Der DGB will am 1. Mai bundesweit Präsenz zeigen. Aber wofür eigentlich?

Es ist wieder so weit. Unter dem Motto „Mach dich stark mit uns!“ ruft der DGB für den heutigen 1. Mai bundesweit zu insgesamt rund 430 Veranstaltungen auf, „um unsere Stimme für eine gerechte Arbeitswelt zu erheben”. Die zentrale Kundgebung findet diesmal in Chemnitz statt, wo die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi als Hauptrednerin auftritt. Auch dieWeiterlesen

Mai 1, 2025 - 09:52
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Der DGB will am 1. Mai bundesweit Präsenz zeigen. Aber wofür eigentlich?

Es ist wieder so weit. Unter dem Motto „Mach dich stark mit uns!“ ruft der DGB für den heutigen 1. Mai bundesweit zu insgesamt rund 430 Veranstaltungen auf, „um unsere Stimme für eine gerechte Arbeitswelt zu erheben”. Die zentrale Kundgebung findet diesmal in Chemnitz statt, wo die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi als Hauptrednerin auftritt. Auch die restliche DGB-Prominenz, also alle Mitglieder des Geschäftsführenden Bundesvorstands sowie die Vorsitzenden der acht Mitgliedsgewerkschaften, sind quer durch die Republik im Einsatz. In einigen Städten wird es auch Demonstrationen geben, doch Schwerpunkt sind die Maifeiern mit „Kulturprogramm” und „Angeboten für die ganze Familie”. Hüpfburgen und Schminkstände für die Kleinen, Bier und Bratwurst (manchmal inzwischen auch vegan) für die Großen. Von Rainer Balcerowiak.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Vom „Kampftag der Arbeiterklasse” ist beim DGB schon lange nicht mehr die Rede. Und so klingt auch der Aufruf eher wie ein weinerlicher Bettelbrief an die künftige Bundesregierung. Die solle „die Wirtschaft am Laufen halten”, und die Investitionen aus dem Sondervermögen „müssen jetzt dahin fließen, wo sie dringend benötigt werden: in die Schienen, Schulen, den Wohnungsbau, die soziale Sicherung, die Digitalisierung und den Klimaschutz”. Ferner gehe es um mehr Tarifbindung und „faire Löhne” als „Schlüssel, um ausreichend Fachkräfte zu gewinnen, die unsere Schulen mit Leben füllen, Kranke pflegen und versorgen, unsere Brücken sanieren und bauen sowie den klimagerechten Umbau des Landes voranbringen”. Die Rede ist ferner von einem „starken Sozialstaat”, „gerechten Steuern” und einem „fairen Beitrag der Reichen und Superreichen, um den Haushalt zukunftsfest zu gestalten und die Daseinsvorsorge zu sichern”.

Das alles entspricht ungefähr dem, was die SPD – bekanntlich mit eher mäßigem Erfolg – auch im Wahlkampf postuliert hat, was wiederum kein Zufall ist. Denn die Führungsriege des Dachverbandes und der Mitgliedsgewerkschaften besteht fast ausschließlich aus SPD-Mitgliedern, teilweise mit parlamentarischer Mandatserfahrung oder in Spitzenämtern des Parteiapparats. Wie bei der DGB-Vorsitzenden Fahimi, die vor ihrem Wechsel an die Gewerkschaftsspitze für ihre Partei unter anderem als Generalsekretärin, Bundestagsabgeordnete und Staatssekretärin tätig war.

