„Selbst-adaptive, KI-gestützte Lernsysteme“ – So geht schwarz-rote Bildung!

Für Union und SPD sind Forschung und Innovation der „Schlüssel für die Zukunft“. Groß raus kommt in ihrem Koalitionsvertrag vor allem „Hightech“, von KI, über Raumfahrt bis hin zum „Hyperloop“. Für den Griff nach den Sternen pimpt man eigens ein Ministerium auf und schiebt „Bildung“ ab – ins Familienressort. Ins Bild passt auch die kommendeWeiterlesen

Apr 14, 2025 - 12:29
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„Selbst-adaptive, KI-gestützte Lernsysteme“ – So geht schwarz-rote Bildung!

Für Union und SPD sind Forschung und Innovation der „Schlüssel für die Zukunft“. Groß raus kommt in ihrem Koalitionsvertrag vor allem „Hightech“, von KI, über Raumfahrt bis hin zum „Hyperloop“. Für den Griff nach den Sternen pimpt man eigens ein Ministerium auf und schiebt „Bildung“ ab – ins Familienressort. Ins Bild passt auch die kommende Hausherrin: Die visionäre „Doro“ aus Bayern, bereit zum Schuss auf den Mond, mit Flugtaxi der Marke Pleitegeier. Den maroden Schulen und Unis blühen Milliarden aus dem Schuldentopf und das altbekannte Herumdoktern an Symptomen. Natürlich kommt auch Big Brother auf seine Kosten. Von Ralf Wurzbacher.

Union und SPD „wollen Deutschland fit machen und Bildung, Forschung und Innovation einen größeren Stellenwert in unserem Land geben“. So steht es im Koalitionsvertrag der ziemlich sicher kommenden Regierungsparteien. Inhalts- bis wortgleiche Bekenntnisse hatten davor schon etliche Regierungsbündnisse abgegeben, mehrmals auch solche in schwarz-roter Zusammensetzung. Umgesetzt wurde von den hehren Vorsätzen stets eher wenig bis gar nichts. Aufbruch für und durch Bildung zu beschwören, ist seit Jahrzehnten ein Renner bei Sonntagsreden. Aber montags drauf ist der Eifer wie auf Knopfdruck erlahmt.

Geht es nach dem Muster weiter? Abwarten und den Protagonisten auch diesmal eine Chance geben. Das gebührt die Fairness. Knapp zehn Seiten umfasst das zugehörige Kapitel im Vertragsentwurf, der noch von den Parteigremien zu beschließen ist, bei der SPD per Mitgliederentscheid. Dass die Partei bei der Besetzung des Bildungs- und Forschungsministeriums absehbar nicht zum Zuge kommen wird, dürfte die Genossen schmerzen, aber gewiss nicht zur Ablehnung des „Gesamtkunstwerks“ verleiten.

Denn das immerhin wird anders bei der neuen, alten GroKo: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat nach 27 Jahren ausgedient und wird zum „Ministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt“ aufgepimpt. Und wo bleibt die „Bildung“? Die soll ins Familienressort umziehen, das künftig unter dem Namen „Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ firmieren wird. Noch nicht ganz klar ist, wo die „Hochschulen“ landen werden, und Kritiker wie der Deutsche Hochschulverband (DHV) melden sich bereits zu Wort, die vor einer Trennung von Forschung und Lehre warnen. „Sie sind gerade für Universitäten konstitutiv und damit zwei Seiten einer Medaille“, meint Präsident Lambert Koch und sieht die Gefahr von „Reibungsverlusten und Prozessverlängerungen“.

Hauptsache „innovativ“

Aber vielleicht ist der Verbandschef nur schlecht informiert. Jedenfalls hat der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda aus „Verhandlerkreisen“ aufgeschnappt, „dass die Hochschulen als Ganzes im Forschungsministerium angesiedelt bleiben sollen“. Was wiederum hieße, die Belange der Alma Mater, speziell auch die von Studierenden, hätten künftig nichts mehr mit „Bildung“ zu tun. Wo doch die Politik so gerne von „lebenslangem Lernen“ palavert und davon, die „ganze Bildungskette“ im Blick zu haben, von Kitas über Schulen, berufliche Ausbildung, Weiterbildung bis zu höherer Bildung. Jetzt schickt man sich an, die Kette, zumindest verwaltungstechnisch, aufzubrechen und die Glieder auf zwei Häuser zu verteilen. Das kann man gewagt nennen. Oder ist es einfach nur innovativ?

