Unterstützung statt Stigma: Was Parteien für die Psyche tun wollen

Gastbeitrag von Nike Hilber Was wollen die Parteien für die Psyche tun? Am 23. Februar wird in ganz Deutschland gewählt und im Wahlkampf werden alle Register gezogen – oder sollte man eher von Rastern sprechen? CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hätte scheinbar nichts dagegen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk Ende Dezember 2024 äußerte er sich folgendermaßen „…… Weiterlesen Unterstützung statt Stigma: Was Parteien für die Psyche tun wollen The post Unterstützung statt Stigma: Was Parteien für die Psyche tun wollen appeared first on Volksverpetzer.

Feb 9, 2025 - 18:56
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Unterstützung statt Stigma: Was Parteien für die Psyche tun wollen
Gastbeitrag von Nike Hilber

Was wollen die Parteien für die Psyche tun? Am 23. Februar wird in ganz Deutschland gewählt und im Wahlkampf werden alle Register gezogen – oder sollte man eher von Rastern sprechen? CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hätte scheinbar nichts dagegen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk Ende Dezember 2024 äußerte er sich folgendermaßen „… wir haben große Raster angelegt, für Rechtsextremisten, für Islamisten, aber offenkundig nicht für psychisch kranke Gewalttäter“. Durch das Anlegen solcher Raster möchte er in der Zukunft Attentate verhindern. Im weiteren Interview entfällt allerdings der vermeintlich nebensächliche Zusatz mit der Gewalt und den Tätern.

Er spricht nur noch von psychisch Kranken und beklagt, dass es für „diese Typen […] keine Raster in Deutschland“ gäbe. Er wird gegen Ende deutlicher, wenn er sagt, Registerpflicht solle „in Zukunft (…) auch für psychisch Kranke gelten.“ Er setzt demnach psychisch Kranke mit Rechtsextremisten und Islamisten gleich und fordert für die Überwachung psychisch Kranker einen engen Austausch mit Sicherheitsbehörden, Psychotherapeut:innen und Psychiatrien.

Altkanzler Gerhard Schröder hat sich gerade aufgrund von psychischen Beschwerden in eine Klinik begeben. Würde er dann auch in ihr Raster fallen, Herr Linnemann? Das ist also die politische Konsequenz, die ein CDU Politiker aus dem Attentat in Aschaffenburg zieht, bei dem ein zweijähriger Junge marokkanischer Herkunft und ein 42-jähriger Mann ums Leben gekommen sowie ein zweijähriges Mädchen syrischer Herkunft und ein 61-jähriger Mann schwer verletzt worden sind.

Stigmatisierung von Psychisch Kranken

Die Wissenschaft hingegen zeichnet ein anderes Bild. Studien zeigen, dass das Risiko psychisch Erkrankter bzgl. schwerer Gewalttaten weitgehend dem der allgemeinen strafmündigen Bevölkerung entspricht und je nach Krankheitsbild leicht erhöht oder gesenkt sein kann. Das mit psychischen Erkrankungen verbundene Gewaltrisiko entspricht in etwa dem erhöhten Risiko, das mit jungem Alter, niedrigem Bildungsstand und männlichen Geschlecht einhergeht.

Der Präsident des Bundeskriminalamts Holger Münch unterstreicht diese Erkenntnisse im ZEIT-Interview, indem er klarstellt: junge Männer sind grundsätzlich immer krimineller als der gesellschaftliche Durchschnitt, „egal ob zugewandert oder hier geboren“. Man kann davon ausgehen, dass Herr Linnemann ein Register für nicht-migrantische junge Männer ohne psychische Erkrankung jedoch nicht einfordern wird.

Der deutsch-israelische Psychologe und Autor Ahmand Mansour stellt sich in einem Interview in den Tagesthemen der ARD hinter die Forderung Linnemanns nach einem Register für psychisch kranke Gewalttäter und verlangt nach einer massiven Begrenzung irregulärer Migration (der Großteil ist legal in Deutschland) womit er die rassistische Migrationspolitik der Union unterstützt.

Raster werden das Problem nur verschärfen

In einem Punkt kann man ihm jedoch Recht geben: Mansour nennt auch strukturelle Mängel als Ursache für Straftaten, durch die besonders, aber nicht nur, Menschen mit Fluchthintergrund betroffen sind. Neben monatelangen Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz und dem Mangel an barrierefreien psychologischen Beratungsangeboten stehen psychisch belastete Migrant:innen vor weiteren erheblichen Herausforderungen. Dazu zählen Sprachbarrieren, belastende bis traumatische Lebensgeschichten geprägt von Armut, Flucht und Vertreibung, kulturelle Hürden sowie oft unmenschliche Unterbringungsbedingungen.  Es ist wichtig das anzuerkennen. Gleichwohl lässt sich kaum abstreiten, dass ein Mangel an Psychotherapieplätzen für die gesamte Bevölkerung besteht – unabhängig von Herkunft oder Hintergrund.

