Osteuropa: Georgien träumt von der EU – und schlecht von Russland

Georgien ist stark proeuropäisch geprägt. Wirtschaftlich ist das Land aber eng mit Russland verbunden. Welche Ziele hat die Regierungspartei „Georgischer Traum“? Und was bedeutet das für uns?

Feb 11, 2025 - 17:02
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Osteuropa: Georgien träumt von der EU – und schlecht von Russland

Georgien ist stark proeuropäisch geprägt. Wirtschaftlich ist das Land aber eng mit Russland verbunden. Welche Ziele hat die Regierungspartei „Georgischer Traum“? Und was bedeutet das für uns?

Bei den aktuellen Protesten in Tiflis wehen die Flaggen Georgiens und der EU direkt nebeneinander. Denn tausende Menschen sehen den proeuropäischen Kurs ihres Landes in Gefahr. Ihre Demos sind ein klares Statement gegen den aktuellen Kurs der nationalkonservativen Regierungspartei „Georgischer Traum“. Der Politologe Hannes Meissner beobachtet die Lage sehr genau: Er ist wenig optimistisch, dass die georgischen EU-Befürworter Neuwahlen durchsetzen können. Für ihn fehlt „die kritische Masse an Personen, um tatsächlich einen Umsturz zu erzwingen“.

Als Experte für postsowjetische Länder erklärt Hannes Meissner im Podcast „Wirtschaft Welt & Weit“ die Ausgangslage in Georgien: Seit 2012 regiert dort die Partei „Georgischer Traum“, der ein zunehmend autoritärer Kurs vorgeworfen wird. Bei der Parlamentswahl im Herbst hat sie sich erneut zum Wahlsieger ausgerufen. Dabei steht der Vorwurf der Wahlmanipulation im Raum: Die Regierung habe die Wahl massiv beeinflußt, sagt selbst ein Bericht des Europarates. Auch die bisherige pro-europäische Staatspräsidentin Salome Surabischwili wurde inzwischen ersetzt. Die Regierungspartei versuche die Proteste auszusitzen und die Zivilgesellschaft einzuschüchtern, sagt Meissner im Podcast „Wirtschaft Welt & Weit“. Gerade erst wurden mehrere Oppositionspolitiker festgenommen. Viele Beobachter fürchten, dass Russland in Georgien an Einfluss gewinnt.

Die ehemalige Sowjetrepublik im Südkaukasus ist seit 1991 selbständig. Im Norden teilt sich das Land eine lange Grenze mit Russland. Seit einem kurzen Krieg im Jahr 2008 kontrolliert Russland die Teilrepubliken Abchasien und Südossetien, die an dieser Grenze liegen. Der Westen habe damals nicht eingegriffen. Auf diese Situation kommt Hannes Meissner in der neuen Podcast-Folge zu sprechen: Russland habe damals ein klares Signal an Georgien gesendet, das er so zusammenfasst: „Wenn wir wollen, dann überrennen wir euch militärisch.“ Diese Erfahrung habe Politik und Gesellschaft „nachhaltig geprägt“.

Georgien eng mit Russland verbunden

Das erklärt den proeuropäischen Kurs vieler Menschen genauso wie die pragmatische Einstellung zu Russland. Denn nicht nur sicherheitspolitisch ist Georgien von Russland abhängig, auch ökonomisch gibt es enge Bande. Dabei ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine für Georgien wirtschaftlich von Vorteil. Das Land hat sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen. „Viele Dienstleistungen sind von Russland nach Georgien verlagert worden“, so Meissner. Zudem profitiere Georgien von Sanktionsumgehungen über den Südkaukasus. Das habe einen „wirtschaftlichen Boom“ eingeleitet: „Das erste Mal sieht das Land nun seit Jahrzehnten wirklich einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung“, konstatiert Meissner.

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Welche Pläne verfolgt nun der Milliardär Bidsina Iwanischwili, der die Partei „Georgischer Traum“ einst gegründet hat? Der reichste Mann Georgiens ist in Russland aufgewachsen. Ökonomisch und zu einem hohen Grad auch politisch spreche man „im wahrsten Sinne des Wortes eine gemeinsame Sprache“, so Meissner. Aber was genau bedeutet nun eine Annäherung Georgiens an Russland ganz konkret? Vertritt Iwanischwili eine eher pragmatische Haltung oder agiert er offen prorussisch? Und wie weit gehen die hybriden Einflussnahmen Russland? Das gilt es im Blick zu haben. „An einer Aufgabe der Souveränität Georgiens und der bedingungslosen Eingliederung in die russische Welt hat auch Iwanischwili mit Sicherheit kein Interesse“, so Meissner.

Georgien wichtiger seit Ukraine-Krieg

Was heißt das nun aus europäischer Perspektive? Georgien ist von jeher eine wichtige Handelsroute zwischen Asien und Europa. Der sogenannte „mittlere Korridor“ der neuen chinesischen Seidenstraße, der durch Georgien führt, hat seit dem Ukraine-Krieg stark an Bedeutung zugelegt. Gewinnt Russland dort weiter an Einfluss, so wird laut Meissner „der Westen geostrategisch aus diesem Raum herausgedrängt“. Dabei steht für ihn vor allem das Thema Energie im Fokus: Die Route über Aserbaidschan und Georgien sei einst ausgebaut worden, um die energietechnische Abhängigkeit Europas von Russland zu reduzieren. 

Der Politologe Hannes Meissner ist Experte für postsowjetische Länder an der Hochschule für Wirtschaft, Management und Finance und an der Universität Wien. Außerdem berät er Unternehmen zu politischen Risikomanagementstrategien in diesen Ländern.