„Gutachten“ zur AfD: Plötzlich ist der Geheimdienst eine seriöse Quelle
Es ist ein befremdliches Zusammenspiel aus Geheimdienst, Medien und Politikern: Ein weisungsgebundener und in der Vergangenheit skandalgeschüttelter Geheimdienst behält ein brisantes „Gutachten“ unter Verschluss, entfaltet aber mit der Verkündung seiner Existenz bereits starke politische Wirkung. Gleichzeitig wurden Infos des „geheimen“ Papiers anscheinend an einzelne Medien weitergegeben, die sich unkritisch an einer unseriösen Kampagne beteiligen. UndWeiterlesen

Es ist ein befremdliches Zusammenspiel aus Geheimdienst, Medien und Politikern: Ein weisungsgebundener und in der Vergangenheit skandalgeschüttelter Geheimdienst behält ein brisantes „Gutachten“ unter Verschluss, entfaltet aber mit der Verkündung seiner Existenz bereits starke politische Wirkung. Gleichzeitig wurden Infos des „geheimen“ Papiers anscheinend an einzelne Medien weitergegeben, die sich unkritisch an einer unseriösen Kampagne beteiligen. Und Politiker, die den Geheimdienst gestern noch abschaffen wollten, erheben ihn nun zu einer seriösen Quelle – ein absurder Vorgang. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Zur Einstufung der gesamten AfD als „gesichert Rechtsextrem“ durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) haben sich auf den NachDenkSeiten bereits Oskar Lafontaine im Artikel “Rechtsextreme kämpfen gegen Rechtsextreme” und Jens Berger im Artikel “AfD-Verbotsdebatte: Man muss die Ursachen und nicht die Symptome bekämpfen” geäußert.
Unabhängig von einer Debatte über die Inhalte der AfD verletzt der Vorgang der Einstufung sowie die umgehend angeschlossene Partei-Verbots-Debatte und die teils unseriöse Berichterstattung in vielen etablierten Medien wichtige demokratische Prinzipien. Es ist ein Akt politischer Leichtfertigkeit, dessen langfristige Folgen in meinen Augen sehr bedenklich sein können.
Kritikloser Umgang
Der kritiklose Umgang vieler Journalisten und Politiker damit, dass eine weisungsgebundene Behörde mit nicht genannten Mitteln aus nicht genannten Quellen ein der Öffentlichkeit nicht zugängliches „Gutachten“ erstellt, das bereits jetzt wegen der ausgelösten Berichterstattung starke Wirkung entfaltet und erhebliche politische Konsequenzen für die größte Oppositionspartei und möglicherweise (auf individueller Ebene) auch etwa für Parteimitglieder im Staatsdienst haben könnte – das ist zusätzlich zum Vorgang selber überaus fragwürdig.
Immer muss man die prinzipielle Natur solcher Vorgänge betonen: Den Umgang rund um das Geheimdienst-Papier zu kritisieren, nimmt nicht die AfD selber in Schutz, deren Politik ich zu weiten Teilen stark ablehne. Statt dessen soll diese Kritik vor Instrumentalisierungen des Geheimdienstes in der Zukunft schützen. Wer die jetzt praktizierte, unseriöse Vorgehensweise nicht ächtet, macht es wahrscheinlicher, dass politische Interventionen eines weisungsabhängigen Geheimdienstes künftig als zunehmend „normal“ angesehen werden – und dann kann es je nach Machtkonstellation Parteien jeder politischen Richtung treffen.
Der Verfassungsschutz ist, wie gesagt, nicht politisch unabhängig und zusätzlich stand er bisher nicht in dem Ruf, eine seriöse Quelle politischer Analysen zu sein – man könnte die Behörde auch als „skandalgeschüttelt“ bezeichnen. Diese kritische Sichtweise auf den Geheimdienst hat sich aber nun, da er anscheinend „in ihrem Sinne“ handelt, bei manchen Politikern und Journalisten schlagartig geändert. Da es „gegen Rechts“ geht, ist der Verfassungsschutz plötzlich doch eine seriöse Quelle – selbst für manche Grüne oder LINKE, die den Geheimdienst einst gar abschaffen wollten. Einen solchen prinzipiellen Sinneswandel, weil es einem kurzfristig ins politische Konzept passt, würde ich als Prinzipienlosigkeit bezeichnen.
