Geschichte: Che Guevara und der Gazastreifen: Eine ganz besondere Beziehung

Im Juni 1959 reist der Revolutionär Ernesto "Che" Guevara in den Gazastreifen. Es ist ein Besuch mit Folgen bis heute 

Apr 8, 2025 - 12:59
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Geschichte: Che Guevara und der Gazastreifen: Eine ganz besondere Beziehung

Im Juni 1959 reist der Revolutionär Ernesto "Che" Guevara in den Gazastreifen. Es ist ein Besuch mit Folgen bis heute 

Im Flüchtlingslager von Rafah, in dem Zehntausende Palästinenser unter erbärmlichen Bedingungen hausen, kommt am 18. Juni 1959 ein Mann auf Ernesto "Che" Guevara zu. Guevara solle nach seinem Besuch im Gazastreifen in anderen Ländern davon berichten, wie schlecht es den Menschen hier gehe, bittet er. Der Angesprochene, so erzählen es später Augenzeugen, erwidert: "Ich werde der ganzen Menschheit davon berichten."

 Guevara, der Revolutionär, der zusammen mit Fidel Castro auf Kuba gerade ein sozialistisches Regime errichtet hat, ist auf diplomatischer Mission unterwegs. In drei Monaten tourt er durch 14 Länder in Afrika und Asien, um in der sogenannten Dritten Welt Allianzen zu schmieden gegen die ihm verhassten Kapitalisten und Imperialisten. Und eine Station seiner Reise ist der Gazastreifen. Es ist der Beginn einer ganz besonderen Beziehung.

Ernesto "Che" Guevara bei seinem Besuch 1959 im Gazastreifen
Ernesto "Che" Guevara bei seinem Besuch 1959 im Gazastreifen
© Alamy

Der Gazastreifen, jenes an Mittelmeer, Israel und Ägypten grenzende, rund 40 Kilometer lange und zwischen sechs und 14 Kilometer breite Gebiet, ist 1959 überfüllt mit Flüchtlingen. Rund zehn Jahre zuvor haben Hunderttausende Palästinenser im Krieg zwischen den arabischen Ländern der Region und dem neu gegründeten Staat Israel ihre Heimat verloren. Viele von ihnen sind aus nunmehr israelischem Territorium in den von Ägypten verwalteten Gazastreifen gekommen. 

Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser nutzt den Streifen als eine Art internationales Schaufenster für das Leid der Palästinenser. Gern lädt er prominente Gäste in das Gebiet, das in den Augen vieler mithin zu einer Art Symbol für Unterdrückung und Ungerechtigkeit schlechthin wird. Was liegt da näher, als auch Che Guevara zu empfangen, der wie kaum jemand sonst für Widerstand gegen überlegene Mächte steht.

Wo sind euere Waffen, fragt Che

Für Guevara sind nicht linke Politiker, sondern Guerilleros die wichtigsten Streiter gegen die Herrschenden. Schon mit wenigen entschlossenen Kämpfern, so seine Lehre aus der Kubanischen Revolution, kann ein erfolgreicher Umsturz gelingen. 

Im Gazastreifen fragt er im Juni 1959 den palästinensischen Vorsteher eines Flüchtlingslagers laut Berichten, was er für die Befreiung seiner Nation täte. Wo die Waffenschmieden seien, will Che wissen, wo die Zentren zur Rekrutierung von Kämpfern, wo die paramilitärischen Trainingscamps. Den palästinensischen Widerstand gegen die Vertreibung aus Hunderten Orten durch die Israelis sieht der Argentinier offenbar als ausbaufähig an.

Die Verehrung hält an: Bis heute ist auf palästinensischen Demonstrationen sehr oft der Revolutionär Guevara zu sehen 
Die Verehrung hält an: Bis heute ist auf palästinensischen Demonstrationen sehr oft der Revolutionär Guevara zu sehen
© UPI Photos

Tatsächlich besucht Guevara den Gazastreifen zu einer Zeit, als die Palästinenser noch keine größeren paramilitärischen Gruppen gegen Israel gebildet haben. Nur wenige Monate später aber gründet Jassir Arafat die Guerillaorganisation Fatah, einige Jahre später folgt die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO). 

Nun sollte man Guevaras Rolle bei der Formierung der Palästinenser nicht überbewerten. Der Argentinier bleibt nur einen Tag im Gazastreifen, und angeblich lehnt Castro seine Idee ab, die Palästinenser direkt mit kubanischen Waffen zu versorgen, und verweist stattdessen auf Nasser als zuständigen Strippenzieher, der dann auch hinter der Gründung der PLO steckt. Aber in den Augen vieler Bewohner des Gazastreifens ist mit Ches Besuch der Keim gesät für eine immerwährende, tiefe Verbindung.

Der Revolutionär ist fortan einer der meistverehrten Männer im Streifen: Kaum eine Demonstration, bei der sein Konterfei nicht auf Plakaten und Fahnen auftaucht, kaum ein Motiv, das beliebter ist für T-Shirts. 

Kuba unterstützt die Palästinenser

Inwieweit Guevara die Zuneigung aus Gaza erwidert, bleibt indes unklar. Zwar erwähnt er die Sache der Palästinenser 1964 in seiner Rede vor den Vereinten Nationen. Aber in seinen persönlichen Erinnerungen schreibt er nicht ein Wort über seinen Besuch im Gazastreifen. Und auch wenn Kuba die Palästinenser über die Jahrzehnte immer wieder unterstützt, etwa mit Hilfslieferungen oder der Ausbildung von Ärzten, so beginnt diese Kooperation erst lange nach Guevaras Besuch, scheint ein Zusammenhang zweifelhaft. Als Guevara 1967 beim Versuch erschossen wird, die sozialistische Revolution mit einigen Getreuen im bolivianischen Hochland loszutreten, scheint der Gazastreifen längst wieder an den Rand seiner politischen Agenda gerückt zu sein. 

Eines aber ist sicher anzunehmen: Angesichts des Hasses, den Ernesto Che Guevara auf Kapitalisten im Allgemeinen und auf US-amerikanische Kapitalisten im Speziellen empfand, würde ihm Donald Trumps Idee, die Palästinenser umzusiedeln und den Gazastreifen zu einer mit Luxushotels bebauten "Riviera des Nahen Ostens" umzugestalten, vorkommen wie ein wahrhaft teuflischer Plan.