Sexualität : Die Biologie der Frühlingsgefühle - was der Lenz in unserem Körper weckt

Licht und Luft im Frühjahr heben die Stimmung, sorgen für Energie und wecken die Lust auf einen Flirt. Gibt es Frühlingsgefühle wirklich?  

Mär 7, 2025 - 17:15
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Sexualität : Die Biologie der Frühlingsgefühle - was der Lenz in unserem Körper weckt

Licht und Luft im Frühjahr heben die Stimmung, sorgen für Energie und wecken die Lust auf einen Flirt. Gibt es Frühlingsgefühle wirklich?  

Alle Jahre das gleiche Schauspiel. Man staunt: Plötzlich liegt da etwas in der Luft, da ist Licht, Vogelgezwitscher und ungeahnte Gerüche. Und man selbst? Verspürt neue Lebensenergie, wie von Zauberhand. Man öffnet die dunkle, schwere Jacke, denn mit einem Mal ist sie zu warm. Man staunt, weil man an der Hamburger "Alsterperle" bei ansonsten zugeknöpften Hanseaten Haut erblickt. Da stehen wirklich Männer in Shorts! Fremde Menschen lächeln einem flanierend zu, wollen die flirten? Eine tirilierende Stimmung ergreift die Stadt, selbst wenn man an der Supermarktkasse oder am Gemüseregal steht. 

Man selbst hält das entwöhnte Gesicht in die Sonne und denkt: Sorgen? Welche Sorgen? Dichter beschrieben den Aufbruch nach dem kargen und langen Winter als Lenz und dessen sprießende Gefühle. Novalis jauchzte, dass sich die Wiese grün färbt. Sein Kollege Theodor Fontane sah den Frühling in "grünem Knospenschuh" nahen und für den saisonalen Wechsel fand er folgende Verse: O schüttle ab den schweren Traum und die lange Winterruh′, es wagt es der alte Apfelbaum, Herze, wag′ s auch du!

Noch schöner fasst der Dichter Eduard Mörike das Treiben in der Natur zusammen: Frühling lässt sein blaues Band/Wieder flattern durch die Lüfte/ Süße, wohlbekannte Düfte/Streifen ahnungsvoll das Land.

Licht weckt die Lebensgeister und die Lust auf einen Flirt 

Chronomediziner sind da sachlicher. Und können doch die Existenz von Frühlingsgefühlen wissenschaftlich bestätigen. Sie haben Erklärungen für das, was in unserem Körper passiert und einen merklichen Stimmungs- und Verhaltenswechsel bewirkt: Es ist vor allem das Mehr an Licht, das Frühlingsgefühle und die Lust auf einen Flirt weckt. 

Trifft in den Morgenstunden mehr Licht auf Rezeptoren in unserem Auge, wird gleich einer Billardkugel eine Kaskade an hormonellen Auswirkungen über die Zirbeldrüse in unserem Gehirn angestoßen. Diese wirkt auf den Melatoninstoffwechsel, konkret die Hypothalamus-Hypophysen-Keimdrüsen-Achse. Die Produktion von Melatonin, einem Schlafhormon, wird gedrosselt. Gleichzeitig werden Sexualhormone wie Testosteron und Östradiol vermehrt ausgeschüttet. Das macht uns munter und versetzt uns in Flirtlaune. Wir fühlen uns besser. Und haben mehr Lust auf Sex. Ein betörender Blick, eine flüchtige Berührung - all das bringt die Fantasie im Frühjahr leichter ins Lodern. Das Gehirn geht auf erotische Reise, beschwört Bilder und Fantasien herauf. 

Der Lenz wirkt wie eine Sprungfeder 

Evolutionsbiologisch ergeben diese Wirkungen Sinn, denn sie sichern die Erhaltung der Art. Die Sexualhormone lassen nicht nur das Tierreich auf Balz gehen. Männer schreiten plötzlich aufrechter und machen sich größer, federn durch Straßen und Büroflure. Manche Forschende betonen den etymologischen Zusammenhang mit dem englischen Wort für den Frühling: Spring. Was eben auch Sprungfeder bedeuten kann. Die ungewohnte Wärme tut ihr Übriges: Man trägt weniger Kleidung. Für Männer gilt die saisonal aufputschende Wirkung durch das Sexualhormon Testosteron als gesichert, den viel beschworenen Scharfmacher. 

Bei den Frauen ist der Zusammenhang von Frühlingsgefühlen und Sexualhormonen unter Forschenden umstritten. Vor allem die bessere Stimmungslage wird bei ihnen mit der größeren erotischen Aufgeschlossenheit für neue Bekanntschaften in Verbindung gebracht. Doch auch wenn der Einfluss der Sexualhormone womöglich unterschiedlich auf die Geschlechter wirkt: Endokrinologen und Andrologen sehen die intensivierte  Achse vom Gehirn zu den Geschlechtsorganen und den Keimdrüsen als gesichertes jahreszeitliches Phänomen.  

Auch der Serotoninstoffwechsel wird durch das Mehr an Tageslicht angekurbelt. Durch die vermehrte Ausschüttung des Glückshormons Serotonin haben viele im Frühling mehr Zuversicht und Leichtigkeit, spüren wieder die Energie, die es braucht, um sich aus der winterlichen Trübsal herauszuarbeiten.

Insgesamt aber ist der Frühling wohl ein synästhetisches Gesamtkunstwerk. Denn da ist nicht nur mehr Licht, da öffnen sich auch die ersten Blüten, ihre Farben dahingetupft in den Beeten. Da ist das überraschend lautstarke Gezwitscher der Vögel, die aus dem Winter erwachen. Duftstoffe liegen in der jetzt milderen Luft und locken Tiere und Menschen. 

Fast alle zieht es hinaus aus ihrem Bau. Und dieses Mehr an Licht, Farbe, Bewegung und Unternehmungslust sorgt für eine positive Spirale - psychologisch setzt eine Aufwärtsbewegung ein. Das Ganze geht solange gut, bis die Schattenseiten des Frühjahrs sich melden. Manche klagen über Frühjahrsmüdigkeit oder reagieren allergisch auf Frühblüher. 

Doch davon lassen wir unsere frisch erwachte Freude nicht trüben. Für das Wochenende sind viel Sonne und steigende Temperaturen angesagt. Die ersten Eisdielen öffnen, Parks und ihre Bänke füllen sich. Also: hinaus!  Der Lenz ist da.