„Gutachten“ unter Verschluss
Als nicht akzeptabel empfinde ich in diesem Fall die Praxis, das „Gutachten“ nicht zur Prüfung zu veröffentlichen. Quellenschutz und auch der Schutz der Arbeitsweisen eines Geheimdienstes sind hohe Güter, die einer Veröffentlichung entgegenstehen können. In diesem politisch hochbrisanten Fall aber entsteht eine inakzeptable Kombination: Einerseits zeigt sich ein (weisungsgebundener) behördlicher Eifer, ganz offen und öffentlich politisch Einfluss auszuüben. Und andererseits erscheint angesichts der Tragweite des konkreten Falls die Verweigerung der Einsicht in die laut Behörde angeblich gravierenden Materialsammlungen als sehr unangemessen.
Schließlich muss dem Verfassungsschutz bewusst gewesen sein, dass sein „Gutachten“ und die Art von dessen Präsentation der Startschuss und die künftige Basis für eine sofort einsetzende Partei-Verbots-Kampagne sein würde.
Bezüglich der verweigerten Veröffentlichung des „Gutachtens“ überzeugt der Verweis auf die nun wahrscheinlich folgenden Gerichtsverfahren, bei denen schließlich Akteneinsicht beantragt werden kann, auch darum nicht abschließend, weil bereits jetzt mit dem nicht unabhängig überprüfbaren „Gutachten“ Politik gemacht wird, mindestens in Form harter medialer Meinungsmache.
Wie Medien und Geheimdienst ihre Wirkung entfalten
Zusätzlich empörend ist es, dass der Öffentlichkeit der Einblick verwehrt bleibt, aber gleichzeitig Inhalte des angeblich geheimen „Gutachtens“ möglicherweise an einzelne Mainstream-Journalisten durchgesteckt wurden. Beispielsweise zitiert die „Welt“ in diesem Artikel aus dem „Gutachten“, die „Zeit“ in diesem Artikel und die Spiegel-Journalistin Melanie Amann deutete entsprechende Einblicke laut diesem Tweet im Phoenix-Presseclub an:
Nein, Melanie Amann behauptet nicht, daß dem Spiegel das komplette "Gutachten" des "Verfassungsschutzes" vorliegt.
Bereits gestern hat WELT drei Stellen daraus zitiert, die offensichtlich gezielt an Journalisten geleakt wurden.https://t.co/3OcpomeOG0pic.twitter.com/7T5lFLBPcU
— TheRealTom
– Trusted Flagger (@tomdabassman) May 4, 2025
“Tichys Einblick“ berichtet über diese selektive Medienarbeit des Geheimdienstes in dem Artikel „Der indiskrete Club der Verfassungsschutz-Mitwisser“ und folgert:
„Der Verfassungsschutz arbeitet also nicht nur mit einem Papier, das er der Öffentlichkeit vorenthält – er zieht auch ausgewählte Journalisten ins Vertrauen, die dann wiederum für die passende mediale Begleitmusik sorgen. Eigentlich ist die Verletzung des Dienstgeheimnisses nach §353b StGB strafbar. Bisher regte sich in Nancy Faesers Innenministerium niemand über den Informationsabfluss auf.“
Der SPD-Politiker und Verfassungsschutz-Experte Mathias Brodkorb schreibt in der „Welt“, die Geheimhaltung des „Gutachtens“ sei ein taktischer Mechanismus, um sich mit der Aura der Unangreifbarkeit zu umgeben. Was öffentlich strittig diskutiert werden würde, könne nicht mehr unhinterfragt als „gesichert“ gelten. Zur „Unabhängigkeit des Geheimdienstes“ sagt auch Brotkorb:
“Die Bundesregierung erklärt es als ‚gesichert‘, dass die AfD extremistisch sei. Das hört sich so an, als hätte eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung darüber befunden. Auch wenn von den Beteiligten gerne der gegenteilige Eindruck erweckt wird: Der Inlandsgeheimdienst ist eine weisungsgebundene Behörde wie jede andere auch. Ihr Chef ist letztlich der Bundesinnenminister.“
Inhaltlich kann das „Gutachten“ hier also gar nicht analysiert werden, da es vorerst unter Verschluss bleibt. Es handelt sich bei diesem Artikel darum, wie gesagt, nicht um eine Verteidigung der AfD-Inhalte – stattdessen geht es um eine Kritik am konkreten Zusammenspiel aus Geheimdienst, Medien und Politik, das als total unseriös bezeichnet werden kann und wichtige Prinzipien verletzt. Ein ohnehin bereits wirkungsloser oder gar kontraproduktiver „Kampf gegen Rechts“ kann sich in dieser Form auch gegen „demokratische Werte“ wenden.
Titelbild: M-SUR / Titelbild
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