "Da sah ich nur, die Spitze des Schiffes kam hoch, und dann ein tausendstimmiger Schrei – den werde ich nie vergessen. Nie. Und dann war alles still."