Endlich bei mir angekommen?: Wie mein Körper ein Zuhause wurde
Unsere Autorin hat lange mit sich gehadert, bis sie plötzlich beim Sport etwas anderes spürte. Sollte das diese Selbstakzeptanz sein, von der alle reden?

Unsere Autorin hat lange mit sich gehadert, bis sie plötzlich beim Sport etwas anderes spürte. Sollte das diese Selbstakzeptanz sein, von der alle reden?
Ich fand Sport bisher immer okay gut. Laufen und Fitnessstudio standen so regelmäßig, wie es mein Gesundheitszustand mit zwei Kindern zuließ, auf dem Programm. Das Ziel bisher: in shape sein natürlich. Damit ich auch ja in die Hose reinpassen würde, die ich mir gerade gekauft hatte. Bisschen eng saß die zwar, aber schließlich plante ich diese ein bis drei Kilos, die ich gerade mehr auf die Waage brachte, schnellstmöglich wieder loszuwerden. Also machte ich mir viele Jahre Gedanken darum, wann ich was esse und wie ich noch die Sporteinheit zwischen Job, Haushalt und Kindern unterkriege. Begleitet wurde dieser Balanceakt von Stress und mieser Laune, weil die Klamotte mich einzwängte und ich mich total unwohl fühlte.
Dabei empfand ich es eigentlich als feministischen Akt, eben nicht diesem Diätwahn zu verfallen. Ich weiß es schließlich besser und wollte unbedingt drüber stehen.
Ich wollte, dass mir diese ein bis drei Kilos, die Rolle am Bauch und die Cellulite am Hintern egal waren. Genauso egal, wie es mir bei anderen war. Mehr noch: Ich fand normal so viel schöner. Warum nicht bei mir selbst?
Fit statt in shape
Die letzten Jahre fragte ich mich oft, warum es mir nicht gelingen wollte, einfach für diesen Körper dankbar zu sein. Immerhin hatte er zwei Kinder geboren, war gesund und hatte bisher echt alles gut weggesteckt, was ich ihm zugemutet hatte. Allem guten Zureden zum Trotz: Es gelang es mir einfach nicht.
Mit fast 40 bin ich langsam aber sicher in der Lebensmitte angekommen – mittelalte Frau, guten Tag. Der Schutzschild der Unverwundbarkeit, den ich mit Mitte 20 vor mir hertrug, hat längst die ein oder andere Kerbe bekommen. Menschen in meinem Umfeld wurden krank oder starben. Und ich lernte, dass es wirklich jeden Tag zu Ende sein könnte. Ich spüre das nicht jeden Tag, aber ich mache mir immer wieder bewusst, was für ein Glück es ist, am Leben zu sein.
Und so begab es sich, dass mir die Zeit, die mir noch bleiben würde, zu wertvoll wurde, als dass ich sie in zu engen Hosen verbringen wollte. Ich spürte, wie sich in meinem Denken etwas ganz von selbst umbaute. Statt in shape will ich nun lieber fit und gesund sein und das möglichst bis ins hohe Alter. Wen kümmert dann noch Cellulite?
Veränderter Blickwinkel
Dass sich der Blick auf den eigenen Körper um die 40 verändert, ist nicht ungewöhnlich, erklärt mir Dr. Julia Tanck, Expertin für Körperbild- und Essstörungen sowie körperbezogene Social Media Trends
"Forschungsergebnisse zeigen, dass die Körperwertschätzung mit zunehmendem Alter tendenziell steigt. Ältere Frauen berichten im Allgemeinen über eine höhere Selbstakzeptanz und Körperakzeptanz im Vergleich zu jüngeren." Das deute darauf hin, dass viele Frauen ab 40 einen versöhnlicheren und akzeptierenderen Blick auf ihren Körper entwickeln.
Nichtsdestotrotz zeigten die Studien aber auch, dass die Körperunzufriedenheit über alle Altersgruppen hinweg relativ stabil bleibe und bei Frauen durchgehend höher ist als bei Männern. "Das bedeutet, dass trotz einer wachsenden Wertschätzung für den eigenen Körper viele Frauen weiterhin bestimmte Aspekte ihres Aussehens kritisch betrachten."
Geschafft? Nein
Eine Beobachtung, die ich auch an mir feststellen musste, nachdem die Euphorie über mein neu erlangtes Körpergefühl irgendwann wieder nachließ. Nämlich in dem Moment, als ich einen Badeanzug oder einen Bikini für den Urlaub suchte. Zack, alle alten fiesen Gedanken wieder da: Warum hängt mein Hintern? Warum wabbeln meine Arme? Und wieso ist das bei anderen alles so straff und bei mir runzelt es vor sich hin?
