Tierische Intelligenz: Unterschätzt und ignoriert: Laufvögel sind doch keine Spatzenhirne

Krähen sind clever, das ist bekannt. Doch was kann die flugunfähige Verwandtschaft? In einer Pionierstudie entpuppen sich Emus als Blitzmerker und ein Nandu als geborener Ingenieur

Feb 20, 2025 - 17:10
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Tierische Intelligenz: Unterschätzt und ignoriert: Laufvögel sind doch keine Spatzenhirne

Krähen sind clever, das ist bekannt. Doch was kann die flugunfähige Verwandtschaft? In einer Pionierstudie entpuppen sich Emus als Blitzmerker und ein Nandu als geborener Ingenieur

Einst wurden Vögel in der Verhaltensforschung als unterbelichtet abgetan – unter anderem, weil ihr kleines Hirn anders tickt als das unsere. Anstelle jener geschichteten Großhirnrinde, die uns zu geistigen Höchstleistungen befähigt, besitzen sie nur ein glattes Pallium. Doch aus jenen Nervenzellen, die ihnen gegeben sind, holen die Vögel das Maximum heraus: Ihre Neuronen sind dicht gepackt, gut vernetzt und leisten beeindruckende Denkarbeit. Insbesondere Rabenvögel und Papageien gelten inzwischen als gefiederte Genies, die selbst komplizierteste Futterboxen knacken, die Absichten ihrer Artgenossen durchschauen und dieses Wissen strategisch nutzen. 

Nur den großen Laufvögeln wie Emus, Straußen und Nandus hängt hartnäckig der Ruf des Spatzenhirns an. Zwar zählen ihre Gehirne zu den größten der Vogelwelt. Doch das liegt allein an ihrer stattlichen Erscheinung. Betrachtet man das Verhältnis von Hirnmasse zu Körpergewicht, rutschen sie ganz ans Ende der Rangliste. Ein durchschnittlicher Strauß wiegt 120 Kilogramm und wird von einem 40 Gramm schweren Denkorgan gesteuert, das leichter ist als einer seiner Augäpfel. Auch was Größe, Komplexität und neuronale Aktivität des Palliums angeht, hinken Laufvögel der fliegenden Verwandtschaft hinterher.  

Als der kanadische Verhaltensbiologe Louis Lefebvre vor 20 Jahren eine Rangliste der cleversten Vogelarten aufstellte, kürte er den Emu zum dümmsten aller Vögel. Dabei finden sich in der Fachliteratur kaum Versuche zur geistigen Leistungsfähigkeit großer Laufvögel. Dem entgegen steht eine Fülle an Experimenten mit Rabenvögeln und Papageien. Auch Tauben, Möwen und Raubvögel erfreuen sich zunehmender Aufmerksamkeit. "Je mehr wir dieselbe Spezies wiederholt untersuchen, desto mehr schaffen wir eine Echokammer des Wissens und erwecken den falschen Eindruck, dass andere Spezies weniger 'intelligent' sind, obwohl sie in Wirklichkeit nicht auf demselben Niveau untersucht wurden", sagt Fay Clark, Verhaltensbiologin an der Universität Bristol in Großbritannien. Womöglich sind Strauße und Emus nicht blöd, sondern nur von der Forschung vernachlässigt worden.

Glücksrad für Vögel: Der Nandu hat die vordere Scheibe so weit gedreht, dass er sich ein Salatblatt aus der dahinter liegenden Futterkammer holen kann
Glücksrad für Vögel: Der Nandu hat die vordere Scheibe so weit gedreht, dass er sich ein Salatblatt aus der dahinter liegenden Futterkammer holen kann
© Fay Clark

Fay und ihr Team traten an, um diesen Mangel zu beheben. Dazu testeten sie vier Strauße, drei Emus und zwei Nandus im örtlichen Zoo auf ihre Fähigkeit, innovative Lösungen für ein Problem zu finden. Der Versuchsaufbau bestand aus zwei durchsichtigen Plexiglasscheiben, hintereinander montiert. Die hintere Scheibe besaß fünf kreisförmig angeordnete Futterkammern, die mit Salatblättern gefüllt wurden. Die andere Scheibe war davor montiert und besaß eine kreisrunde Öffnung. Sie galt es vor eine der Futterkammern zu drehen, um an den Salat zu gelangen. 

Nun wurden die Vögel auf den Apparat losgelassen. Die Emus brauchten einige Durchgänge, bis sie lernten, die Scheibe durch Picken und Beißen in die richtige Position zu manövrieren. Als sie das Prinzip verstanden hatten, wählten sie zuverlässig jene Drehrichtung, die schneller zum Erfolg führte. Ein Nandu ignorierte die Scheibe konsequent. Dem zweiten Nandu gelang es gleich im ersten Versuch, den kompletten Apparat zu zerlegen. Er biss in den Drehbolzen, der die Scheiben verband, und drehte seinen Kopf so lange hin und her, bis sich ber Bolzen löste. Nach zwei solchen Akten des Vandalismus lernte er, die vordere Scheibe zu drehen, und ließ den Bolzen fortan in Ruhe. Nur den vier Straußen gelang es kein einziges Mal, sich den Salat zu sichern. Vielleicht sind die Vorurteile bezüglich ihrer mangelnden Intelligenz also gerechtfertigt. Vielleicht handelte es sich bei der Straußenmutter und ihren drei erwachsenen Kindern aber auch nur um besonders unambitionierte Vertreter ihrer Art.

Die Forschenden werten das Verhalten der erfolgreichen Vögel als Innovation: Sie waren in der Lage, neue Verhaltensweisen zu entwickeln oder bekannte Verhaltensweisen einzusetzen, um ein unbekanntes Problem zu lösen. Aber: "Ihr innovatives Verhalten ging eher aus simplem Ausprobieren hervor als aus kausalen Schlussfolgerungen", schreiben die Forschenden in dem Fachblatt "Scientific Reports". Damit steigen sie nicht in die Sphären von Krähen und Papageien auf. Auch der direkte Vergleich zu anderen Experimenten ist schwierig. Normalerweise demonstrieren Vögel ihre Fähigkeiten als Problemlöser, indem sie Futter mit verschiedenen Hilfsmitteln aus einer durchsichtigen Box friemeln. Eine solche Box existiert jedoch nicht im Straußenformat. Im nächsten Schritt müssten sich also andere Vogelarten an der Drehscheibe beweisen. 

Interessant sind die geistigen Fähigkeiten von Emus, Straußen und Nandus auch deshalb, weil sie als Urkiefervögel die nächsten lebenden Verwandten der Dinosaurier sind. "Je intensiver wir Urkiefervögel studieren, desto eher erschließt sich ein Gesamtbild der Vogelkognition", sagt Fay Clark. "Die Forschung könnte sogar Aufschluss darüber geben, wie sich die Dinosaurier verhalten haben."