Rath checkt ein: „Hôtel des Horlogers”: Zu Gast in der Welt der Luxusuhren

Eine Luxusuhren-Manufaktur erwirbt ein historisches Hotel und renoviert es. Unser Hotelkolumnist Carsten K. Rath reist nach Le Brassus, um zu prüfen, ob sich die Welt von Audemars Piguet in ein exklusives Hotelerlebnis übertragen lässt

Apr 27, 2025 - 07:04
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Rath checkt ein: „Hôtel des Horlogers”: Zu Gast in der Welt der Luxusuhren

Eine Luxusuhren-Manufaktur erwirbt ein historisches Hotel und renoviert es. Unser Hotelkolumnist Carsten K. Rath reist nach Le Brassus, um zu prüfen, ob sich die Welt von Audemars Piguet in ein exklusives Hotelerlebnis übertragen lässt

Carsten K. Rath hat zahlreiche Grandhotels geführt. Er ist Gründer des Hotel-Rankings „Die 101 besten Hotels“, das auch als Buch in Kooperation mit Capital erscheint. Hotels, über die er für Capital schreibt, bereist Rath auf eigene Rechnung.
Carsten K. Rath hat zahlreiche Grandhotels geführt. Er ist Gründer des Hotel-Rankings „Die 101 besten Hotels“, das auch als Buch in Kooperation mit Capital erscheint. Hotels, über die er für Capital schreibt, bereist Rath auf eigene Rechnung.

Wer ins Vallée de Joux reist, hat oft ein bestimmtes Ziel. Eingebettet in die Wälder des Waadtländer Jura, abgelegen und rau, gilt das „Tal der Zeit“ als Wiege der großen Uhrmacherkunst, der Haute Horlogerie, die sich hier seit dem 18. Jahrhundert entwickelt hat. In Le Brassus hat die Luxusuhren-Schmiede Audemars Piguet (kurz: AP) ihren Ursprung und auch heute noch ihren Hauptsitz. Anders als mancher Wettbewerber ist AP nie in eine Großstadt wie Genf umgezogen, was mir sympathisch ist. Die Marke bleibt, wo sie gewachsen ist. 

In den vergangenen Jahren hat das weiterhin familiengeführte Unternehmen damit begonnen, neue Wege der Markeninszenierung zu beschreiten, des „storytelling“, wie man so schön sagt. Die „AP Houses“ in Metropolen wie Hongkong, New York oder München sind keine typischen Uhrenboutiquen, sondern eine stilvoll eingerichtete Melange aus diskretem Showroom und edlem Wohnzimmer. Ohne Einladung läuft zwar nichts, dafür fühlen sich Fans von AP, ihre Familien sowie Freunde aber auch doppelt wohl und wertgeschätzt.

Das „Hôtel des Horlogers“, Teil dieser Erlebniswelt und seit 2003 im Besitz von Audemars Piguet, verfolgt einen anderen Ansatz: Das Haus ist öffentlich zugänglich, bewohnbar und gilt als weltweiter Treffpunkt für Uhrmacher und -liebhaber sowie Reisende, die an gutem Design interessiert sind. Aber wie interpretiert AP Luxus und grundlegende Werten, wenn dafür statt eines Zeitmessers am Handgelenk plötzlich viel Raum zur Verfügung steht und es um gelungene Architektur und perfekten Service geht. Das sehe ich mir genauer an.

Die geräumige „Signature Suite“ mit Bürobereich und Weinkühlschrank ist die perfekte Unterkunft für besonders anspruchsvolle Gäste
Die geräumige „Signature Suite“ mit Bürobereich und Weinkühlschrank ist die perfekte Unterkunft für besonders anspruchsvolle Gäste
© Hôtel des Horlogers

Luxuriös übernachten im „Tal der Zeit“

Es braucht etwas Zeit, um das „Hôtel des Horlogers“ zu erreichen. Der nächste Bahnhof liegt in Lausanne, der nächste Flughafen ist Genf – beide sind rund 50 Kilometer entfernt. Mit dem Auto bin ich also gut eine Stunde unterwegs in das idyllische Hochtal, das sagenumwobene Vallée de Joux. Dieser entlegene Flecken hat derart große Bedeutung für die weltweite Uhrmacherei und deren Geschichte? Eben in der Abgeschiedenheit liegt die Erklärung für den Sonderstatus des „Tals der Zeit“, denn über die langen, kalten Winter brauchten die handwerklich geschickten Bauern der Region eine lukrative Alternative. 

Auf diese Weise entwickelte sich vor einigen Jahrhunderten hier allmählich eine besondere Kompetenz für komplexe mechanische Uhrwerke. Ein saisonaler Boom der Heimarbeit im Nebenerwerb, der sich später in Hauptjobs als Uhrmacher wandelte. So begann anno 1875 auch die Erfolgsgeschichte von Audemars Piguet, die rund 100 Jahre später mit der Entwicklung des Modells „Royal Oak“ einen unbeschreiblichen Push erhielt.

