Italiens Torwart-Legende Walter Zenga wird 65: Mein Gott, Walter!

Walter Zenga wird 65 Jahre alt. Er war einer der besten Torhüter, die Italien je hatte. So richtig berühmt wurde er aber nicht durch seine Paraden, sondern durch einen Fehler. Und seinen Lebenswandel.

Apr 28, 2025 - 15:10
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Italiens Torwart-Legende Walter Zenga wird 65: Mein Gott, Walter!

Es war leicht, Walter Zenga nicht zu mögen. Den meisten Fußballfans hierzulande begegnete der italienische Torwart mit dem so deutschen Vornamen zum ersten Mal beim Eröffnungsspiel der EM 1988 zwischen der DFB-Auswahl und den Azzurri. Ein Blick auf Zengas Markenzeichen – das auffällige Goldkettchen – reichte schon, um zu wissen: Dieser Typ konnte nur ein schmieriger Playboy sein. Er hatte bestimmt ein blondes Model als Freundin und wahrscheinlich schon eine Single mit übelstem Italo-Pop rausgebracht.

Natürlich stimmte das überhaupt nicht. Die Blondine war kein Model, sondern die Moderatorin Roberta Termali, die Zenga im Jahr vor der EM kennengelernt hatte, weil er im Privatfernsehen eine Fußballshow präsentierte. Und die Disco-Platte war nicht bloß eine Single, sondern gleich eine ganze LP mit acht Stücken. Im Radio hatte Zenga sogar seine eigene Sendung zusammen mit dem bekannten Moderator Amadeus. Und das war erst der Anfang. Daheim in Mailand ließ Zenga keine Party aus. Die „Gazzetta dello Sport“ nannte ihn mal Il re degli eccessi, den König der Exzesse, weil ihn alles magisch anzog, was auch nur ansatzweise peinlich war.

Ein Schritt zu viel

Wie gesagt, es war leicht ihn nicht zu mögen. Und so rieben sich die deutschen Fans in der 56. Minute des Spiels auch aus Schadenfreude die Hände. Der Gastgeber und Turnierfavorit Deutschland lag 0:1 im Rückstand, als der Schiedsrichter plötzlich auf indirekten Freistoß im italienischen Strafraum entschied. Angeblich hatte Zenga zu viele Schritte mit dem Ball gemacht. Nur vier waren damals erlaubt, weshalb der Schiedsrichter alle Finger seiner rechten Hand in die Höhe hielt, um anzuzeigen, dass es fünf gewesen waren, bevor der Torwart den Ball abgeschlagen hatte.

Ob das stimmt, weiß niemand. Weil Zenga den Ball im Anschluss an eine deutsche Ecke sicher unter Kontrolle hatte, zeigten die Kameras des Fernsehens während der entscheidenden Sekunden einige Ersatzspieler, die sich aufwärmten. Aber ob korrekt oder nicht, es gab Freistoß. Pierre Littbarski stupste den Ball an und ausgerechnet Andreas Brehme, der gerade bei Zengas Klub Inter Mailand unterschrieben hatte, schoss den Ball durch die Mauer ins Netz. Es war der erste, aber weiß Gott nicht der letzte unglückliche Moment für Walter Zenga bei einem großen Turnier.

So ist das eben bei Torhütern – was in Erinnerung bleibt, das sind meistens die Patzer. Vor allem im Fall von Walter Zenga ist das fast schon tragisch, denn der Italiener war einer der besten Keeper seiner Generation. Vielleicht sogar mehr als das; immerhin wurde er zwischen 1989 und 1991 dreimal in Folge zum Welttorhüter des Jahres ernannt. Die Inter-Tifosi liebten ihn, schließlich war er gebürtiger Mailänder, machte aus seiner tiefen Liebe für den Klub nie einen Hehl und gehörte – zusammen mit Brehme und Lothar Matthäus – zu der großen Elf, die 1989 endlich wieder die Meisterschaft holte.

Auch im Nationaltrikot konnte man sich auf ihn verlassen. Vielleicht hätte seine internationale Karriere schon früher begonnen als erst im Herbst 1986, wenn er nicht solch ein Hallodri gewesen wäre. Anfang 1985 wollte Enzo Bearzot ihn nämlich in den Kader für das Spiel gegen Irland in Dublin berufen, doch zwei Tage lang war Zenga wie vom Boden verschluckt und für niemanden zu erreichen, nicht mal für den Nationaltrainer. (Laut „Gazzetta dello Sport“ hatte er sich bei einer Freundin versteckt, um endlich mal Ruhe vor den Frauen zu haben, die ihn nach dem Training so hysterisch verfolgten, wie man das sonst nur aus Beatles-Filmen kennt.)

Seit Oktober ohne Gegentor

Der Höhepunkt seiner Karriere sollte die WM 1990 im eigenen Land sein. Zenga war in großartiger Verfassung. Der berühmte italienische Journalist Gianni Brera hatte ihm sogar einen der besten Spitznamen aller Zeiten verpasst: deltaplano – der Drachenflieger. Der Begriff sollte ausdrücken, dass Zenga seine Stärken auf der Linie hatte und gerne durch die Luft flog, um Bälle noch aus dem Winkel zu fischen. Weil Brera ein kluger Kopf war, schwang in dem schönen Spitznamen wahrscheinlich auch ein klein wenig Kritik mit. Denn Zenga liebte die Flugeinlagen so sehr, dass man ihm manchmal vorwarf, er zeige lieber spektakuläre Rettungstaten auf der Linie, als rauszukommen und Flanken schnöde abzufangen.