So jedenfalls wird man die Sache verkaufen. Schließlich ist „Innovation“ ein zentraler Leitbegriff der Koalitionäre in spe. Unter dem Druck der Wirtschaftsflaute, der Rückständigkeit in wichtigen Technologiefeldern und einer auf Handelskrieg erpichten US-Regierung muss sich die Republik „umfassend erneuern“, lautet die Erzählung. Dabei baut man auf möglichst entfesselte Unternehmen und die Förderung von Wissenschaftlern und Talenten, die man im Rahmen eines „1.000-Köpfe-Programms“ auch und vor allem aus den USA abwerben möchte. „In unsicheren Zeiten soll Deutschland zum sicheren Hafen für Forscherinnen und Forscher, Investoren und Unternehmerinnen und Unternehmer aus aller Welt werden“, heißt es dazu in der Präambel des Koalitionsvertrags.

Rohrpost für Menschen

Für all das braucht es dann eben auch ein voll auf „Innovation“ geeichtes „Forschungsministerium“. Aus dem heraus sollen im Rahmen einer „Hightech-Agenda für Deutschland“ insbesondere die als „Schlüsseltechnologien“ identifizierten Bereiche „Künstliche Intelligenz“, „Quantentechnologie“, „Mikroelektronik“, „Biotechnologie“, „klimaneutrale Energieerzeugung“ und „klimaneutrale Mobilität“ gefördert werden. Dazu kommen selbstverständlich noch „Sicherheits- und Verteidigungsforschung sowie Dual-Use“. Zitat: „Wir (…) schaffen „eine Förderkulisse für Sicherheits- und Verteidigungsforschung einschließlich Cybersicherheit und sicherer Infrastrukturen, um Kooperationen von Hochschulen und außeruniversitärer Forschung mit Bundeswehr und Unternehmen gezielter zu ermöglichen“.

Mit einer „Offensive für Luft- und Raumfahrt“ bringe man ferner „Spitzenforschung und Kommerzialisierung erfolgreich zusammen“. Und: „Wir errichten eine Nationale Hyperloop Referenzstrecke.“ Als Standort ist Hamburg im Gespräch, und das Fernziel wäre eine Art „Rohrpost für Menschen“, die per Superschnellzug mit 1.000 Sachen durch eine Vakuumröhre schießen. Da werden Erinnerungen an den Transrapid wach – ein Technodesaster par excellence.

Das alles wird ohne Frage teuer, und wo die Mittel dafür hergenommen werden, ist völlig offen. Eine Kalkulation zu den einzelnen Projekten haben sich die Verhandler verkniffen, zumal sämtliche „Maßnahmen des Koalitionsvertrags“ unter „Finanzierungsvorbehalt“ stehen. Allerdings ist absehbar, dass für den ganzen Technologie-Bumms das Geld lockerer sitzen wird als etwa für Programme zur Sprachförderung oder zur Gewinnung von Lehrkräften. Bei Bedarf bliebe ja immer auch der Rückgriff auf das per Grundgesetzänderung ermöglichte billionenschwere Schuldenpaket zwecks Aufrüstung. Davon lässt sich bestimmt auch etwas in die Forschungsabteilungen der Hochschulen und außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen schleusen. Daneben ist es der ausdrückliche Wille von der Union und SPD, reichlich private Investoren für die Umsetzung der Großprojekte der „Hightech-Agenda“ an Land zu ziehen. Schon deshalb darf man gewiss sein: Die Bande zwischen Hochschulen und staatlichen Forschungsinstituten auf der einen und Industrieinteressen auf der anderen Seite werden unter Schwarz-Rot noch enger werden.

Science-Fiction mit „Doro“

Dafür steht auch der Name Dorothee Bär, die als sichere Kandidatin für den Chefsessel im Forschungsministerium gilt. Die im Ruf einer „Visionärin“ stehende CSU-Frau ist gerne abgehoben unterwegs. Schon 2018 warb sie als „Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung“ für Flugtaxis und sagte deren Einsatz hierzulande für 2025 voraus. Inzwischen stecken alle drei deutschen Entwickler – Lilium, Airbus, Volocopter – in einer ernsten Finanz- und Schaffenskrise, und bis zum Regelbetrieb könnten mithin noch Äonen vergehen.

