Mittelstand: Stephan Schnabel: „Für den Ukrainekrieg gab es kein Lehrbuch“
Familienunternehmer Stephan Schnabel spricht im Mittelstands-Podcast „Alles neu...? Aus dem Maschinenraum” über die Krise der Chemieindustrie, schlaflose Nächte und den Ukrainekrieg

Familienunternehmer Stephan Schnabel spricht im Mittelstands-Podcast „Alles neu...? Aus dem Maschinenraum” über die Krise der Chemieindustrie, schlaflose Nächte und den Ukrainekrieg
Der Großvater kaufte kurz nach dem Krieg für 3000 D-Mark ein Handelsunternehmen, der Vater machte aus dem Chemikalienhändler einen internationalen Milliardenkonzern. Heute führt in dritter Generation Stephan Schnabel die Helm AG. Sie ist nicht nur im Geschäft mit Chemikalien, sondern zum Beispiel auch mit Dünger und Lithiumrecycling. Das Hamburger Unternehmen beschäftigt 1600 Menschen und hat 2023 rund 6 Mrd. Euro umgesetzt.
Capital: Herr Schnabel, die Chemiebranche steht unter Druck, unter anderem wegen hoher Energiepreise und schwächelnder Nachfrage. Was heißt das für die Helm AG?
STEPHAN SCHNABEL: Unsere Kunden sitzen zum einen in der Autoindustrie, die hat natürlich zu kämpfen. Die nächste große Industrie ist der Bau, die ist im Moment auch nicht gerade ein Bergstürmer.
Wie direkt schlagen die Probleme zu Ihnen durch?
Wenn der Absatz unserer Kunden niedriger ist, führt das bei uns schnell zu Überkapazitäten. Denn unsere Anlagen müssen laufen. Wir können nicht einfach sagen, wir fahren jetzt mal nur mit 20 oder 30 Prozent. Es müssen 75 bis 80 Prozent sein. Und durch die Überkapazitäten fallen in der Regel die Preise.
Bereitet Ihnen so etwas schlaflose Nächte?
Nein. Wenn es ein Überangebot gibt, weißt du ungefähr, an welchen Stellschrauben du drehen musst, wenn die Preise fallen. Das bereitet mir weniger Kopfschmerzen. Wirklich schmerzhaft sind abrupte Veränderungen wie der Ukrainekrieg. Wir bekommen zum Beispiel ein Produkt aus der Raffinerie in Schwedt vor den Toren Berlins. Haupteigner ist der russische Ölkonzern Rosneft, außerdem waren das italienische Unternehmen Eni und Shell beteiligt. Wie geht man mit so einer Konstellation um? Dafür gibt es kein Lehrbuch, das bringt dir keiner bei. Da hatte ich schon die eine oder andere schlaflose Nacht.
Der Bund hat die Rosneft-Anteile der Raffinerie in Schwedt dann unter Treuhandverwaltung gestellt. War das Problem damit für Sie gelöst?
Das war nur die erste Problematik. Die zweite Frage war ja, ob und wie russisches Öl ersetzt werden konnte, das bisher in der Raffinerie verarbeitet wurde. Am Ende kam Öl aus anderen Quellen – und die Raffinerie läuft weiter.
Wie zufrieden waren Sie als Unternehmer mit der Politik der alten Bundesregierung?
Auf eine solche Krise in der Gas- und Ölversorgung reagieren zu müssen, das gab es bis dahin nicht. Wir sind alle weiterhin Auto gefahren. Wir haben alle weiterhin Gas bekommen. In Summe würde ich sagen: Das war außergewöhnlich. Das war wirklich gut gemanagt. Vieles lief dann später nicht gut. Am Anfang habe ich gehofft, dass eine Regierung aus drei sehr unterschiedlichen Parteien viel bewegen kann. Das ist nicht passiert. Würde ich jedes Defizit, was wir in Deutschland haben, nur der Regierung zuordnen? Sicherlich nicht. Dafür ist die Laufzeit an Fehlern dann doch zu lang. Aber dass man sich eigentlich nur noch stritt, anstatt die Probleme anzugehen, war sicherlich kein Glanzstück.
Was erwarten Sie von der neuen Regierung?
Dass es unterschiedliche Standpunkte gibt, aber keinen Streit mehr. Wir müssen auch schneller werden. Ein Beispiel: Ich komme aus Hamburg. Da soll eine neue Brücke gebaut werden. Wie kann es angehen, dass wir stolz sind, dass sie 2040 fertig sein soll? Andere Länder lachen uns doch dafür aus, dass wir 15 Jahre für eine Brücke brauchen. Wenn wir in dieser Geschwindigkeit weitermarschieren, dann bekomme ich schlaflose Nächte.
Woran krankt deutsche Wirtschaft Ihrer Meinung nach noch?
Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa. Wir Europäer versuchen, alles über Strafen und Regularien zu regeln. Gleichzeitig wollen wir aber, dass die Unternehmen Dinge entwickeln und Risiken eingehen. Wenn wir bestimmte Dinge voranbringen wollen, wie etwa die Transformation des Energiesektors, dann müssten wir aus meiner Sicht vielmehr dafür sorgen, dass der Staat sich an diesen Risiken mit beteiligt.
Sie haben acht Jahre in Istanbul gelebt und dort den türkischen Standort der Helm AG entwickelt. Wie haben diese Jahre Sie verändert?
Es hat Spaß gemacht, so eine kleine Niederlassung mit 20 Leute zu führen. Ich wusste: Eigentlich möchtest du auch mal den ganzen Konzern leiten. Ich ging zurück nach Deutschland, weil mein Vater aufhören wollte, und er fragte mich, ob ich seiner Meinung nach der Richtige wäre, jetzt zu übernehmen. Ich sagte: nein. Er meinte: Das sehe ich genauso. Das waren keine fünf Minuten, und der Fall war erledigt. Es führte dann eine ganze Weile jemand, der vorher schon lange im Unternehmen war. Dann dachte ich eines Tages, ich wäre perfekt vorbereitet, übernahm die Firma – und dann kam Corona und ich stellte fest: Ich war auf gar nichts vorbereitet.
Wie war das für Sie?
Bescheuert – sorry für die Wortwahl. Das war wieder so eine Situation, für die es kein Handbuch gab. Wie kommunizierst du zum Beispiel im Lockdown mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen? Wir haben dann so eine Art Townhall-Meeting gemacht, das war unser erster Livestream. Wir hatten keinen Teleprompter, deswegen kam meine Tochter mit und stellte sich mit groß ausgedruckten Moderationskarten hinter die Kamera. Das war für mich ein emotionaler, großer Moment.
Sie führen die Helm AG in der dritten Generation. Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen eines Familienunternehmens?
Wir haben die Freiheit zu sagen, wie schnell wir agieren wollen und können auch Dinge ausprobieren, die ein bisschen länger brauchen. Das ist aber auch eine unserer größten Schwächen. Es fällt uns schwer zu sagen: Jetzt ist auch mal gut. Wir hatten einen Fall, wo der damalige Vorstandsvorsitzende meinem Vater schrieb: Nach zwölf Jahren darf ich Ihnen mitteilen, dass diese eine Niederlassung endlich profitabel ist. Er war so stolz! Und ehrlich gesagt: Ich freute mich für ihn mit. Mein Vater schüttelte nur den Kopf nach dem Motto: Wie doof können wir sein, zwölf Jahre an der Sache festzuhalten? Das ist also sicher auch eine unserer Schwächen.