In dieser Hinsicht war er ganz anders als die größte italienische Torwart-Ikone, der extrem sachliche Dino Zoff. Und doch hörte man dessen Namen während der WM 1990 immer öfter in Verbindung mit Walter Zenga. Denn Zoff hatte einst einen unfassbaren Rekord aufgestellt: 1143 Minuten lang war er im Nationaltrikot ohne Gegentreffer geblieben. Nun jedoch wackelte diese Bestmarke. Seit einem 0:1 gegen Brasilien im Oktober 1989 hatte man Zenga nicht mehr bezwungen. Vor dem Halbfinale gegen Argentinien stand er bei 913 Minuten. Und in dieser entscheidenden Partie waren schon wieder 67 Minuten hinzukommen, als Diego Maradona einen etwas ratlosen Pass raus zu Julio Olarticoechea spielte.

Ein einziger Fehler im gesamten Turnier

Italien lag durch ein Tor von Salvatore „Toto“ Schillaci mit 1:0 in Führung und dachte vielleicht schon an das Endspiel gegen Deutschland. Denn obwohl man sich nach der Pause – nicht zuletzt im Vertrauen auf Zenga – ein wenig zu weit zurückgezogen hatte, strahlte eine höchst durchschnittliche argentinische Elf nur selten Gefahr aus. Auch Olarticoechea fiel jetzt nicht mehr ein, als vom linken Strafraumeck eine gelöffelte, halbherzige Flanke in den Lauf von Claudio Caniggia zu schlagen, der in Richtung kurzer Pfosten eilte. Eine ganze Generation von Tifosi hat die nächsten zwei Sekunden auch dreißig Jahre später noch so deutlich vor Augen, als wären sie gestern passiert.

Sechs Meter vor dem Tor stieg Caniggia zusammen mit seinem Bewacher Riccardo Ferri hoch. Der Argentinier bekam so gerade noch den Hinterkopf an den Ball und stupste ihn harmlos in Richtung langes Eck. Das heißt, das Ganze wäre harmlos gewesen, hätte Zenga auf der Linie gestanden. Doch das tat er nicht. Ausgerechnet in diesem Moment hatte der Mann, der so ungern rauskam, einen ungelenken Versuch gemacht, die Flanke abzufangen. Als der Ball ins Netz plumpste, stand Zenga sieben, acht Meter vor dem Tor und dürfte die Blicke seiner Mitspieler wie Dolche im Rücken gespürt haben.

Zengas einziger Fehler im ganzen Turnier sorgte dafür, dass Argentinien sich in ein Elfmeterschießen rettete, in dem zwei Italiener ihre Strafstöße vergaben. Die 517 Minuten, die der Torwart bei der Endrunde ohne Gegentor geblieben war, sind zwar bis heute Rekord, doch das dürfte ihm ebensowenig ein Trost gewesen sein wie die Tatsache, dass Madonna ihn als sexiest man des Turniers bezeichnete. Zenga war zwar noch zwei weitere Jahre Nationaltorwart, doch weil Italien in der Qualifikation zur EM 1992 scheiterte, blieb ihm ein wirklich großer Erfolg mit der Squadra Azzurra versagt. Immerhin holte er in den Neunzigern mit seiner großen Liebe Inter noch zweimal den UEFA-Cup, 1991 gegen den AS Rom und 1994 gegen Salzburg. In den vier Finalspielen (der UEFA-Pokal wurde bis 1997 durch Hin- und Rückspiel entschieden) kassierte Zenga nur ein einziges Gegentor.

Einige Jahre später begann er eine Affäre mit einem 20-jährigen Dessous-Model und ging nach Amerika, um seine Karriere in der MLS ausklingen zu lassen. Dort startete er seine zweite Laufbahn, zuerst als Spielertrainer 1998 bei New England Revolution. Aber auch seine Zeit als Trainer war bislang eher durchwachsen. Er war einige Jahre lang in Rumänien tätig, was ihm seine dritte Ehefrau, eine zweite Staatsbürgerschaft und einen Meistertitel einbrachte. Danach lief es eher suboptimal. Der arabische Verein Al-Shaab feuerte ihn nach zwei Monaten, Sampdoria Genua nach fünf, die Wolverhampton Wanderers nach drei, der FC Crotone nach sechs. Anfang März 2020 unterschrieb er einen Vertrag bei Cagliari Calcio – sechs Tage später (und noch vor Zengas erstem Spiel) wurde die Saison in Italien aufgrund der Coronapandemie unterbrochen.

Heute wird Walter Zenga 65 Jahre alt. Wir gratulieren von Herzen und lassen ihm das Schlusswort. Als ihn die Zeitung „La Repubblica“ nämlich vor einigen Jahren nach seinem Ruf als Lebemann und seiner schillernden Karriere fragte, antwortete er: „Die Journalisten beschweren sich immer, dass die Spieler alle langweilig und banal sind. Und wenn dann mal einer kommt, der weiß, wie man ein Mikrofon hält, dann werfen sie ihm vor, er würde den Star raushängen lassen. Alles, was ich gemacht habe, waren Erfahrungen. Ich bereue nichts.“