Vielsagend auch: Bärs Steckenpferd, das „Digitale“, soll in ihrem Haus gar nicht vertreten sein. Dafür wird dem Vernehmen nach eigens ein „Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung“ ins Leben gerufen. Also muss die 47-Jährige wohl noch rasch umschulen. Jedenfalls stellte der Journalist Wiarda die Frage: „Wer außerhalb Bayerns und außer der CSU und Doro Bär hätte etwas davon, wenn eine Frau für Forschung zuständig würde, die bislang kaum bis gar nicht als Forschungspolitikerin in Erscheinung getreten ist?“ An diesem Punkt bleiben die neuen Regenten der Linie ihrer Vorgänger jedenfalls treu: Bei der Besetzung von Spitzenämtern spielen Qualifikation und Kompetenz keine vordringliche Rolle, dafür die Anbahnung von Klientelpolitik.

Hochschulpolitisch dürfte es unter Bär wie gehabt elitär zugehen. Durch Festhalten an der „Exzellenzstrategie“ (ehemals „Exzellenzinitiative zur Förderung von Spitzenforschung“) wird die Aufspaltung der Hochschullandschaft in wenige Leuchttürme und viele Massenuniversitäten weiter vorangetrieben. Über eine Fortsetzung des Bund-Länder-Programms über 2030 hinaus soll nach einer Evaluierung entschieden werden. Zu begrüßen ist, dass der „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ (ehemals „Hochschulpakt“) über 2028 hinaus dynamisiert werden soll. Mit den fraglichen Geldern werden „zusätzliche“ Studienplätze finanziert, um dem seit 20 Jahren anhaltenden Run auf die Hochschulen zu begegnen. Allerdings sind die so neu geschaffenen Kapazitäten deutlich unterfinanziert, wodurch die Pro-Kopf-Ausgaben je Hochschüler sukzessive zurückgegangen sind. Die überfällige Stärkung der Grundfinanzierung der Hochschulen in der Breite zugunsten besserer Studienbedingungen und Betreuungsverhältnisse zwischen Lehrenden und Lernenden hat Schwarz-Rot nicht im Sinn. Stattdessen setzt man weiter auf Einzelprogramme, bevorzugt mit Wettbewerbscharakter.

Hängepartie beim BAföG

Hoffnung macht die Ankündigung, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) „bis Mitte 2026 zu novellieren“. Dieses bildet die Grundlage für das grassierende Befristungsunwesen unter den Hochschulbeschäftigten, Stichwort: akademisches Prekariat. Die abgewählte Ampelregierung hatte eine Novellierung auf den letzten Metern verbockt. Nun werden als Reformziele „Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion“ sowie die Ausweitung von „Schutzklauseln auf Drittmittelbefristungen“ angestrebt. Was dagegen bleiben soll, ist die sogenannte Tarifsperre, die es den Gewerkschaften untersagt, vom Gesetz abweichende Befristungsregelungen auszuhandeln. In einem ersten Vertragsentwurf war die Aussage zur Aufhebung der Klausel noch als strittig gekennzeichnet, wurde schließlich auf Betreiben der Union aber gestrichen.

Auf einen ebenfalls überfälligen Nachschlag bei der Bundesausbildungsförderung (BAföG) muss noch lange gewartet werden. Man wolle das Gesetz „in einer großen Novelle modernisieren“, heißt es, und die Ankündigung, die Bedarfssätze auf das Niveau des Bürgergeldes anzuheben, klingt durchaus vielversprechend. Allerdings soll die Anpassung „hälftig“ in zwei Schritten erfolgen, der erste zum Wintersemester 2027/28, der zweite noch ein Jahr später. Damit werde nach der unzureichenden Novelle vom Herbst 2024 „eine ganze Bachelor-Generation mit Nullrunden abgespeist“, moniert das Deutsche Studierendenwerk (DSW). „Studierende sind jetzt arm, nicht erst in drei Jahren“, bemängeln Studierendenvertreter. Zu kurz greift auch die geplante Erhöhung der BAföG-Wohnpauschale von 380 Euro auf 440 Euro zum Wintersemsester 2026/27. Das Geld reicht in der Mehrheit der Hochschulstädte nicht einmal zur Finanzierung eines WG-Zimmers. Verbände fordern seit langem, den Satz flexibel an der örtlichen Vergleichsmiete auszurichten. Daraus wird offenbar nichts.

