OSC Lille in der Champions League: Erlaubnis zum Träumen

Wenn OSC Lille heute Abend auf Borussia Dortmund trifft, geht die Truppe um Torwarttalent Lucas Chevalier als leichter Außenseiter ins Spiel. Doch Hoffnung könnte ausgerechnet eine Niederlage gegen PSG machen.

Mär 4, 2025 - 16:16
 0
OSC Lille in der Champions League: Erlaubnis zum Träumen

Die Titelseite der nordfranzösischen Lokalzeitung „La Voix des Sports“ vermittelte am Montagmorgen eine klare Botschaft. „Erlaubnis zum Träumen“, stand dort in Großbuchstaben geschrieben, garniert mit einem überdimensionalen Foto von Lilles Abwehrspieler Mitchel Bakker, der seit dem Sommer von Atalanta Bergamo ausgeliehen ist. Mit den Franzosen kann der Linksverteidiger in dieser Saison Geschichte schreiben; denn als einziger Achtelfinalteilnehmer der diesjährigen Champions-League-Ausgabe konnte sich Lille noch nie für ein Viertelfinale in der Königsklasse oder im Europapokal der Landesmeister qualifizieren. Gelingt dem fünfmaligen französischen Meister, der heute Abend im Hinspiel auf Borussia Dortmund trifft, in diesem Jahr also die Premiere?

Betrachtet man die Form der vergangenen Wochen, geht Lille auf dem Papier als leichter Außenseiter in die Partie gegen den BVB. Das Team von Bruno Génésio verlor drei der zurückliegenden fünf Pflichtspiele – darunter ein peinliches Pokalaus im Elfmeterschießen gegen den Zweitligisten USL Dunkerque sowie eine deutliche 1:4-Auswärtsklatsche bei Paris Saint-Germain am vergangenen Wochenende. Vor allem im ersten Durchgang zeigten die Nordfranzosen im Prinzenpark eine Nichtleistung und lagen bereits nach einer knappen halben Stunde mit 0:4 zurück.

Zur Wahrheit gehört aber auch: In dieser Saison läuft PSG in der Ligue 1 einmal mehr außer Konkurrenz. Mit 13 Punkten Vorsprung auf Platz zwei haben die Hauptstädter die Meisterschaft nach 24 Spieltagen bereits so gut wie sicher, in der Liga ist das Starensemble um Ousman Dembélé und Gianluigi Donnarumma noch ungeschlagen. Hinzu kommt: Ein wenig wirkte es am Samstagabend so, als wäre das Team aus Lille schon mit den Gedanken in Dortmund. Nachdem ein Antrag der Klubverantwortlichen, das Match in Paris aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit vor dem Aufeinandertreffen mit dem BVB auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, von der französischen Fußball-Liga (LFP) abgelehnt worden war, ließ Coach Génésio mit Mittelfeldspieler Ayyoub Bouaddi sowie Top-Torjäger Jonathan David (wettbewerbsübergreifend 21 Treffer) gleich zwei absolute Leistungsträger zu Beginn auf der Bank.

Ein Fingerzeig darauf, dass die Champions League in diesen Tagen in Lille Priorität genießt? „Ich weiß nicht, was sie in Paris vorgehabt haben. Wenn du etwa mit David deinen besten Spieler draußen lässt, sendest du damit ein klares Zeichen. Die Frage, ob Lille in dieser Partie wirklich alles gegeben hat, muss erlaubt sein“, ordnete der französische Reporter Daniel Riolo die Leistung des OSC am Mikrofon des Radiosenders RMC ein.

Denn eigentlich spielt der Klub aus der Hauptstadt der Region Hauts-de-France bislang eine starke Saison. In der Liga steht der Meister von 2021 auf Platz fünf und befindet sich auf Europa-League-Kurs. Vor allem in der Defensive weiß das Team von Génésio zu überzeugen: Mit nur 27 Gegentreffern stellt Lille die drittbeste Abwehr der Liga. Neben den beiden Stamm-Innenverteidigern Bafodé Diakité und Alexsandro Ribeiro ist das vor allem der Verdienst von Schlussmann Lucas Chevalier.

Der 23-Jährige, der in Nordfrankreich aufgewachsen ist und seit der C-Jugend das Trikot des OSC trägt, ist aktuell das größte französische Torwarttalent und wurde im Dezember von RMC zum besten Keeper der Ligue 1 gekürt. Bereits in der vergangenen Saison machte er auf internationaler Bühne auf sich aufmerksam – besonders eine Doppelparade im Conference-League-Viertelfinale gegen Aston Villa blieb in Erinnerung.

Nichts zu verlieren

Auch in diesem Jahr ist Chevalier der sichere Rückhalt seiner Mannschaft – und das mittlerweile sogar in der Königsklasse. In der Gruppenphase stürmte Lille durch die Champions League, landete auf Platz sieben und bezwang dabei unter anderem Feyenoord Rotterdam mit 6:1. Zudem feierte das Team einen sensationellen 1:0-Heimsieg gegen Real Madrid. Der Matchwinner in dieser Partie: Lucas Chevalier. „Der Vorteil in diesen Spielen ist, dass wir nichts zu verlieren haben. Niemand wäre uns bei einer Niederlage böse gewesen. Das ist ein befreiendes Gefühl. Hätte Real dieses Spiel gewonnen, hätten sie einfach nur ihren Job gemacht – wir hingegen haben mit diesem Sieg mehr als nur unseren Job gemacht. Wir haben Geschichte geschrieben, und das ist wundervoll“, blickte der Torhüter unlängst auf den historischen Erfolg zurück.

Sein Vertrag in Lille läuft noch bis 2027 – doch bereits jetzt gibt es Gerüchte um einen Wechsel zu PSG im Sommer. Für Chevalier, der im vergangenen November erstmals in die Équipe Tricolore berufen wurde und von vielen Beobachtern bereits als zukünftiger Nationalkeeper gesehen wird, kommt der Wechsel zu den Hauptstädtern allerdings nur unter einer Bedingung in Frage: Er müsste im Team von Luis Enrique von Anfang an die Nummer eins sein und damit den Italiener Donnarumma aus dem PSG-Tor verdrängen. Ob es wirklich soweit kommt? „Die Frage ist, ob Chevalier einen solchen Mehrwert bietet, dass Paris bereit ist, für ihn eine hohe Ablösesumme zu zahlen und sich zudem von Donnarumma zu trennen. Ich finde schon, weil Chevalier momentan sehr beeindruckend spielt – sowohl in der Champions League als auch in der Liga überzeugt er durch sehr konstante Leistungen“, sagt der französische Journalist Mickaël Vincent.

Gegen den BVB hat Chevalier nun die Gelegenheit, weiter auf sich aufmerksam zu machen. Im Vorfeld des Hinspiels heute Abend betont er: „Ich mache mir keine Sorgen, denn ich bin davon überzeugt, dass es ein komplett anderes Spiel wird als gegen Paris. Wir müssen zusammenstehen und uns auf unsere Stärken besinnen, um ein gutes Ergebnis zu holen. Dortmund ist eine große Mannschaft – aber sie haben nicht die Qualität von PSG.“