Auch das „Hôtel des Horlogers“ besitzt eine lange Historie, die bis 1857 zurückreicht, wenn auch unter anderem Namen. Vom damals errichteten, ursprünglichen Bau ist allerdings wenig übrig. Als ich es erreiche, erwartet mich ein überraschend moderner Komplex, der sich wie eine Kunstinstallation in Zickzack-Schrägen und mit großen Glasflächen an einen nahen Hang schmiegt. Nach langer Renovierung feierte das Hotel vor drei Jahren seine Neueröffnung – mit einem neuen Gebäude, neuer Inneneinrichtung und neuem Namen. Aus dem „Hôtel de France“ wurde das „Hôtel des Horlogers“ mit 50 Zimmern sowie Suiten, die alle einen herrlichen Blick auf den umliegenden Risoud-Wald bieten.

Bäume, die von der Decke wachsen und andere futuristisch anmutende Naturelemente finden sich im ganzen „Hôtel des Horlogers“
Bäume, die von der Decke wachsen und andere futuristisch anmutende Naturelemente finden sich im ganzen „Hôtel des Horlogers“
© Hôtel des Horlogers

Architektur, die mit dem Draußen verschmilzt

Das Haus ist ein wahrer Designpalast. Wo ich auch hinsehe – alles passt perfekt zusammen, jeder Blickwinkel offenbart ein neues Detail. Naturelemente, wie etwa dekorative Bäume oder felsenartige Leuchten, lockern das farbneutrale, fast skulpturale Raumkonzept auf. Das Design ist durchdacht, reduziert und gleichzeitig ausdrucksstark – ein architektonisches Pendant zur Philosophie der Uhren von Audemars Piguet. Die aufmerksamen und zugewandten Mitarbeiter runden die besondere Atmosphäre des Hauses ab.

Entworfen wurde das „Hôtel des Horlogers“ von der dänischen Bjarke Ingels Group (BIG), die für ihre spielerischen und gleichzeitig pragmatischen Entwürfe bekannt ist. Das avantgardistische Innenleben kreierte der französische Architekt Pierre Minassian. Er stammt selbst aus der Region, weshalb seine Kindheitserinnerungen an die Wälder und Hügel rund um das Vallée de Joux in das Gestaltungskonzept einflossen. „Es sollte keine sichtbaren Grenzen zwischen Natur und Architektur geben“, erklärt mir General Manager André Cheminade. Das Interieur setzt die Landschaft fort – mit fließenden Linien, Materialien wie Holz und Marmor sowie großen Fenstern, die den Wald zum Teil des Raums machen. Ein so konsequent durchdachtes Konzept habe ich noch nie gesehen. Ist das eine neue Welt der Luxushotellerie? Eine Sterne-Auszeichnung fehlt, ebenso der Turndown-Service. Doch darauf verzichte ich gern. 

In der noblen Brasserie „Le Gogant“ lassen sich französische Klassiker in effektvoll dekoriertem Ambiente genießen
In der noblen Brasserie „Le Gogant“ lassen sich französische Klassiker in effektvoll dekoriertem Ambiente genießen
© Hôtel des Horlogers

Regionale Gastronomie auf Top-Nieveau

Beim Frühstück erwartet mich eine angenehme Überraschung: Das gesamte (köstliche!) Angebot ist hausgemacht. Egal ob Baguette, Erdbeermarmelade, Butter, Käse oder Kaffee – alles stammt aus eigener Produktion, ist sozusagen „brutal lokal“. Eine Seltenheit! Viele der Kreationen werden auch im hauseigenen Foodtruck angeboten, der ein beliebter Anlaufpunkt für Einheimische in ihrer Mittagspause ist. 

Kulinarisch hat das Haus allerdings noch weit mehr zu bieten, nämlich die Brasserie „Le Gogant“ (14 Gault-Millau-Punkte) und das gehobenere Restaurant „La Table des Horlogers“ (16 Gault-Millau-Punkte). Für beide tüftelt Spitzenkoch Emmanuel Renaut, ausgezeichnet mit drei Michelin-Sternen, saisonale Menüs aus. Er serviert, was die Natur des Hochtals gerade hergibt – etwa Forellentatar, Rindfleischconfit oder Morcheln an Bärlauchcreme. 

Die Region rund um das Schweizer Jura hat das ganze Jahr über viel zu bieten. Doch es sind eher passionierte Uhrenliebhaber und -sammler denn Naturburschen und Romantiker, die das „Hôtel des Horlogers“ besuchen und ihre Reise in die Welt von Audemars Piguet unter Umständen gar mit einem neuen Zeitmesser krönen. Neben AP finden sich hier übrigens auch Meisterwerke von Blancpain, Bvlgari, Jaeger-LeCoultre oder Patek Philippe. Haute Horlogerie zu stattlichen Preisen, und auch das Hotel selbst gehört zu den exklusivsten und kostspieligsten Häusern der Schweiz. Dafür verlässt man Le Brassus allerdings auch mit unvergesslichen Eindrücken. Und vielleicht mit einer neuen Uhr.