Psychologie: Klimamüde Deutsche: Der Whataboutismus schlägt voll durch

Laut einer aktuellen Umfrage finden immer weniger Deutsche, dass die Regierung mehr für den Klimaschutz tun muss. Das ist ein gefährlicher Trend

Apr 23, 2025 - 18:58
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Psychologie: Klimamüde Deutsche: Der Whataboutismus schlägt voll durch

Laut einer aktuellen Umfrage finden immer weniger Deutsche, dass die Regierung mehr für den Klimaschutz tun muss. Das ist ein gefährlicher Trend

Kaum eine Woche vergeht, ohne dass Klimarekorde gebrochen werden. 2024 war erstmals 1,5 Grad Celsius wärmer als zu Beginn der Industrialisierung. Extremwetterereignisse häufen sich. Die Menschheit steuert ungebremst in die Klimakrise. Angesichts einer solchen Weltlage, so sollte man meinen, müsste die Weltgemeinschaft ihre Anstrengungen, den Klimawandel zu stoppen – oder wenigstens entschieden zu bremsen – verdoppeln. Das Gegenteil ist der Fall.

In der wichtigsten Industrienation der Welt, den USA, zerlegt ein Klimaleugner die Demokratie – und den Klimaschutz gleich mit. Überall auf der Welt liebäugeln autokratische Regierungen offen oder heimlich mit einem neuen Nationalismus, mit einer zur Sorge für das eigene Volk verklärten Verantwortungslosigkeit. Und zeitgleich mit dem Erstarken des Staats-Egoismus schwindet bei vielen Menschen das Gefühl für die Dringlichkeit des Problems.

In Deutschland sogar besonders: Eine Umfrage ergab kürzlich, dass nur zwei von fünf Bundesbürgerinnen und -bürgern (41 Prozent) finden, dass ihr Land mehr für den Schutz des Klimas tun sollte. Deutschland landet damit im weltweiten Vergleich auf dem letzten von 32 Plätzen. Vor zwei Jahren sah das noch anders aus: Da stimmten immerhin noch mehr als jede/r Zweite (55 Prozent) zu. Woher kommt diese Klimamüdigkeit zur Unzeit?

Wie wir aus Hilflosigkeit das Nichtstun adeln

In den Zeiten der Multikrise ist es wohl vor allem die Hilflosigkeit, die die Menschen in die Verdrängung treibt. Eine Behauptung hat sich dabei als besonders wirkmächtig erwiesen: Der Einzelne könne ohnehin nichts ausrichten, und Deutschland sei doch nur für zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Was, so die Logik, nützt es im globalen Maßstab, wenn hier irgendjemand auf eine Flugreise oder eine Wurst verzichtet? Wozu Wohlstand und Wirtschaft ruinieren, wenn die Pro-Kopf-Emissionen in den Schwellenländern nur eine Richtung kennen – nach oben? Man nennt das auch Whataboutismus (von what about …? – "Was ist mit …?"): Bringt eh nichts. Sollen die anderen sich erst mal kümmern.

Dass der oder die Einzelne wenig tun kann, dass zwei Prozent nicht viel sind, ist sachlich nicht ganz falsch – führt aber gefährlich in die Irre. Gegenfrage: Was oder wem nützt es, wenn niemand etwas tut? Wie der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf erklärt, verschwindet Verantwortung nicht, indem man sie aufteilt: "Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss?"

Zweitens ist der deutsche Pro-Kopf-Ausstoß von Kohlenstoffdioxid fast doppelt so hoch wie im globalen Durchschnitt. Daraus leitet sich sogar eine besondere Verantwortung ab, den Ausstoß zu reduzieren. Drittens hat sich Deutschland nicht nur im Pariser Klimaabkommen, sondern auch durch eigene Gesetze, nicht zuletzt mit dem Grundgesetz, zu ambitioniertem Klimaschutz verpflichtet. Und zwar unabhängig davon, welchen Anteil die Bundesrepublik an den gesamten Emissionen aller Länder der Erde hat. 

Und noch etwas sollte uns zurückschrecken lassen, Verantwortung auszulagern oder abzuwälzen: Der Whataboutismus schwächt nicht nur den nationalen Klimaschutz – weil er ihm die demokratische Legitimation entzieht. Er untergräbt auch internationale Bemühungen wie das Pariser Klimaabkommen. Doch zu denen gibt es derzeit keine Alternative.