Ich dachte, darüber wäre ich nun echt hinweg. Turns out: Bin ich nicht.
Von guten und schlechten Zeiten
Doch statt mich zu geißeln, übe ich mich in Nachsicht mit mir selbst. Es ist ok, solche Tage zu haben, der nächste sieht vielleicht schon wieder anders aus. Wie soll auch all die internalisierte Misogynie und das eingetrichterte Schlankheits- und Schönheitsideal mit einem Mal verschwunden sein? Immerhin haben wir 40 Jahre miteinander verbracht. Das schüttelt man nicht von heute auf morgen ab.
"Male Gaze" und Selbstobjektifizierung adé?
Lange Zeit beeinflusste nämlich vor allem der männliche Blick – der sogenannte "male gaze", der Frauen primär als ästhetische oder sexuelle Objekte betrachtet – das Körperbild von Frauen maßgeblich. "Der male gaze fetischisiert häufig Jugend und marginalisiert ältere Frauen, wodurch altersdiskriminierende Narrative verstärkt werden.", so Julia Tanck. Runtergebrochen sollen Frauen jung und schön sein, sind sie das nicht mehr, verschwinden sie, werden sie unsichtbar. Einerseits ist das auf eine Art dramatisch, andererseits befreiend. Denn es hat zur Folge, dass sich die Art und Weise verändert, wie Frauen ihren eigenen Körper wahrnehmen – insbesondere in Bezug auf die Selbstobjektifizierung, erklärt die Expertin. "Selbstobjektifizierung bezeichnet den Prozess, bei dem Frauen sich selbst aus einer externen Perspektive betrachten und ihren Wert primär über ihr äußeres Erscheinungsbild definieren, anstatt sich als vollständige Individuen mit Gedanken, Gefühlen und Persönlichkeit wahrzunehmen."
Ein Mechanismus, der eng mit dem Konzept des male gaze verbunden sei. "Die Objektifizierungstheorie besagt jedoch, dass Frauen mit zunehmendem Alter weniger zur Selbst-Objektifizierung neigen. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass sie über die Jahre eine veränderte Selbstwahrnehmung entwickeln und äußere Schönheitsnormen an Bedeutung verlieren. Dadurch nimmt der Einfluss des male gaze ab, was wiederum zu einer gesteigerten Körperwertschätzung und einem positiveren Selbstbild führen kann.
#lifegoals #newme
Aber müssen wir erst älter werden, um Selbstakzeptanz auf die "harte Tour" zu lernen, oder geht das auch anders? Und können wir vor allem unseren Kindern ein gesünderes Körperbild mitgeben? Julia Tanck sagt: Ja, das geht! Selbstakzeptanz kann geübt werden. Bestenfalls fängt man damit schon in jungen Jahren an, beispielsweise durch den Konsum von körperpositiven Inhalten auf den sozialen Medien. Laut Studien hat das Auswirkungen auf die Körperwahrnehmung und das Selbstwertgefühl. Auch die kritische Auseinandersetzung mit ästhetischen Idealen könne helfen, das Selbstwertgefühl zu stärken und die Internalisierung von Schönheitsidealen zu reduzieren – sowohl bei jungen als auch älteren Frauen. Und genau darauf kann man seinen Algorithmus trainieren.
Mehr Raum für uns
Neulich war ich wieder laufen und stellte auf den letzten Metern fest, dass das Gefühl wieder da war. Ich machte mir keine Gedanken, wie viele Kalorien ich wohl verbrannt hatte. Ich lief aus einem einzigen Grund: weil ich es wollte. Weil es meinen Kopf ausschaltet, weil ich mit Musik in den Ohren so tun kann, als wäre ich die krasseste Läuferin der Welt. Ich mache Sport nicht mehr, um weniger zu werden, sondern weil ich stark sein möchte. Ich brauche kein Sixpack, aber Bauchmuskeln, die mich gerade halten. Einen Rücken, der nicht schmerzt, und Arme, die meine Tochter ins Bett tragen können, wenn sie mal wieder auf dem Sofa eingeschlafen ist.
Nach und nach spüre ich, wie ich endlich in meinen Körper einziehe, so als ob wir zwei lange nebeneinander gewohnt hätten. Und uns nun endlich für das Zusammenleben entschieden hätten. Und weil wir beide mehr Raum zum Atmen brauchen, wähle ich statt der Größe kleiner jetzt die, die mir den auch gibt.