Stigmatisierung und das Anlegen von Rastern wird diese Problematik nicht lösen, wenn überhaupt sogar verschärfen: „Es gibt keine Belege, dass Einträge in Polizeidatenbanken Gewalt verhindern. Die Fehlerquote ist potenziell hoch, viele Einträge basieren auf Einzelsituationen oder subjektiven Einschätzungen. Oft fehlen fundierte Diagnosen oder Risikobewertungen“, betont Elisabeth Dallüge aus dem Bundesvorstand der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV). Wir sollten uns also darauf konzentrieren, welche Lösungen die Parteiprogramme für eine bessere psychotherapeutische Versorgung bieten. Was tun die Parteien also für die Psyche, um diesem umfassenden strukturellen Defizit an Psychotherapieangeboten entgegenzuwirken?

Was die Union für die Pysche tun will:

Wenn man sich das Wahlprogramm der Union näher ansieht, wird schnell klar, dass eine Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung hier nicht im Fokus steht. Die Union fordert zwar „ein umfassendes Suizidpräventionsgesetz“ (S.70), nennt in ihrem 82-Seiten zählenden Wahlprogramm aber sonst nur einen Punkt, der sich konkret mit der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland beschäftigt: „Wir wollen die ambulanten und stationären Versorgungsangebote für psychische Erkrankungen bedarfsgerecht verbessern, insbesondere für Kinder und Jugendliche.“ (S.68)

Natürlich könnte man die Frage, was die Politik für die Psyche tut, weiterfassen und argumentieren, dass die Union z.B. auch „Apotheken stärken und erhalten“ (S.61) in ihrem Wahlprogramm stehen hat, was wiederum wichtig für Menschen ist, die auf Psychopharmaka angewiesen sind. Dann müsste ich allerdings auch bei den Grünen die Maßnahmen für Klimaschutz nennen (Klimaangst – it`s a thing!) oder bei dem Bündnis Sarah Wagenknecht erwähnen, dass es „ein kostenloses, gesundes Mittagessen in Kitas und Schulen“ (S.31) fordert. Das hängt nämlich auch alles direkt oder indirekt mit der psychischen Gesundheit zusammen, ist aber nicht stichhaltig genug und lässt Konkretheit vermissen. Also auf zu klareren Ufern!

Was das BSW für die PsYche tun will:

„Psychotherapie“ wird bei dem BSW in einem sehr langen Satz erwähnt, man hat allerdings ziemlich Schwierigkeiten überhaupt zu verstehen, um was es da jetzt konkret gehen soll:

„Prävention, alternative Behandlungsformen, Psychotherapie und die schlichte menschliche Betreuung kommen unter die Räder zugunsten einer immer teureren „Reparaturmedizin“, der Bevorzugung von eingriffsbezogenen Diagnosen und der Behandlung von Akuterkrankungen zuungunsten von chronischen Mehrfacherkrankungen. Diese Fehlanreize müssen überwunden werden.“ (S.27)

Dafür wird das BSW an anderer Stelle verständlicher, wenn es die Entlastung von Lehrkräften durch Schulpsychologen vorschlägt (S.25) und an anderer Stelle klarstellt: „Wir wollen mehr Medizinstudienplätze und Ausbildungsplätze für Psychotherapeuten schaffen, …“. (S.27).

Tatsächlich ist bis heute die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildungsplätze nicht geklärt und trotz anhaltenden Engagements der Berufsverbände und der Studierenden, weiß der Nachwuchs derzeit nicht wie und ob sie überhaupt Psychotherapeut:innen werden können. Die „Psychologen Fachschaften Konferenz“ (= Psyfako) postuliert auf ihrer Homepage:

„Die ersten Jahrgänge haben den neuen Master Klinische Psychologie und Psychotherapie abgeschlossen ohne Aussicht auf einen Weiterbildungsplatz. Wie es für uns weitergeht ist jedoch aktuell noch völlig unklar, unsere Zukunft ist kaum planbar. Die Finanzierung der ambulanten, stationären und institutionellen Weiterbildung ist bisher (Stand Februar 2025) nicht gesichert und erfordert jetzt gesetzliche Regelungen.“ Mehr Ausbildungsplätze sind also dringend nötig!

Was die Linke für die PsYche tun will:

Dieses Anliegen greift die Linke in ihrem Wahlprogramm auf und fordert: „Die Ausbildungskosten für zukünftige Psychotherapeut*innen müssen gedeckelt werden. Psychotherapeut*innen in Ausbildung müssen einen Beschäftigungsstatus erhalten, der ihre Einbindung in Tarifstrukturen erlaubt. Die Finanzierung der Ausbildung durch die Weiterbildungsstätten muss gesetzlich geregelt werden.“

Weiterführend fordert sie einen Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung, insbesondere für Kinder- und Jugendliche, eine Reform der Bedarfsplanung für psychotherapeutische Kassensitze nach realem Bedarf und eine unbürokratische Kostenübernahme für Psychotherapien bei fehlenden Kassensitzen. Auch setzt sich die Linke für präventive Maßnahmen ein, die in allen politischen Bereichen eine Rolle spielen müssen („Mental health in all policies“), lässt hier allerdings offen, was genau sie damit meint.