Ende des Sanierungsstaus?

Dagegen könnte sich in puncto Sanierungsstau nach Jahrzehnten der Verwahrlosung endlich etwas tun. Sowohl für die Schulen als auch die Hochschulen kündigen Union und SPD ein Investitionsprogramm an. Für Letztere versprechen sie recht konkret eine „Schnellbauinitiative von Bund und Ländern zur Modernisierung, energetischen Sanierung und digitalen Ertüchtigung von Hochschulen und Universitätskliniken, inklusive Mensen und Cafeterien“. Bezahlt werden soll das aus dem Schuldenpaket zur Ertüchtigung der maroden Infrastruktur im Umfang von 500 Milliarden Euro.

Als erste Anwärterin auf den Chefposten im künftigen Bildungs- und Familienministerium wird die CDU-Bundestagsabgeordnete Silvia Breher gehandelt. Mit ihr wird es keine „Kindergrundsicherung“ geben. Das zentrale sozialpolitische Projekt der Ampel, auf Betreiben der FDP zuletzt bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft, taucht im Koalitionsvertrag nicht einmal mehr namentlich auf. Dafür sind darin andere Vorhaben aufgeführt, mit denen man der allgemeinen Bildungsmisere im frühkindlichen und schulischen Bereich beikommen will. Die verbreiteten Defizite bei der sprachlichen, kognitiven und sozialen Entwicklung Heranwachsender sind zwar offensichtlich, gleichwohl wollen sich die kommenden Regierungspartner zunächst eine „Sehhilfe“ zulegen. Dazu will man relevante und messbare Bildungsziele mit den Bundesländern vereinbaren und eine „datengestützte Schulentwicklung und ein Bildungsverlaufsregister“ schaffen.

Ferner unterstütze man die Einführung einer „kompatiblen datenschutzkonformen Schüler-ID“ und ermögliche die „Verknüpfung mit der Bürger-ID“. Big Brother führt noch mehr im Schilde. Während etliche Länder weltweit längst den schulpolitischen Rückzug zum Analogen angetreten haben, will Schwarz-Rot per „Digitalpakt 2.0“ die digitale Infrastruktur ausbauen, „bedürftige Kinder“ mit digitalen Endgeräten ausstatten, „selbst-adaptive, KI-gestützte Lernsysteme sowie digitalgestützte Vertretungskonzepte“ und „eine digitalisierungsbezogene Schul- und Unterrichtsentwicklung“ voranbringen. Und dann aber noch das: „Die Auswirkungen von Bildschirmzeit und Social-Media-Nutzung bewerten wir schnellstmöglich wissenschaftlich und erarbeiten ein Maßnahmenpaket zur Stärkung von Gesundheits- und Jugendmedienschutz.“ Bis dahin ist das Kind ganz sicher im Brunnen ersoffen …

Propaganda stärken

Ob all die Instrumente zum erklärten Ziel führen, die Zahl der Grundschulkinder, die die Mindeststandards im Lesen, Schreiben und Rechnen nicht erreichen, und der Jugendlichen ohne Schulabschluss „deutlich“ zu reduzieren, sei dahingestellt. Auch hierbei sucht man sein Heil in Einzelmaßnahmen, indem man etwa das „Startchancen-Programm“ auf mehr Schulen ausweitet. Dieses richtet sich speziell an Einrichtungen in sozialen Brennpunkten und adressiert bisher bloß zehn Prozent aller Schüler. Leistungsabfälle bescheinigen diverse Bildungsstudien aber praktisch dem gesamten Schulsystem.

Warum also nicht doch die Gießkanne rausholen und über die Breite Geld verteilen? Ach was, „Gießkanne ist schlecht“, tönen demnächst die schwarz-roten Regenten – außer beim Aufrüsten. Und damit die Sache mit der Kriegsertüchtigung bald auch alle begreifen, stärken sie über die gesamte Bildungskette „Demokratiebildung, Medien- und Nachrichtenkompetenz“. Von „Bildung“ zu Gehirnwäsche ist es mithin nicht weit.

Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com