SPD-Wasserkopf auf einem zahnlosen Tiger

Doch das Missverhältnis zwischen der historisch gewachsenen engen Verzahnung der DGB-Spitze mit der SPD und der politischen Verortung der Mitgliederbasis hat mittlerweile groteske Ausmaße angenommen. Bei der letzten Bundestagswahl wählten laut einer Nachwahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen nur noch 20,6 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder die SPD, die damit erstmals hinter die CDU (23,2 Prozent) und die AfD (21,8 Prozent) zurückfiel. Bei der Wahl im September 2021 waren es noch 32,1 Prozent, und auch das war im Vergleich zu früheren Wahlen schon ein extrem niedriger Wert. 1998 erreichte die SPD noch 56 Prozent. Der Absturz begann dann nach den „Hartz-Reformen” der SPD-geführten Bundesregierung, wobei die gewerkschaftliche Wählerwanderung zunächst nach links ging. So stimmten 2009 17 Prozent der Gewerkschafter für die erstmals kandidierende gesamtdeutsche Linkspartei und nur noch 34 Prozent für die SPD. Der große Einbruch kam dann 2017, aber diesmal ging es nach rechts: 15 Prozent der Gewerkschafter stimmten für die AfD, also deutlich mehr als in der Gesamtwählerschaft, wo es 12,6 Prozent waren.

Doch auch unabhängig von der Entwicklung der Parteipräferenzen bei Gewerkschaftsmitgliedern steckt der DGB in einer Dauerkrise. Der Mitgliederschwund konnte 2023/24 zwar erstmals seit 1991 (da waren es nach der Wiedervereinigung fast zwölf Millionen Mitglieder) gestoppt werden, aber es sind jetzt halt nur noch etwas mehr als 5,6 Millionen. Spätetens seit den „Hartz-Reformen” ist deutlich geworden, dass die Gewerkschaftsbewegung und vor allem ihr SPD-dominierter Führungsapparat weder die Kraft noch den Willen haben, sich gegen massive Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen wirkmächtig zur Wehr zu setzen.

Und auch in ihrem Kernbereich, der Sicherung angemessener Entlohnung abhängig Beschäftigter durch Tarifverträge, sieht es trotz punktueller Erfolge ziemlich düster aus. So ist die Tarifbindung durch Branchen- oder Firmentarifverträge in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken, von ihr profitieren nur noch 49 Prozent aller Arbeitnehmer, im Osten noch weniger (44 Prozent) . 1998 unterlagen im alten Bundesgebiet noch 76 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse einer tariflichen Bindung, im Osten waren es 63 Prozent. Knapp 16 Prozent aller Beschäftigten erhalten nur den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 12,81 Euro pro Stunde.

Nur noch in wenigen Wirtschaftszweigen sind die Gewerkschaften auch aufgrund eines relativ hohen Organisationsgrades in der Lage, einigermaßen erfolgreiche Tarifkämpfe zu führen. Das betrifft an erster Stelle den Öffentlichen Dienst, aber auch „sensible Bereiche” wie den öffentlichen Nah- und Fernverkehr und den Flugverkehr. Dazu kommen einige industrielle Sektoren, etwa in den Bereichen Chemie und Metall. Dort ist es in den letzten Jahren auch teilweise gelungen, ordentliche Abschlüsse zu erzielen, mit deutlichen prozentualen Zuwächsen nebst einmaligen Corona- bzw. Inflationsausgleichsprämien. Begünstigt wurde dies auch durch den Fachkräftemangel und den insgesamt relativ entspannten Arbeitsmarkt.

Beredtes Schweigen zu Kriegs-und Aufrüstungspolitik

Aber jetzt ist Schluss mit lustig. Deutschland befindet sich in einer strukturellen (also nicht nur konjunkturellen) Rezession, kräftig befördert durch die Kriegs- und Sanktionspolitik. Zentrale Sektoren, wie die Autoindustrie und ihr Umfeld, sowie besonders energieintensive Bereiche stecken in einer heftigen Krise. Die Infrastruktur ist in vielen Bereichen, etwa Schienenverkehr und Brücken, aber auch Bildung und Sozialsysteme betreffend, ziemlich runtergerockt, die Digitalisierung haben wir weitgehend verschlafen, und die internationalen Handelsbeziehungen werden gerade kräftig durchgeschüttelt. Und allmählich kommt das alles auch auf dem Arbeitsmarkt an, und zwar mit zunehmender Abwärtsdynamik. Und während sich alle noch über erbitterte, teilweise erfolgreiche Tarifkämpfe – wie etwa im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen oder bei den Berliner Verkehrsbetrieben – entweder freuten oder erbosten, geht es in anderen Bereichen bereits in die andere Richtung, also Reallohnverzicht und Arbeitsplatzabbau bis hin zu Standortschließungen.