Was die Grünen für die PsYche tun wollen:

Die Grünen denken wie das BSW auch an Schulen, legen den Fokus jedoch auf „Mental Health Coaches“, Gruppenangebote und die Finanzierung von Anlaufstellen wie die „Nummer gegen Kummer“ (S.85). Auf Seite 95 ihres Wahlprogramms setzen sie sich, im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit, „mehr Hilfen und weniger Stigma“ zum Ziel. Sie streben ein Suizidpräventionsgesetz an und wollen „Forschung, Therapie und Gesundheitsbildung“ fördern.

„Alle Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche, sollen im Bedarfsfall niedrigschwellige Zugänge zu passgenauen psychosozialen und therapeutischen Angeboten haben. Deswegen werden wir Therapieplätze und psychiatrisch-psychosoziale Krisendienste bedarfsgerecht ausbauen sowie die Bedarfsplanung für psychotherapeutische Angebote modernisieren. Dabei nehmen wir besonders Kinder und Jugendliche in den Blick. Wir wollen die angemessene Finanzierung der Weiterbildung von Psychotherapeut*innen sicherstellen. Die psychiatrische Versorgung werden wir sektorübergreifend stärken. Wir setzen uns für eine gemeindenahe, menschenrechts-basierte Versorgung ein – mit dem Ziel, Zwangsmaßnahmen zu vermeiden.“ (S.94) Insgesamt heben die Grünen an unterschiedlichen Stellen (z.B. Mobbing, Arbeitswelt) seelische Gesundheit als Grundlage für Lebensqualität und körperliche Gesundheit hervor.

Was die FDP für die Psyche tun will

Die FDP möchte psychische Gesundheit durch Entstigmatisierung und niedrigschwellige, digitale Angebote fördern. Auch wird eine verbesserte psychotherapeutische Versorgung angestrebt, mit dem Ziel, die Wartezeit auf unter vier Wochen zu verkürzen. Übergangsweise soll das Kostenerstattungsverfahren unbürokratischer und standardisierter gestaltet werden.

Was die SPD für die Psyche tun will

Die SPD verschreibt sich in ihrem Wahlprogramm der Prävention psychischer Erkrankungen und der Verbesserung der Rehabilitation und Teilhabe für Betroffene. Sie formuliert: „Für junge Menschen in psychisch schwierigen Lebenslagen streben wir bundesweit niedrigschwellige, auch digitale Beratungsangebote an. Wir arbeiten weiter konsequent daran, dass alle Menschen, die eine Psychotherapie benötigen, zügig einen Therapieplatz erhalten“ (S.30). Auch möchte sie psychische Belastungen am Arbeitsplatz „stärker in den Blick nehmen“, was auch immer das bedeuten mag (S.13).

AfD will nichts für die Psyche tun

Jetzt fehlt noch die AfD. Wir dürfen nicht vergessen, es geht in diesem Artikel darum, was die Parteien für die Psyche tun. Und nicht dagegen. Halten wir es kurz: Für die Psyche tut sie nichts.

Und zum Abschluss noch einmal zurück zu dem Vorschlag Linnemanns ein Raster für Menschen mit psychischen Erkrankungen einzuführen, mit dem Ziel schwere Straftaten in Zukunft zu vermeiden: Durch eine angemessene, rechtzeitige und kontinuierliche psychiatrische Behandlung, kann das (sowieso nicht besonders erhöhte) Risiko gefährlicher Straftaten mit großer Wahrscheinlichkeit auf ein Minimum verringert werden (Finzen, 2013).

Viel sinnvoller wäre eine bedarfsgerechte psychotherapeutische Versorgung in Kombination mit einer breit angelegten Kampagne zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen, die Diskriminierung sowie Vorurteilen entgegenwirkt. Gebhard Hentschel, der Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung stellt klar:

„Ein Zentralregister mit psychisch Erkrankten löst keine Probleme, sondern schafft neue. Statt stigmatisierender Register, die auf Verdacht und Unsicherheit basieren, brauchen wir individualisierte Risikoanalysen und frühzeitige Interventionen. Kriseninterventionsteams, Therapie und soziale Begleitung können dazu beitragen Eskalationen zu verhindern.“ Denn, und hier leihe ich mir die Worte von Asmus Finzen aus: Auch Menschen mit psychischer Erkrankung haben ein Recht darauf, »in Würde und in Freiheit unter uns zu leben« (Finzen, S.92, 2023). Das sollte im 21. Jahrhundert eigentlich selbstverständlich sein. Und das bedeutet: psychotherapeutische Versorgung statt Stigmatisierung.

Nike Hilber ist psychologische Psychotherapeutin, arbeitet als tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin in einer Praxis und ist wissenschafts-journalistisch auf Instagram als @la_psychologista aktiv. Am 02.04.2025 erscheint ihr Buch „Psychotherapie ohne Fachgedöns“ im Kösel-Verlag. Artikelbild: Daniel Karmann/dpa

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