Für die vom BlackRock-Kanzler Friedrich Merz geführte künftige Bundesregierung ist dieses Szenario natürlich eine Steilvorlage für eine Politik, die noch unverblümter die Interessen die Finanzkapitals in den Mittelpunkt stellt und soziale Standards absenkt. Ganz zu schweigen von einer agressiven und immens teuren Rüstungs- und Kriegsvorbereitungspolitik auf allen Ebenen.

Womit wir wieder beim DGB wären. Denn der hat das Kunststück vollbracht, in seinem Aufruf weder den Krieg in der Ukraine und die deutsche Rolle dabei noch die selbstzerstörerische Sanktionspolitik oder den Blankoscheck für unbegrenzte Aufrüstung mit auch nur einer Silbe zu erwähnen. Einen Zusammenhang zwischen Kriegspolitik und Krise will man nicht thematisieren, und vor allem die IG Metall bekennt sich ja in Teilen zum drastischen Ausbau der Rüstungsproduktion, auch durch „Umwidmung” ziviler Produktionsstandorte.

Wie etwa in Görlitz, wo ein traditionsreicher, seit einiger Zeit kriselnder Waggonbau-Standort von einem Rüstungskonzern übernommen wurde, um dort künftig verschiedene Baugruppen für den Kampfpanzer Leopard 2, den Schützenpanzer Puma und den Radpanzer Boxer zu produzieren. Schließlich diene das dann ja auch der Sicherung von Arbeitsplätzen, und gebe „dem Standort eine Zukunft”, fiel dem örtlichen IG-Metall-Bevollmächtigten dazu ein. Und das ist nur ein Beispiel von vielen für diese ganz spezielle Spielart einer industriellen Konversion. Auch aus dem für die Schließung vorgesehenen VW-Standort in Osnabrück könnten bald Panzer statt Autos rollen. Da bekommt dann die diesjährige Losung des DGB für den 1. Mai („Mach dich stark mit uns!“) eine ganz spezielle Bedeutung.

Konsequent wird diese Linie unter anderem in Lübeck umgesetzt. Wer dort bei den 1.-Mai-Feierlichkeiten einen Stand beim DGB in Lübeck anmelden wollte, musste sich mit einer langen Liste von „Werten des DGB” identifizieren. Darunter: die „uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine – wir erkennen W. Putin als alleinigen Aggressor an”, „Bekenntnis zu Europa und zu NATO-Mitgliedschaft”, und „Bekenntnis zur Richtigkeit des Sondervermögens, um in die Zukunft zu investieren”.

Aber heute wird erst mal gefeiert, egal was. An einigen Orten wird es auch Proteste geben, denn es gibt auch an der Gewerkschaftsbasis einige Menschen, die das mit der Kriegs- und Aufrüstungspolitik anders sehen als große Teile ihrer Führung. Und wenn die letzte Bratwurst gegessen, das letzte Bier getrunken und die letzte kulturelle Darbietung verklungen sind, gehen die Teilnehmer wieder nach Hause. Vielleicht war es ja für viele dann ein schöner Tag, zusammen mit Familie, Freunden und Kollegen, was ja auch nicht zu verachten ist. Was dieser 1. Mai aber definitiv nicht sein wird, ist der selbstbewusste Auftritt einer Dachgewerkschaft, die die bevorstehenden Herausforderungen benennt und dem Kapital und seinen Politikern den Fehdehandschuh hinwirft. Wo kämen wir denn da auch hin, wir sind hier schließlich nicht in Frankreich.

Titelbild: ojka/shutterstock.com